© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Krude bis gewaltbereit
Bluttat von Georgensgmünd: Die Szene der „Reichsbürger“ ist heterogen
Martina Meckelein

Reichsbürger, kommissarische Reichsregierung, Reichsdeutsche oder Germaniten. Verschiedene Namen, zerstrittene Gruppen, aber eines eint die Szene: Alle behaupten, das Deutsche Reich bestehe zwar fort, aber nicht in der Form der Bundesrepublik Deutschland. Jetzt ist ein Polizeibeamter in Ausübung seines Dienstes erschossen worden. Der Täter, ein sogenannter „Reichsbürger“, wurde verhaftet. Weitere „Reichsbürger“ stehen vor Gericht oder sitzen in Untersuchungshaft. Eine Spurensuche. 

„Nennen Sie mich Rüdiger aus dem Hause Hoffmann, ich spreche im Auftrage des Vorstandes.“ Rüdiger Hoffmann spricht für die Gruppe „staatenlos.info e.V.“. Es herrsche eine „extreme Verunsicherung unter den Reichsbürgern“, sagt er der JUNGEN FREIHEIT. Um sich dann gleich zu verbessern: „Es gibt gar keine Reichsbürger.“ Was da in Bayern passierte, sei ein Verwirrter gewesen. So wie die von der kommissarischen Reichsregierung. „Wir warnen immer vor denen.“ Für seinen Verein, sieben Mitglieder bundesweit, schließe er solche Vorfälle aus.

Noch 2012 schätzte die Bundesregierung in der Beantwortung einer kleinen Anfrage den extremistischen Kern der zersplitterten Gruppen auf eine untere dreistellige Zahl. Heute schätzt der Verfassungsschutz, die verschiedenen Gruppen hätten mindestens 1.100 Mitglieder. Hoffmann glaubt, die Berichterstattung über Reichsbürger sei eine bewußte Falschinformation. „Denn die Voraussetzung, ein Reichsbürger zu sein, ist die Reichsangehörigkeit durch das Reichsbürgergesetz von Adolf Hitler.“ Er selbst sei auch nur „von der Eigenschaft her ein Deutscher“, denn, „ich habe keine Glaubhaftmachung deutsch zu sein“. Im Einwohnermeldeamt werde er fälschlicherweise als „deutsch“ geführt. Das würde er gerade ändern, da gäbe es Schriftwechsel. So krude die Thesen sein mögen, diese Vorstellungen sind der Nährboden, auf dem seit den achtziger Jahren Renitenz, später Gewalt und jetzt ein Polizistenmord gedeihen.

Rückblick: Mittwoch vergangener Woche, 6 Uhr morgens. Beamte eines  bayerischen Spezialeinsatzkommandos (SEK) fahren mit Blaulicht und Martinshorn zum Wohnhaus von Wolfgang P. (49) in Georgensgmünd. Der rechnet wohl schon länger mit einer Razzia. In schußsicherer Weste und mit dem Gewehr im Anschlag steht er am Treppenabsatz und schießt vermutlich durch eine Glastür auf vier Polizisten. Er trifft zwei Polizisten, zwei weitere Kollegen werden durch Glassplitter verletzt. 21 Stunden später stirbt einer der angeschossenen Beamten nach einer Not-OP in Nürnberg in der Klinik. Er wurde 32 Jahre alt.

Der Weg in die Eskalation: Wolfgang P. , der Todesschütze, lebte zurückgezogen, aber galt nicht als gefährlich. Er war Jäger, versuchte sich als Vermögensberater und Leiter einer Kampfsportschule. Seit einem Unfall ist er in Rente. Nachbarn bemerken, daß er seine Grundstücksgrenze mit gelber Farbe markiert. 

Im Garten hängt eine weiße Flagge mit Wappen, unter dem sein Nachname in Fraktur zu lesen steht. Auf der Internetseite „sonnenstaatland“ steht eine Erklärung, die von Wolfgang P. am 25. Januar unterschrieben worden sein soll. Er schreibt: „Hiermit erkläre ich, der lebendige, beseelte und selbstbewußte Mann aus Fleisch und Blut (...) und tatsächlich auf diesem Planeten Erde, körperlich seelisch und geistig voll anwesend bin. Ich bin immer noch am Leben und weder auf hoher See, noch sonst irgendwo im Universum verschollen.“ Unterschrieben und beglaubigt ist der handschriftliche Irrsinn von zwölf Zeugen mit blauer Tinte und roten Fingerabdrücken. 

Am Auto kratzt er erst die Plaketten ab, später demontiert er das Kennzeichen. Im Mai verjagt er den Zoll von seinem Grundstück, die Beamten wollen die KfZ-Steuer eintreiben. 

„Beseelter Mann              aus Fleisch und Blut“

Ab Juli überweist seine Mieterin das Geld nicht mehr an ihn, sondern an einen Insolvenzverwalter. Wolfgang P. scheint pleite zu sein. Er besitzt 31 Waffen – bisher völlig legal. Wegen seiner kruden Äußerungen, seines auffälligen Verhaltens und der finanziellen Probleme schätzen ihn die Behörden dann jedoch als unzuverlässig ein; die Waffen sollen weg. Zugriff am 18. Oktober. Zu spät, wie sich herausstellt. Bilanz: ein Toter, ein Schwerverletzter, zwei Verletzte. Jetzt sitzt Wolfgang P. in Untersuchungshaft.

Die meisten sogenannten „Reichsbürger“, deren Fälle in die Presse gelangten, haben eines gemeinsam, nämlich finanzielle Probleme. Entweder stehen sie kurz vor der Insolvenz, ihre Immobilien werden zwangsversteigert oder sie stehen wegen Unterschlagung vor Gericht. Der Reichsbürgerwahn als Fluchthilfe aus der Schuldenfalle?

Ex-„Mister Germany“ Adrian U. hatte in Sachsen-Anhalt den Staat „Ur“ ausgerufen. Im August kam es zur Zwangsräumung des Grundstücks durch den Gerichtsvollzieher und 200 Polizisten. Folge der Gegenwehr von „Ur“-Anhängern: Steinwürfe, Bisse und eine Schießerei. U. wurde dabei lebensgefährlich verletzt. Er befindet sich in Untersuchungshaft.

Vor dem Landgericht Halle steht zur Zeit Peter Fitzek, der selbsternannte „König von Deutschland“. Fitzek soll 1,3 Millionen Euro von 600 Anlegern veruntreut haben. Jetzt behauptet er, ein „Handlanger des Schöpfers“ zu sein. Er habe nur neue Strukturen für das Gemeinwohl schaffen wollen. „König“ Peter herrscht zur Zeit nur über eine NeunQuadratmeter Zelle.

Selbst bei der Polizei finden sich Anhänger der „Reichsbürger“. Gegen vier Beamte laufen in Bayern Disziplinarverfahren. Zwei Beamte seien bereits suspendiert, teilte das Innenministerium in München mit.

Noch im Juli schrieb die Bundesregierung in einer Antwort auf die Frage nach der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von Bund und Ländern durch die „Reichsbürger“: Die unstrukturierte, zersplitterte Reichsbürgerszene stelle bislang keine konkrete Gefahr dar.