© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

Wer die Wahl hat
Die US-Außenpolitik nach dem Urnengang: Hillary Clinton läßt Kontinuität vermuten, Donald Trump dagegen eine radikale Wende
Michael Wiesberg

Vor gut drei Wochen schien der Zug für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump so gut wie abgefahren. Ein elf Jahre altes Video, in dem sich Trump spätpubertär über Frauen äußert, schien ihn um alle Chancen gebracht zu haben. Statt Trump stehen nun aber seit einigen Tagen seine demokratische Konkurrentin Hillary Clinton und ihr Ehemann Bill im Auge eines Orkans, der von Wikileaks ausgeht und täglich neue Enthüllungen an die Öffentlichkeit bringt. Europa – und damit auch Deutschland – muß sich also wieder darauf einstellen, es außenpolitisch womöglich mit Trump anstatt mit Clinton zu tun zu bekommen.

Trump: Klimawandel eine Täuschung durch China

Der Immobilien-Tycoon gilt im Hinblick auf die künftigen außenpolitischen Weichenstellungen der Supermacht als schwer zu kalkulierende Größe. Seine Parole „America first“ schließt auch eine Abkehr vom bisherigen Selbstverständnis der Außenpolitik ein, nämlich daß die USA der Hort der Freiheit seien und ihre „offensichtliche Bestimmung“ darin bestehe, diese Freiheit auch in alle Welt zu tragen. Und das kann unter Umständen mit militärischen Interventionen verbunden sein (Stichwort Demokratieexport). Insbesondere aus dieser Gewißheit speist sich im weiteren der Anspruch, daß den USA als „unverzichtbarer“ Nation die Führungsrolle zufällt; verbunden mit der Aufgabe, international für Stabilität zu sorgen.

Trump hingegen ist der Auffassung, daß diese Führungsrolle, so wie sie bisher ausgelegt wurde, für die USA alles andere als vorteilhaft ist. Deren Partner übernähmen zuwenig Verantwortung für ihre eigene Sicherheit; am Ende seien es die USA, die zur Kasse gebeten werden. In einer außenpolitischen Grundsatzrede im April dieses Jahres erklärte er beispielsweise, die Partner der USA – und allen voran die Nato-Mitglieder und damit auch Deutschland – müßten die Verteidigungsausgaben deutlich erhöhen, und zwar auch für stationierte US-Truppen. In Deutschland sind immerhin noch etwa 36.000 US-Soldaten stationiert, gegenüber rund 72.000 Soldaten im Jahre 2006. Nur en passant sei hier vermerkt, daß diese Forderung auch von Obama und anderen US-Politikern immer wieder erhoben wurde. Wer sich dem verweigere, so Trump, dürfe nicht mehr auf die Hilfe der USA rechnen.

Weiter steht Trump dem Freihandel skeptisch gegenüber, der vor allem in der Ära Obama unter anderem aus geostrategischen Gründen zu den außenpolitischen Kernanliegen gehörte; auch wenn unter dessen Ägide weder das transatlantische (TTIP) noch das transpazifische Freihandelsabkommen (TPP) ratifiziert werden konnten. Trump ist der Meinung, der Freihandel habe den Arbeitnehmern in den USA vor allem Lohn- und Arbeitsplatzverluste gebracht. Die Staaten müßten hier vor allem ihre eigenen Interessen im Auge haben; nur was ihnen selbst nutze, sei letztlich effiziente Politik.

Mit Blick auf die direkten Konkurrenten der Hegemoniestellung der USA in der Welt, China und Rußland, kündigte er an, mit beiden kooperieren zu wollen, sofern es gemeinsame Schnittmengen gebe. Aber auch hier lautet die Maxime, daß diese Zusammenarbeit zum Vorteil der USA ausschlagen müsse. Allerdings hat Trump eine klare Kampfansage in Richtung China ausgegeben, dem er Diebstahl geistigen Eigentums, illegales Produktdumping und verheerende Währungsmanipulationen zu Lasten der USA vorwirft.

Die immer wieder angesprochene Unerfahrenheit und die „Flexibilität“ Trumps, der Standpunkte, die ihm schaden, schnell wieder relativieren oder verwerfen kann, sollten indes nicht dazu verführen, zu glauben, daß dessen Beraterstab, sollte Trump ins Weiße Haus einziehen, schon dafür sorgen wird, daß sich alles in den bisher gewohnten Bahnen bewegt. Gerade außenpolitisch, das lehrt unter anderem das Agieren der Regierung George W. Bush, die sogar vor völkerrechtswidrigen Angriffskriegen nicht zurückschreckte, hat der US-Präsident einen erheblichen Entscheidungsspielraum. Ein US-Präsident Trump hätte zum Beispiel die Möglichkeit, internationale Verträge aufzukündigen; das Nord­amerikanische Freihandelsabkommen (Nafta), das seit 1994 die USA, Kanada und Mexiko zu einem Binnenmarkt zusammenschließt, hat er oft scharf kritisiert.

