© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Rußlands Söhne mit der Doppelsigrune
Gegner des Sowjetsystems oder blutrünstige Halsabschneider: Neue Studien zur Geschichte der russischen Waffen-SS-Verbände
Konrad Faber

 Aktuell wird in Rußland intensiv die Geschichte der Waffen-SS-Verbände erforscht, welche aus ethnischen Russen bestanden. Die beiden Historiker Dmitri Shukow und Iwan Kowtun haben sich dabei durch ihre sachlichen Forschungen hervorgetan und manches Überraschende entdeckt. Während einige Verbände nur kurzzeitig existierten, weil ihre Angehörigen entweder zum Feind übergingen (SS-Brigade „Drushina“ 1943) oder aber wegen Unzuverlässigkeit gleich wieder umformiert wurden (30.Waffen-Grenadier-Division der SS 1944), standen die Ursprungseinheiten der späteren 29. Waffen-Grenadier-Division der SS „Rona“ bereits ab Oktober 1941 zuverlässig im Kampfeinsatz gegen sowjetische Partisanen und Einheiten der Roten Armee. 

Formiert hatte diese Einheiten der „Rona“ (Russische Nationale Befreiungsarmee) ein Todfeind des stalinistischen Systems namens Bronislaw Kaminski (1899–1944) aus Lokot im Brjansker Gebiet südwestlich von Moskau, wo die Bevölkerung traditionell wenig sowjetfreundlich eingestellt war. Kaminskis Vater war Pole, die Mutter Rußlanddeutsche. Kaminski zeichnete sich durch ausgeprägtes Selbstbewußtsein aus und legte Wert darauf, ein Verbündeter der deutschen Besatzungsmacht zu sein, nicht deren subalterner Befehlsempfänger. 

Von 1918 bis 1921 nahm Kaminski als Rotarmist am Bürgerkrieg teil und absolvierte anschließend eine Ingenieurausbildung an einem Leningrader Chemie-Institut. Ebenso war er Mitglied der Kommunistischen Partei. Doch wegen der Kritik an Stalins Kollektivierungspolitik schloß man ihn 1935 aus der Partei aus. 1937 mußte er für zehn Jahre ins Gulag, aus welchem er vorfristig 1941, unter abgenötigter Verpflichtung als NKWD-Spitzel, entlassen wurde. Aus dem Sowjetfunktionär Kaminski war aber längst ein glühender Gegner Stalins geworden. 

Sein Bestreben war es, ab Oktober 1941 abgestimmt mit der vordringenden Wehrmacht im Amtsbezirk von Lokot eine funktionierende autonome und antisowjetische Lokalverwaltung aufzubauen. Diese funktionierte fast reibungslos, und die deutschen Besatzungstruppen waren froh, im betreffenden Gebiet keine nennenswerten eigenen Truppen stationieren zu müssen. Als zunehmend Angriffe von Partisanen erfolgten, deren Terror die Macht der örtlichen Verwaltungsbehörden gefährdeten, ging Kaminski mittels Aufstellung von „Volksmilizen“ sehr effektiv gegen die Partisanenverbände vor. 

Rona-Einheiten kämpften sogar gegen die Rote Armee

Seine „Rona“ umfaßte schließlich 1943 eine kampfstarke „Brigade“ von 11.000 Mann, bestehend aus fünf Infanterieregimentern nebst dazugehörigen Artillerie-, Panzer- und Flakabteilungen, durchweg von ehemaligen Offizieren der Roten Armee befehligt. Die kampfkräftigen Rona-Regimenter kamen sogar gegen die Rote Armee zum Einsatz, so etwa als deren Verbände bei Sewsk die deutsche Front durchbrochen hatten. Ab 1943 durch die vordringende Rote Armee aus dem Raum Brjansk verdrängt, verließ Kaminski mit seiner Rona und 30.000 Zivilisten die heimatlichen Gefilde. 

Über Weißrußland gelangte er schließlich nach Ratibor in Oberschlesien, wo seine kampferprobten Russen ab 1. August 1944 zur 29. Grenadierdivision der Waffen-SS umformiert wurden. Kurz vorher hatte Himmler Kaminski empfangen und zum SS-Brigadeführer und Divisionskommandeur ernannt. Wenig später mußte Kaminski ein Rona-Regiment zur Niederwerfung des Warschauer Aufstandes ausrücken lassen. Bald darauf kam der just beförderte SS-Brigadeführer auf mysteriöse Art ums Leben. Offiziell hatten ihn polnische Partisanen getötet, doch insgeheim hatte ihn der in Warschau befehlsführende SS-General Erich von dem Bach-Zelewski standrechtlich erschießen lassen, weil er mit dem höchst selbstsicheren Kaminski nicht klarkam. 

Das bedeutete zugleich das Ende der Aufstellung einer rein russischen Waffen-SS-Division. Kaminskis Soldaten wurden nunmehr der Wlassow-Armee zugeteilt und nach Kriegsende vom sowjetischen Geheimdienst als Landesverräter gejagt. Die Sowjets richteten sie entweder hin, wie zum Beispiel den Kaminski-Stellvertreter Mosin, oder deportierten sie in sibirische Gulags. Erst 1951 gelang es dem NKWD, die letzten „Kaminski-Banden“ im Brjansker Gebiet zu zerschlagen, und das letzte Todesurteil gegen einen Rona-Angehörigen wurde gar erst 1978 in der Sowjetunion vollstreckt. 

In der Geschichtsschreibung tauchte Kaminskis Brigade bislang immer nur als eine Horde blutgieriger Halsabschneider auf. Doch hier bestehen Shukow und Kowtun auf gewissen Korrekturen, indem sie den Rona-Kriegsverbrechen jene der sowjetischen Partisanen gegenüberstellen. Auch während des Warschauer Aufstandes agierten Kaminskis Soldaten unbestritten rücksichtslos, doch keineswegs brutaler als etwa der berüchtigte SS-Verband Dirlewanger. Dennoch begründete von dem Bach-Zelewski die Notwendigkeit der Hinrichtung von Kaminski gegenüber Heinrich Himmler mit dem selbst ihm überhand genommenen Marodeursunwesen der Rona. 

Kaminskis Nachrichtendienstchef Kostenko und sein Spionageabwehrchef Kapkaev fanden ab 1945 eine neue Verwendung in US-Geheimdiensten. Im heutigen Rußland gilt Kaminski zwar weiterhin als faschistischer Kollaborateur, doch wurde er 2005 von einer national-chauvinistischen Sekte, der „Russischen Katakombenkirche der wahrhaft rechtgläubigen Christen“, heiliggesprochen.