© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

„Du mußt höllisch aufpassen“
Reportage: In den Zentren deutscher Großstädte wird es immer ungemütlicher
Hinrich Rohbohm

Messerattacken, Körperverletzungen, Raubüberfälle, Diebstähle, Nötigungen, Beleidigungen, Drogenhandel und sexuelle Belästigungen. Deutschlands Großstädte drohen zu einem Pulverfaß der Kriminalität zu werden. 

In zusehends mehr Problemgebieten fällt es der Polizei schwer, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten und der sich ausbreitenden Gewalt zu begegnen. Durch Stellenkürzungen verursachte personelle Engpässe bei den Sicherheitsbehörden sowie die Zuwanderungskrise haben die oft schon länger bestehenden Brennpunkte in den Innenstädten weiter verschärft. Die JUNGE FREIHEIT hat sich in einigen Städten umgesehen. 

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Hamburg

Langsam dreht sich Mario T. um. Zum Vorschein kommt ein Mann um die Fünfzig, mit aufgequollenem Gesicht und schwarzem Haar. An seinem Kinn zeichnet sich deutlich ein gelb, grün und blau schimmernder Fleck ab. „Da hab ich eine gepfeffert bekommen“, erzählt er. Mario kam oft an den Hamburger Jungfernstieg, jene von Touristen und Geschäftsleuten geprägte Flaniermeile der Hansestadt, die mit ihrem Blick auf die Binnenalster als Anziehungspunkt gilt. 

Seit diesem Sommer hat sich das Bild verändert. Auch für Mario. „Ich halte mich nur noch tagsüber hier auf.“ Mario schaut in die Mülleimer. Er holt Flaschen heraus, leere wie angebrochene. Für manche kann er Pfand bekommen. Er fragt Passanten nach einem Euro oder 50 Cent und ärgert sich über jene, die ein körperliches Gebrechen vortäuschen, um bei Passanten größeres Mitleid und höhere Almosen zu erzielen. 

„Wenn es dunkel wird, mach ich die Biege. Is’ mir hier zu ungemütlich geworden.“ Er tippt auf seinen farbigen Fleck am Kinn. „Ha’m mir so’n paar Araber verpaßt“, verrät er nun. Zumeist seien es männliche Jugendliche, denen es nicht gefallen habe, daß er in die Mülltonnen schaue, wie er sagt. Es ist eine Entwicklung, die sich seit einigen Jahren verstärkt hat. Bei Sonnenuntergang wechselt an den Steintreppen zur Binnenalster, nahe dem Alsterpavillon, die Szenerie. Wo bei Tage noch Touristen verweilen, erscheinen zum Abend hin junge, zumeist aus dem arabischen Raum oder vom Balkan stammende Männer. Die idyllische Atmosphäre schlägt in Aggressivität um. Pöbeleien, Schlägereien und Messerstechereien sind keine Seltenheit. Männer gehen mit abgebrochenen Bierflaschen aufeinander los. Bettler werden bespuckt und verprügelt, Frauen beleidigt und begrapscht. Viele der jungen Männer haben Bier- und Schnapsflaschen bei sich. Entsprechend angetrunken wirken einige, die wahllos auf Passanten einreden, sie auch schon mal festhalten. 

„Die Stadt hat lange nur zugesehen. Wenn es brenzlig wurde, war von der Polizei meist nichts zu sehen“, berichtet ein Kioskverkäufer. Inzwischen ist der Brennpunkt Jungfernstieg zu einem Politikum geworden. Die Polizeipräsenz wurde verstärkt. Zu wach sind für den regierenden rot-grünen Senat noch die Erinnerungen an die Zeit, als die Medien Hamburg zur Hauptstadt des Verbrechens ausriefen, und ein gewisser Ronald Schill mit seiner Partei Rechtsstaatlicher Offensive bei den Bürgerschaftswahlen ein Stimmergebnis von knapp 20 Prozent verbuchte, um die SPD nach über 40 Jahren aus der Regierungsverantwortung zu jagen. Seitdem hatte sich ein anderer Brennpunkt weitestgehend entschärft. Lange Jahre war es rund um den Hamburger Hauptbahnhof deutlich ruhiger geworden. Bis voriges Jahr die Zuwanderungskrise begann und Merkels Politik der offenen Grenzen und ihr „Wir schaffen das“-Satz die Republik veränderten ...

