© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

Wenn aus Soldaten Siedler werden
Ein Sammelband über die Bedeutung des Militärs in der Migrationsgeschichte seit Alexander dem Großen
Klaus Hornung

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind Begriffe wie Flucht, Vertreibung, Migration nicht  mehr aus dem politischen Vokabular verschwunden, in Europa und weltweit. ln den letzten Jahren sind sie zunehmend auch zu Synonymen weltpolitischer Konflikte geworden. Es braucht nicht zu verwundern, daß viele mögliche Facetten auch in der Wissenschaft wachsende Aufmerksamkeit gefunden haben; als sogenannte Migrationsforschung und in den letzten Jahren auch als „militärische Migrationsforschung“. 

Von ihr gibt der vorliegende Band Zeugnis, der eine Tagung zusammenfaßt, die im November 2012 in Osna-brück stattfand und von einem Arbeitskreis Militärgeschichte in Kooperation mit dem Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien (Imis) ausgerichtet wurde. Sein Forschungsfeld ist weitgefächert. Es handelt von Zuwanderung, Niederlassung und Transformation im Kontext militärischer Migration, von Migration und Mobilität durch Besatzung und Stationierung bis etwa zu den Problemen der Kriegsgefangenschaft und ihren Auswirkungen.

Am Beginn stehen zum Beispiel „Probleme und Auswirkungen der Ansiedlung griechischer Soldaten im hellenistischen Baktrien“ im Zusammenhang mit dem bekannten Zug Alexanders des Großen seit 324 v. Chr. bis in das tiefe Zentralasien, das heutige Usbekistan und Pakistan. Der Makedonenkönig unternahm dabei eine gezielte Ansiedlung griechischer Soldaten, zumeist Söldner, die dort Familien gründen und auch Garnisonsstädte bauen sollten als Grundlegung einer griechischen Großreichsbildung, die dann auch zeit- und teilweise in der Gestalt „hellenistischer“ Königreiche Verwirklichung fand und die Generationen später eine der Voraussetzung des Römischen Reiches wurden. 

Eine andere grundlegende Abhandlung geht auf die Militärpräsenz des Imperium Romanum am Limes des Niederrheins ein, die zur Entstehung einer „militarisierten Grenzgesellschaft“ und dann zur Herausbildung neuer „Völker“ aus der Mischung gallischer und römischer Bestände mit der germanischen, vor allem fränkischen Zuwanderung führte. Dieser Prozeß reichte von der römischen Besetzung bis zum neuen Reich der fränkischen Merowinger seit dem 5. Jahrhundert, das dann bei Karl dem Großen mündete. Die weiteren Aufsätze sind nicht immer von der Relevanz der beiden ersten und befassen sich mit  der Bildung des ungarischen Verteidigungssystems in den Karpaten und der späteren rumänischen Fürstentümer oder mit der Migration und Integration tatarischer Soldaten in die preußische Armee 1795/1800. 

Eine Untersuchung befaßt sich mit  dem Subsidienvertrag des württembergischen Herzogs Karl Eugen mit der niederländischen Ostindienkompanie 1786 zur Aufstellung eines Kap-regiments. Das war kein Einzelfall, sondern reiht sich in eine schändlichen Geschichte ein: die Bereitstellung deutscher Söldner durch die kleineren deutschen absolutistischen Fürsten gegen Geld, vor allem für die Briten und deren Kriege in der Neuen Welt. Dieses historische Phänomen hat kaum zur Mehrung des deutschen Ansehens zumal bei den Angelsachsen beigetragen hat.

Ein lange vernachlässigtes Thema war die Geschichte der Kriegsgefangenschaft in den beiden Weltkriegen, hier der russischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn 1914/18 und deren Kommunikation mit der Zivilbevölkerung bis hin zur Geschichte der „Russenkinder“. Aufschlußreich sind auch die Zahlen der deutschen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg, deren Hauptteil auf die Großmächte entfiel: USA und Sowjetunion je rund 3,1 Millionen, Großbritannien 3,6 Millionen, Frankreich 900.000 und Jugoslawien etwa 300.000. 

Insgesamt betrug die Zahl der deutschen Gefangenen 1945 bei Kriegsende rund elf Millionen. Die Untersuchung berichtet auch über die unterschiedliche Kontaktdichte der deutschen Gefangenen mit der Zivilbevölkerung (Großbritannien 91 Prozent, Frankreich 84 Prozent, Sowjet-union immerhin noch 50 Prozent). Der Herausgeber weist mit Recht darauf hin, daß die Migrationsgeschichte und ihre Erforschung zeigt, wie eng sie mit der Kriegs- und Militärgeschichte verbunden ist. Am ehesten ist das noch in der Epoche der sogenannten Völkerwanderung oder auch der deutschen und europäischen Ostkolonisation bekannt. In anderen Feldern der Weltgeschichte, etwa der Eroberungsgeschichte des Islam, harrt da noch manches der Aufklärung.

 Christoph Rass (Hrsg.): Militärische Migration vom Altertum bis zur Gegenwart. Schöningh Verlag, Paderborn 2016, gebunden, 364 Seiten, 44,90 Euro