© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

Licht und Schatten
Küchenland Deutschland: Ständiger Überlebenskampf trotz steigender Umsätze
Thomas Fasbender

Deutschland ist ein Gigant in Sachen Küchenmöbelbau. Allein die acht größten Hersteller setzen rund 2,5 Milliarden Euro um. Insgesamt existieren Dutzende Produzenten. Die Entwicklung in den vergangenen Jahren war gut – die Küche ist längst kein vernachlässigtes Refugium der Hausfrau mehr. Wachstumstreiber im Küchenmöbelmarkt sind die kochbesessenen Männer, die nicht nur hinter dem Gartengrill, sondern auch vor dem Küchenherd beweisen wollen, was Sterne-Qualität ist. Die Besserverdienenden unter ihnen sorgen dafür, daß Küchen zum Preis von über 50.000 Euro nichts Besonderes sind. 

Mit dem Markt wuchsen auch die Kapazitäten. Die Hersteller schielen auf Skalenökonomie und Marktanteile. Wo die einen sich für Übernahmen verschulden, rutschen die anderen nach unten weg. Wer erinnert sich an Namen wie Klostermann, Horst oder Brinkmeier? Alles Küchenproduzenten, die Konkurs anmelden mußten. Die Branche ächzt. Licht und Schatten wechseln sich ab. Trotz steigender Umsätze ist der Überlebenskampf hart: Überkapazitäten, verlangsamtes Wachstum und Konkurrenz. Hinzu kommen Veränderungen im Kundenverhalten. Die klassische Schrankwand etwa, altdeutsch in Eiche , ist völlig aus der Mode.

Alno, jahrelang die Nummer eins, hat schwer zu kämpfen 

Dabei wachsen die Umsätze immer noch deutlich stärker als die Gesamtwirtschaft: 6,2 Prozent im Vorjahr, 3,5 Prozent Prognose für 2016. Zwischen 2005 und 2015 ist gar eine Steigerung von 36,7 Prozent zu verzeichnen. Dennoch liegt die Kapazitätsauslastung bei gerade einmal 87 Prozent – zuwenig, um die hohen Fixkosten zu decken. Auch 2016 haben deutsche Möbelhersteller Konkurs anmelden müssen. Der Wackelkandidat unter den Küchenproduzenten ist Alno, lange Jahre die Nummer eins, dann Zweiter hinter dem Marktführer Nobilia. Das Unternehmen aus Pfullendorf in Baden-Württemberg zählt mit gut 520 Millionen Euro Umsatz und 2.100 Mitarbeitern zu den weltweit größten seiner Art. Die Wurzeln reichen bis in die zwanziger Jahre zurück. 1927 machte sich der damals 21jährige Albert Nothdurft mit einer Schreinerwerkstatt in Wangen bei Göppingen selbständig.

 Der große Aufschwung kam in der Wirtschaftswunderzeit, bald darauf begann auch die internationale Expansion. Tochtergesellschaften in Frankreich, Belgien, Italien, der Schweiz, Großbritannien und den Niederlanden entstanden. 1970 stieg sogar der AEG-Konzern bei Alno als Mehrheitsgesellschafter ein. Nach zwölf Jahren trennte man sich wieder. Später wurden die Küchenhersteller Impuls und Pino übernommen. 

Nach dem Ableben des Gründers 1997 begannen dann die Probleme. Überkapazitäten plagten, und nach 2000 jagte ein Restrukturierungsprogramm das nächste. Inzwischen versucht der Vorstandsvorsitzende Max Müller einen konsequenten Gesundungskurs. Beteiligungen wurden abgestoßen; derzeit bietet das Unternehmen nur noch die Produktlinien Alno, Wellmann und Pino an. Produziert wird in Pfullendorf, Enger und Coswig. Konsequent verfolgt Müller hingegen die Expansion in China und – aufgrund der geographischen Nähe – in der Schweiz, wo Alno die AFP Küchen übernommen hat.

Nach schwierigen Jahren wurde 2015 erstmals wieder ein bereinigter Ebita-Gewinn verzeichnet. Der damit ausgelöste Optimismus wird allerdings – trotz Umsatzsteigerung – durch die Halbjahreszahlen nicht gestützt. 2016 wird wohl wieder ein Verlust eingefahren. Das eigentliche Damoklesschwert sind die laufenden Darlehen. Eine Mittelstandsanleihe über 45 Millionen Euro wird im Mai 2018 fällig. Das Papier notiert derzeit bei 57 Prozent des Nennwerts. Weitere gut 33 Millionen anderer Kreditgeber müssen bis September 2017 zurückgezahlt werden. Außerdem schuldet das Unternehmen dem US-Haushaltsgeräteriesen Whirlpool 41 Millionen Euro.

Ostwestfalen – Mekka der Küchenproduzenten

Das Eigenkapital ist praktisch aufgezehrt. Gerüchten zufolge kommt es möglicherweise zu einer Übernahme der bisher von Whirlpool gehaltenen Alno-Aktien durch den Investor Tahoe. Doch auch wenn es gelingen sollte, die 2016 und 2017 fälligen Darlehen in Eigenkapital der Gesellschafter umzuwandeln – im Mai 2018 schlägt die Stunde der Wahrheit. Wenn Alno es bis dahin nicht schafft, Kapazitäten abzubauen und die Profitabilität zu steigern, steht das Unternehmen endgültig vor dem Aus.

Unter den großen deutschen Herstellern ist Alno mit den beschriebenen Problemen eher die Ausnahme. Der international renommierteste Produzent, Bulthaup aus Bodenkirchen bei Landshut, steht mit rund 120 Millionen Euro Umsatz zwar nur an Platz sieben der Branchengroßen, belegt dafür aber im Luxusmarkenranking den vierten Platz. 

Bulthaup, seit der Gründung 1949 für exklusives Design bekannt, ist auch Erfinder des inzwischen von allen Herstellern propagierten Arbeitstischs in der Küchenmitte – was an sich schon die Tatsache bezeugt, daß Bulthaup für eine betuchte Kundschaft produziert. 80 Prozent der Möbel gehen ins Ausland. Das wiederum macht Bulthaup abhängig von den Konjunkturzyklen in den großen Schwellenländern. Auch wohlhabende Russen und Chinesen halten sich in schwächeren Zeiten beim Kauf teurer Küchenmöbel zurück.

Zu den deutschen Zentren der Küchenproduktion gehört vor allem Ostwestfalen. Dort ist auch der Marktführer ansässig: Nobilia in Verl. Die Firma produziert für den Mittelstand; die Küchen kosten im Schnitt 5.500 Euro. Gefertigt wird ausschließlich in Deutschland, und zwar in zwei Werken fast 2.500 Küchen am Tag. 40 Prozent davon gehen ins Ausland. Seit der Jahrhundertwende hat sich der Umsatz auf über 850 Millionen mehr als verdoppelt; der Marktanteil liegt bei 30 Prozent.