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Frankfurt

Von einer Entschärfung der Lage kann dagegen im Frankfurter Bahnhofsviertel in keiner Weise die Rede sein. „Es ist unerträglich“, ärgert sich Marcello V. über die zunehmenden Belästigungen. „Mein Arbeitsweg führt mich seit Jahren über den Hauptbahnhof. So schlimm wie jetzt habe ich es hier noch nicht erlebt“, schildert der 35 Jahre alte Versicherungskaufmann. „Innerhalb von etwa zwanzig Minuten werde ich bis zu fünfmal angequatscht.“ Vor allem von Zigeunern. Bei einigen bleibe es bei der harmlosen Frage nach Geld. Andere jedoch würden weitaus aggressiver auftreten. „Die halten einen fest, werden sogar laut und aggressiv, wenn sie kein Almosen erhalten.“ 

Viele Zigeuner kampieren rund um den Hauptbahnhof. Sie haben eine Fülle von Kleidungsstücken in Kinder- und Einkaufswagen verstaut. Dazu Decken, Taschen, Schirme und Pappkartons. Vor einigen Gebäuden gegenüber dem Bahnhof ist das Schild „Kampieren und Übernachten verboten“ angebracht. Die Plätze rundherum sind dennoch belegt. „Wenn die Polizei kommt, gehen sie weg. Und sobald die Luft für sie wieder rein ist, kommen sie zurück, erzählt ein Mitarbeiter eines nahe gelegenen Internetgeschäftes. Das Herumlungern sei weniger das Problem. „Aber die Klauerei wird unerträglich.“ Auch Passanten berichten gegenüber der JF von Diebstählen oder Diebstahlversuchen. „Man sollte hier seine Sachen möglichst gut festhalten“, meint eine Frau um die Vierzig. Es handele sich um organisierte Banden, oftmals um Roma aus Bulgarien oder Rumänien. 

Wenige hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt beginnt Frankfurts Rotlichtbezirk. Hier florieren schon seit Jahrzehnten nicht nur Menschenhandel und Prostitution, sondern auch das Drogengeschäft. „Die Zigeuner mischen da inzwischen auch munter mit“, sagt ein Barbetreiber aus der Szene. Neben den Bordellen würden sie auch auf den Straßen rund um den Bahnhof „ihre“ Frauen zum Verkauf anbieten. 

In der unteren Ebene des Bahnhofs steigt einem stechender Uringestank in die Nase. Hier trifft man auf Dealer und Junkies, von denen nicht wenige durch ihr aggressives Auftreten auffallen. Körperverletzungen seien hier an der Tagesordnung, berichten Ladenangestellte. Der vor allem von den Grünen in den neunziger Jahren entwickelte sogenannte „Frankfurter Weg“ hat die Ausbreitung eines ausgeprägten Drogenmilieus zudem erheblich beschleunigt. So ist es längst ein offenes Geheimnis, daß Drogenkonsumenten nach Frankfurt kommen, weil sie hier ausgesprochen günstig an ihren Stoff kommen. 

Polizisten und Sicherheitspersonal der Bahn sind an vielen Plätzen zwar präsent. „Kommt es zu ernsthaften Auseinandersetzungen, ist von denen aber meist erst mal nichts zu sehen“, erzählt ein Ladenbetreiber. 

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Köln

Zum Brennpunkt hat sich nicht erst seit den Silvesterübergriffen auch der Kölner Hauptbahnhof entwickelt. Ähnlich wie in Frankfurt berichten Reisende von Diebstählen, Beleidigungen und Tätlichkeiten. „Einmal wurden wir sogar bespuckt“, berichtet ein Rentnerehepaar von einer Gruppe Südländern. „Was guckst du so, Opa“, habe einer von ihnen in „aggressivem Tonfall“ gesagt. „Nach den Silvesterübergriffen war die Polizei schon etwas entschlossener und präsenter. Aber die Täter weichen dann einfach in die Nebenstraßen aus“, meint eine Architekturstudentin, die regelmäßig am Hauptbahnhof vorbeikommt. 