Eine klare Meinung hat Trump auch zum Klimawandel; dieser sei schlicht „Bullshit“. Die vorgebliche globale Erwärmung, so Trump, sei eine Erfindung und eine großangelegte Täuschung („Hoax“) der Chinesen, um die Konkurrenzfähigkeit der US-Wirtschaft mittels Klimaabgaben gefährlich zu schwächen. Dieser Unfug sei „einfach eine sehr, sehr hohe Steuer. Eine Menge Leute machen damit eine Menge Geld“. 

Seine Konkurrentin Hillary Clinton vertritt hier eine völlig entgegengesetzte Position; sie ist der Überzeugung, daß der Mensch Verursacher des Klimawandels ist. Sie will deshalb an den Clean-Power-Plan Obamas anknüpfen, mit dem die CO2-Emissionen im Land bis 2030 um 32 Prozent reduziert werden sollen.

Rückschlag für das US-Bündnissystem in Asien

Hillary Clinton, die in der Zeit der Regierung Obama Außenministerin war (2009–2013), hat mehrfach durchblicken lassen, außenpolitisch den Faden der Regierung Obama aufnehmen zu wollen. Es darf also davon ausgegangen werden, daß sie grosso modo die multilaterale Variante liberaler Hegemoniepolitik, also die Kooperation mit den Verbündeten, fortsetzen wird. Allerdings ist die außenpolitische Bilanz der Regierung Obama alles andere als ermutigend. So steht eine der geostrategischen Kernentscheidungen dieser Regierung, nämlich die USA in Richtung Asien (Stichwort „pivot to Asia“ – „Dreh- und Angelpunkt Asien“) auszurichten, auf der Kippe. Mittlerweile haben sich nicht nur der philippinische Staatspräsident Rodrigo Duterte Peking angenähert, sondern auch Thailand und Malaysia gehen auf China zu, was für das US-Bündnissystem in Asien ein gravierender Rückschlag ist: Obama verfolgte unter dem Schlagwort „Pivot to Asia“, an dessen Konzeption auch Hillary Clinton beteiligt war, eine umfassende militärische, wirtschaftliche und diplomatische Strategie, die die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten auf der eurasischen Landmasse sicherstellen soll. Insbesondere die im Rahmen von TPP geplanten Militärstützpunkte sollten dazu diesen, China mit einer Art „Cordon sanitaire“ abzuschirmen. Selbst aber Japan, Südkorea und Australien, die Säulen des Abkommens, zeigten zuletzt wenig Interesse an einer Konfrontation mit China.

Aus diesen Entwicklungen läßt sich auch ablesen, daß die USA immer weniger in der Lage sind, ihre Hegemoniestellung weiterhin global aufrechtzuerhalten. Obama hat versucht, aus dieser Einsicht mit der Strategie des „Offshore Balancing“ eine Tugend zu machen. Offshore Balancing soll einen Mittelweg zwischen reinem Isolationismus, der vorgibt, daß die Vereinigten Staaten keine Interessen im Ausland hätten, die es wert sind, verteidigt zu werden, und dem Interventionismus ermöglichen, der die USA in teure militärische Konflikte im Ausland geführt hat. Dieses Konzept verzichtet sowohl auf einen massiven Militäreinsatz als auch auf eine zu starke internationale Präsenz der USA. Die schwindenden Mittel Amerikas dürften auch Clinton oder Trump auf einen ähnlichen Weg zwingen. Dennoch kann mit Blick auf Clinton nicht ausgeschlossen werden, daß sie sich dazu hinreißen lassen könnte, in Syrien mit Bodentruppen einzugreifen.

In diese Richtung deuten zum Beispiel Äußerungen, daß Victoria Nuland für die Clinton-Regierung ins State Department einziehen könnte. Die 55jährige arbeitet seit 1984 im Außenministerium und war stellvertretende Außenministerin unter Obama. Sie ist verheiratet mit Robert Kagan, einem der „neokonservativen“ Vordenker der Ära George W. Bush und Vertreter eines unilateralen Interventionismus. Neben der Bush-Familie gehören zum engen Umfeld des Historikers Kagan so bekannte „Falken“ wie Dick Cheney, Donald Rumsfeld oder Paul Wolfowitz, die maßgeblichen Anteil an der Destabilisierung des Mittleren Ostens haben.

Aus deutscher Sicht würde eine mögliche Präsidentschaft Donald Trumps neben einer Reihe von Reibungspunkten (wie Freihandel oder Klimapolitik) mit einiger Sicherheit aber auch neue außenpolitische Spielräume eröffnen – und zwar deshalb, weil er gegenüber dem Rußland Putins nachgiebigere, jedenfalls moderatere Töne anschlagen dürfte, was der Mittlerrolle Deutschlands zwischen Ost und West wichtige neue Impulse verleihen könnte. Mit Blick auf Clinton gilt es sich auf einen verstärkten Interventionismus insbesondere im Mittleren Osten einzustellen, bei dem es aus deutscher Sicht indes nicht einfach nur darum gehen kann, abzuwarten und gegebenenfalls logistische und finanzielle Handlangerdienste zu leisten, sondern frühzeitig über Hebel einer (gegebenenfalls korrigierenden) Einflußnahme nachzudenken. Dafür eröffnet bei einem entsprechenden politischen Willen die wirtschaftlich angeschlagene und verunsicherte Supermacht durchaus Mittel und Wege.