© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

Wolfsburger Datenkrake am Mittelmeer
Autoindustrie: Der vom Dieselskandal gebeutelte VW-Konzern sucht sein Heil in der Verkehrstelematik und der Elektromobilität/ Neues IT-Zentrum in Barcelona?
Michael Ludwig

Apples und Googles Autopläne seien der „Alptraum deutscher Autohersteller“, hieß es voriges Jahr in der Wirtschaftspresse. Doch um den iCar ist es merkwürdig still (JF 39/16), und Teslas  „selbstfahrende“ Elektroautos sind durch Unfälle in den Schlagzeilen und liegen in der US-Zuverlässigkeitsrangliste des Consumer Reports auf dem fünftletzten Platz.

In Wahrheit haben es die Börsenriesen von der amerikanischen Westküste ohnehin auf etwas ganz anderes abgesehen: die Daten, die jeder Fahrer produziert, zu sammeln und daraus ein Geschäftsmodell zu kreieren. BMW, Daimler und die VW-Tochter Audi wollen dabei nicht zurückstehen. Daher kauften sie 2015 für 2,8 Milliarden Euro den Navigationsdienst Here von Nokia. Und die Stau- oder Unfallmeldungen werden künftig brandaktuell sein: die entsprechenden Daten liefern die Sensoren aus den vernetzten Autos.

Zudem müssen ab März 2018 alle EU-Neuwagen mit eCall (JF 18/16) ausgestattet sein. Die Mobilfunk-Karte und die Satellitenantenne sollen offiziell nur Hilfe im Notfall rufen, doch auch Verkehrstelematik wäre damit möglich. Angesichts dessen überrascht es nicht, daß VW in Barcelona ein weiteres großes Datenzentrum plant. Es soll laut Medienberichte vor allem dazu dienen, die riesigen Datenmengen der einzelnen Autocomputer schneller und effizienter an den Fahrer weiterzuleiten, die elektrischen Speicherkapazitäten fortzuentwickeln und die Schaffung eines selbständig fahrenden Pkws voranzutreiben.

Bei VW und der spanischen Tochter Seat, deren Fabrikhallen in Martorell nahe Barcelona stehen, will man sich über solche „Gerüchte“ nicht äußern, aber belegt ist, daß intensive Verhandlungen laufen. Zum einen werden sie von deutscher Seite mit der Provinzregierung Kataloniens geführt, zum anderen mit dem Rathaus von Barcelona. Offenbar hat Wolfsburg noch nicht entschieden, wo das Technologie-Zentrum hin soll.

Für die Kleinstadt Martorell spricht, daß Seat dann wohl direkten Zugriff auf das Datenzentrum hätte. Die Infrastruktur wäre vorhanden, die neuen Mitarbeiter könnten ohne größere Probleme in den weltweit operierenden Konzern eingebunden werden. Die katalanische Hauptstadt hingegen punktet mit hervorragenden Hochschulen, die ein Umfeld schaffen, in dem sich begabte Studenten und Wissenschaftler sowie zahlreiche Start-ups tummeln und ausgesprochen wohl fühlen. Die 1,6-Millionen-Metropole am Mittelmeer wäre daher ein attraktiver Standort.

Computer auf Rädern und Elektroautos aus Spanien?

Auf dem Pariser Automobil-Salon hat Seat-Chef Luca de Meo eine ehrgeizige Marschroute vorgegeben: „Wir wollen ein umweltfreundliches Hardware-Produkt herstellen. Wir möchten die Marke sein, die Mobilität als Erfahrung besser als jede andere zur Geltung bringt.“ Als Termin wird das Jahr 2019 genannt. Bei der Hardware soll es sich entweder um einen völlig neuen Seat handeln oder um eine Elektroversion des Ibiza.

Was die neuen Mitarbeiter in dem Data-Lab von Katalonien treiben werden – ihre Anzahl ist genauso geheim wie die Investitionssumme –, läßt sich in München ablesen, wo ein derartiges Datenzentrum für VW bereits existiert. Die erste Aufgabe, die man sich dort gestellt hat, war, wie viele Ersatzteile werden die nächsten Jahre für Modelle benötigt, die nicht mehr hergestellt werden. Man experimentierte mit Algorithmen, die entsprechend übertragen wurden. Das Ergebnis: der Konzern konnte deutliche Einsparungen erzielen.

Heute ist man einen großen Schritt weiter. Auf einem Bildschirm erscheint der Münchner Stadtplan, es geht um die Frage, wo und wann wird der nächste Parkplatz frei – für den gehetzten Großstadtautofahrer ist das eine wichtige Information. Der vom Münchner Data Lab entwickelte Algorithmus kann bis zu 90 Sekunden vor dem Ausparken erkennen, daß der Fahrer losfahren und den begehrten Parkplatz freigeben wird. Das Computerprogramm meldet den Start des Wagens und deutet die Bewegung des Lenkrads: Kein Zweifel, hier will einer wieder am fließenden Verkehr teilnehmen. Die Info wird weitergegeben. Wer die entsprechende Software zum Empfang besitzt, hat, was die Parkplatzsuche betrifft, einen unschätzbaren Vorteil.

Die Ausstattung der Autos wird sich ohnehin immer mehr in Richtung Computertechnik verlagern. „Heute hat unser Golf mehr als 50 Steuergeräte und so viel Rechenleistung wie 20 High-End-PCs an Bord. Ich bin sicher: Das Auto von morgen wird noch stärker von Software, Daten und Elektronik geprägt sein“, erklärte der damalige VW-Chef Martin Winterkorn anläßlich der Gründung des Datenzentrums in München.

Möglicherweise wird sich die notorisch defizitäre VW-Marke Seat künftig auf die Weiterentwicklung von Elektroautos konzentrieren, denn bei den „lokal emissionsfreien“ hat VW noch viel vor. Voriges Jahr wurden in Deutschland allerdings nur 23.460 E-Autos verkauft – mit 2.100 verkauften Golfs GTE landete VW auf Platz vier, hinter Kia Soul (3.850), BMW i3 (2.250) und Mitsubishi Outlander (2.150). VW setzte hingegen zugleich 683.000 und Seat 94.000 Benzin- und Dieselautos ab. Bei dem spanischen Ableger blickt man dennoch optimistisch in die Zukunft. Nach fünf Jahren, in denen Seat rote Zahlen schrieb, schaffte man 2014 einen bescheidenen Gewinn von vier Millionen Euro. In der ersten Hälfte dieses Jahres waren es bereits 93 Millionen. Mit Hilfe des Datenzentrums und den Anstrengungen in Sachen Elektroauto, so hofft man auf der Iberischen Halbinsel, wird man sich auf der Überholspur noch flotter bewegen können.