Dabei handelt es sich zumeist um nordafrikanische Intensivstraftäter, bei denen oft schon ein zu langes Hinsehen reicht, um Streitigkeiten hervorzurufen. Sie fallen durch Trickdiebstahl und Gewalttaten auf, befinden sich oftmals illegal in Deutschland. Greift die Polizei ein, erfolgt eine Festnahme in der Regel unter erheblichem Widerstand gegen die Beamten. Neben Messern und Schlagringen verwenden die Täter auch Glassplitter und Pfefferspray, um die Gesetzeshüter anzugreifen. „Einige von denen habe ich schon vor zwei Jahren hier gesehen. Aber obwohl die Polizei sie schon mehrfach festgenommen hat, wenn sie mal wieder Scheiße gebaut haben, sind sie nach einiger Zeit erneut hier“, verrät die Mitarbeiterin eines Schnellrestaurants der JF. 

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Bremen und Hannover

Ein ähnliches Bild bietet sich in Bremen. Auch hier stammen die Täter bei Delikten wie Diebstahl, Körperverletzung oder Raub vorwiegend aus Nordafrika. 

Hinzu kommen die Aktivitäten des kurdisch-libanesischen Miri-Clans, vor dem die Bremer Polizei längst zu kapitulieren scheint. An den nahe dem Bahnhof gelegenen Diskotheken sind Messerstechereien lange schon an der Tagesordnung. Nun nehmen Polizeistatistiken zufolge Diebstähle dort ebenso zu wie im sogenannten „Viertel“, einem Stadtteil im Zentrum Bremens.

Auch in Hannover sind die sogenannten Antanzdiebstähle dramatisch angestiegen. „Du mußt inzwischen höllisch auf Geldbörse und Handtasche aufpassen, gerade in der Disko“, schildert eine regelmäßige Partygängerin ihre Erfahrung. 

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Berlin

Partygänger und Touristen sind auch auf dem Berliner Alexanderplatz Opfer von Überfällen. Allein im vergangenen Jahr kam es hier zu 600 Gewalttaten, unter anderem Raubüberfälle, Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen und Bedrohungen. Die Zahl der Taschendiebstähle ist auch hier 2015 massiv angestiegen, um 54 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Trauriger Höhepunkt der Gewaltverbrechen war der Tod des 20 Jahre alten Deutsch-Thailänders Jonny K., der im Oktober 2012 von mehreren türkischstämmigen Männern zu Tode getreten worden war. 

„Wenn du auf auf dem Alex an die falschen Leute gerätst, bist du verloren, da hilft dir niemand“, ist Carsten L. überzeugt. Der 32 Jahre alte Verwaltungsbeamte geht gelegentlich rund um den Platz feiern und ist schon mehrfach angepöbelt worden. „Dann heißt es für mich zügig weitergehen und nicht noch groß umdrehen.“ Einmal habe man ihm auch das Portemonnaie geklaut. „Ich wurde von einer jungen Frau angesprochen, ob ich etwas Kleingeld für sie hätte. Da fühlte ich hinter mir schon eine Hand an meiner Gesäßtasche.“ Alles sei so schnell gegangen. Polizei sei zwar in der Nähe gewesen. „Aber bis ich denen erklärt hatte, was los war, hatten die Diebe sich längst aus dem Staub gemacht.“

Neben dem Alexanderplatz haben auch am Kurfürstendamm und im Regierungsviertel Taschendiebstähle deutlich zugenommen. Es sind Orte, die besonders bei Touristen beliebt sind und zahlreiche Menschen anziehen. Was sie wiederum zum optimalen Beuterevier für die Täter macht. Gerade jugendlichen Migranten, die sich illegal im Land aufhalten und über keine eigene Einnahmequelle verfügen, bietet sich hier eine willkommene Gelegenheit. Zumal die Taten oft nicht die rechtlichen Voraussetzungen für eine Haftstrafe erfüllen. 

„Die haben doch nichts zu verlieren“, meint ein Rentner auf dem Kurfürstendamm, den das Thema sichtlich auf die Palme bringt. „Welcher Täter landet denn bei Taschendiebstahl im Gefängnis? Ick sach Ihnen mal was. Da passiert nüscht. Die werden von der Polizei wieder laufengelassen und dann geht dat janze Elend von neuem los.“