© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Die Glocken läuten wieder
Irak: Kleine Erfolge und Rückschläge prägen die „Schlacht um Mossul“ / Ankara erzürnt Bagdad
Marc Zoellner

Zwei Jahre lang schwiegen die Glocken von Bartella. Rund 30.000 Seelen zählte die beschauliche, in der Ninive-Ebene des nördlichen Irak gelegene Stadt bis August 2014. Und obwohl recht klein, ist Bartella doch nicht unbedeutend: In der Siedlung mit ihren sechs Kirchen findet sich eine der ersten christlichen Gemeinden des Nahen Ostens, deren Geschichte bis in das beginnende zweite Jahrhundert zurückreicht. Beinahe sämtliche der Bewohner sind Christen, zum Großteil assyrischer Herkunft. Oder besser: waren; denn mit der Einnahme der Stadt durch Anhänger der Terrorgruppe Islamischer Staat wurde diese fluchtartig von ihren Bürgern verlassen. Zwei Jahre schien die Geschichte des Christentums in der Stadt erloschen. Bis vergangenen Samstag, als irakische Soldaten erstmals wieder die Kirchturmglocken Bartellas läuteten und mit Vater John Tarachee der erste Priester in sein Gotteshaus einziehen durfte.

Nur ein Viertel der Kämpfer sind reguläre Soldaten   

„Der Kampf um Bartella war härter als um andere Städte, die wir befreit haben“, berichtete Mustapha Muhsen, Kommandant der irakischen Neunten gepanzerten Division im Interview mit dem Daily Telegraph. „Wahrscheinlich wollten sie [der IS] die Stadt aufgrund ihrer religiösen Bedeutung nicht so einfach aufgeben.“

Noch immer prangen blasphemische Graffiti an den Wänden der religiösen Einrichtungen Bartellas. „Unser Gott ist größer als euer Kreuz“, haben Islamisten in arabischen Lettern an die Außenmauer der Kirche Vater Tarachees gepinselt. Das Kirchenschiff ist verwüstet, der Innenhof mit Brandspuren übersät, die über 4.000 Bände zählende wertvolle Bibliothek des Vaters in alle vier Winde verstreut. Doch seit seiner Ankunft in der Heimat ist John Tarachee wieder zuversichtlich geworden. „Natürlich werde ich zurückkehren“, erklärt der Priester mit demonstrativ entschlossener Geste einem Journalisten der britischen Channel 4 News. „Und wir werden alles wieder in Ordnung bringen.“

Bartella ist eine der schönen, der ermutigenden Geschichten in einem kopflosen Durcheinander, das sich „Schlacht um Mossul“ nennt. Denn seit die irakische Regierung vor gut anderthalb Wochen zum Sturm auf die Zweimillionenmetropole am Tigris geblasen hatte, liefern sich beinahe ein Dutzend verschiedene Armeen, Milizen und Interessenverbände ein Wettrennen um das Zentrum der irakischen De-facto-Hauptstadt des IS, in dessen Verlauf selbst vor Kriegsdrohungen nicht mehr zurückgeschreckt wird. Ihnen allen voran: die Regierung in Bagdad, Kurdische Peschmerga, der Iran sowie die Türkei.

Bis zu 100.000 Mann sollen an der Erstürmung Mossuls beteiligt sein; davon allerdings lediglich ein Viertel als reguläre Soldaten der Streitkräfte des Irak. Vom Süden her rücken diese auf die Stadt zu, während von Norden und Osten wiederum die Peschmerga einen Belagerungsring in den Vororten etablieren. Ihnen galt auch die erste Konterattacke des IS: Rund einhundert Terroristen infiltrierten vergangene Woche die Stadt Kirkuk, rund 180 Kilometer südöstlich Mossuls. Selbstmordattentäter erstürmten ein Kraftwerk der Stadt, andere Einheiten besetzten Hotels und Moscheen. Der Angriff des IS konnte von lokalen Selbstverteidigungseinheiten erfolgreich abgewehrt werden. 

In Zayklan und Bashiqa wiederum unterhält auch die Türkei mehrere Stützpunkte mit rund 2.000 Soldaten, von welchen aus sie die kurdischen Peschmerga sowie die lokalen Haschd-al-Watani-Milizen logistisch unterstützt, ausbildet sowie mit Waffen beliefert. Die Einmischung Ankaras in den Konflikt ist dabei besonders aus geopolitischen Interessen motiviert. „Die Türkei sagt, es sei ihre Pflicht sicherzustellen, daß Mossul nicht in die Hände von schiitischen und kurdischen Milizen fällt“, berichtete ein Korrespondent diesen Montag dem katarischen Nachrichtensender Al Jazeera.

Ankara, das sich als regionale Schutzmacht der Sunniten und Turkmenen auch jenseits der türkischen Grenzen versteht, fürchtet Racheakte der Schiitenmilizen an den Moslawis, den Einwohnern Mossuls oder gar ethnische Säuberungen, die zu einer demographischen Machtverschiebung in der Ninive-Ebene, jener von der Türkei historisch beanspruchten ölreichen Provinz des Irak, führen könnten. „Was ihr Bagdad nennt, ist der Verwalter einer aus Schiiten zusammengesetzten Armee“, warnte der türkische Präsident Erdogan kürzlich die Moslawis. „30.000 militante Schiiten, sagen sie, werden zu euch kommen.“

Bagdad wiederum verbittet sich jegliche Einmischung der Türkei in die Schlacht um Mossul und spricht von „illegaler Besatzung“. „Wir haben die türkische Seite mehr als einmal gebeten, sich nicht in irakische Angelegenheiten einzumischen“, drohte Iraks Premier Haider al-Abadi Anfang Oktober. „Ich fürchte, das türkische Abenteuer könnte bald in einem regionalen Krieg münden.“

Seit Beginn der Offensive mehren sich die Demonstrationen Tausender Anhänger des Schiitenpredigers Moktada al-Sadr vor der türkischen Botschaft in Bagdad. „Verlaßt unser Land mit Würde, bevor wir euch rausschmeißen“, verkünden die Banner der Protestler. Ankara jedoch scheint die Herausforderung Bagdads mittlerweile endgültig in den Wind geschlagen zu haben.