© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

„Wir hatten Angst“
Italien: Zahlreiche Kirchenschändungen verängstigen die Gläubigen, finden aber selten den Weg in die Öffentlichkeit
Marco F. Hermann

Verstörende Szenen flimmern auf dem Bildschirm: Zielstrebig schreitet ein Mann in eine römische Barockkirche und stößt eine Heiligenfigur von ihrem Podest. Der heilige Antonius von Padua, der Lieblingsheilige der Italiener, stürzt auf den Marmorboden – sein Kopf zerschmettert in tausend Stücke. Das Jesuskind in seinen Armen wird bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Danach vergreift sich der Eindringling am Altar, wirft Kandelaber und das Kreuz hinunter. Mit einem der Kerzenständer zertrümmert er die Arme und den Kopf einer weiteren Figur in einer Mauernische.

In der Seitenkapelle stürzt er den Altarschmuck hinunter und nutzt das Kreuz als Knüppel, um sein Zerstörungswerk fortzusetzen. Zuletzt schmettert er die heilige Praxedis zu Boden. Von der Statue bleiben nur noch Staub, Scherben und der Rumpf übrig.

Polizei sieht beim Täter eher psychische Probleme

Zwischen dem 30. September und dem 1. Oktober werden vier Kirchen Opfer des 39 Jahre alten Ghanaers, der von der Videokamera gefilmt wurde. Sein erstes Ziel ist die Basilika Santa Prassede. Sie liegt in direkter Nähe von Santa Maria Maggiore, einer der vier Papstbasiliken der Ewigen Stadt.

 Santa Prassede ist für ihre reichhaltige byzantinische Ausstattung aus dem 9. Jahrhundert berühmt und gilt als Vorzeigebau der Karolingischen Renaissance.  Mehrere Päpste fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Einige Gemeindemitglieder sehen schreiend mit an, wie der kräftige Mann seinem Zerstörungswerk nachgeht und anschließend flieht. Noch am selben Abend stürmt er die Kirche San Martino ai Monti, wo er eine Madonnenstatue zerstört. Am nächsten Tag randaliert der Kirchenschänder in San Giovanni dei Fiorentini und San Vitale. Im Herzen der katholischen Christenheit wird unwiederbringliches Kulturgut aus dem 18. Jahrhundert vernichtet.

Pedro Savelli, der Priester von Santa Prassede, glaubte im ersten Moment an einen terroristischen Anschlag und „einen Extremisten des IS“. Laut Savelli wiederholte der Täter die Worte: „Der Gebrauch dieser Bilder geht nicht in Ordnung.“ Der Überfall hatte sich nur kurz nach der Messe ereignet, die Kirche war voller Gläubiger. „Die Leute flohen, wir hatten Angst, wir wurden terrorisiert, wir wußten nicht, ob er bewaffnet war.“

Die Polizei geht statt dessen von psychischen Problemen des Täters aus. Der Ghanaer sei zwar bereits vorher wegen verschiedener Delikte aufgefallen, seine Papiere seien jedoch in Ordnung. Nach seiner Festnahme brachte die Polizei den Migranten zuerst ins Krankenhaus, da er sich bei seiner letzten Zerstörungsaktion am Fuß verletzt hatte.

„Allahu akbar“-Rufe im Kirchenschiff 

Die Ereignisse in Rom sind nur der Höhepunkt einer ganzen Reihe von Kirchenschändungen in Italien. Erst Ende Juli ordnete Innenminister Angelino Alfano die Ausweisung zweier Marokkaner an, die wegen Vandalismus in die Schlagzeilen geraten waren. Der 25jährige Kakman Naib hatte am 12. Juli in Venedig gewütet und in der Kirche San Geremia ein Kreuz aus dem 18. Jahrhundert umgestürzt. Wie in Rom, so schrie der Täter auch hier, die Verehrung sei „falsch“.

Naibs Landsmann, der 69jährige Briji Salah, hatte bereits am Neujahrstag 2015 zugeschlagen. In Cles bei Trient prügelte der Greis in einer Kirche gegen eine Madonnenstatue und hämmerte mit Kandelabern auf den Altar ein. Neben Koranversen schrie er mehrfach „Allahu akbar“, verdammte die katholische Religion und drohte, „Berlusconi und dem Vatikan den Kopf abzuschlagen“. Die Regionalzeitung Trentino berichtete, Salah sei kein Moscheegänger gewesen, sondern habe unter psychischer Verwirrung gelitten. 

Auf das Bilderverbot im Islam und die jahrhundertelange Bilderstürmung im islamischen Raum gehen weder Polizei noch Medien ein. Auch der Hinweis auf Propagandavideos von Islamisten, die Marienstatuen und Devotionalien zerstören, bleibt aus. Die Religionszugehörigkeit der Verdächtigen wird ausgeklammert. Mangelnde Videoüberwachung, besonders in den kleinen Gemeinden, erschwert die Ermittlungen. In Scicli auf Sizilien wurden in der Kirche San Matteo vor zwei Wochen nicht nur Türscheiben eingeschlagen, sondern auch eine Christusstatue aus der Renaissance verstümmelt. In Massanzago bei Padua schlugen Unbekannte im selben Zeitraum Fenster eines Oratoriums mit Steinen ein. Im August wurde eine Madonnenstatue im lombardischen Grandante bei Como verstümmelt und zu Boden gestürzt, der Altar beschädigt und der Tabernakel gestohlen. Ein ganz ähnlicher Vorfall ereignete sich im sizilianischen Messina, in der Kirche Sant’Elena. Offiziell gehen die Pfarrer dieser Gotteshäuser aber von einer „satanistischen Sekte“ als Urheber aus.