© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

Von der Lust, eine Täterstadt zu sein
Konrad Löw und Felix Dirsch sezieren die Machart des NS-Dokumentationszentrums München
Günter Bertram

Am 30. April 2015 öffnete das „NS-Dokumentationszentrum München“ seine Pforten – als Einrichtung der Landeshauptstadt gemeinsam mit dem Freistaat Bayern und der Bundesrepublik Deutschland. Die auf vier Stockwerken verteilte Ausstellung wird, wie es dort heißt, durch die beiden zentralen Fragen geprägt: „Warum München?“ und „Was hat das mit heute zu tun?“ Den Besuchern empfiehlt sich dazu ein 624 Seiten starker Katalog mit 850 Abbildungen, in dem der Oberbürgermeister den aktuellen Zweck des Unternehmens als die „Herausforderung an die oft schweigende Mehrheit“ umschreibt, dem Rechtsradikalismus, Antisemitismus und den alltäglichen Formen von Diskriminierung und Rassismus ein klares „Nein“ entgegenzusetzen. 

Das sind abgestandene Floskeln, auf die einzugehen müßig ist. Schon sie lassen aber Zweifel aufkommen, ob der Anspruch des Hauses, „Lern- und Erinnerungsort zur Geschichte des Nationalsozialismus in München zu sein“, ernst gemeint ist. Konrad Löw (geboren 1931 in München) und Felix Dirsch (Geburtsjahr 1967) haben die „Dokumentation“ kritisch unter die Lupe genommen und sind zu einem vernichtenden Resultat gelangt.

Schon die Präsentation von „Der Münchener“, einer Karikatur im Simplizissimus von 1923, der einen primitiven Bierdampfl ohne Stirn und Hirn mit Hakenkreuzen statt Augen zeigt, soll suggerieren: „So war München“ – und zwar schon zehn Jahre vor Hitlers Machtantritt; also kein Wunder, daß daraus die „Hauptstadt der Bewegung“ wurde. „Mehr als jede andere Stadt war München mit dem Nationalsozialismus verknüpft und verstrickt“ , heißt es. Tatsächlich aber war es München, wo 1923 Hitlers „Marsch auf die Feldherrenhalle“ unter den Kugeln der bayerischen Polizei ein klägliches Ende fand; und in München waren die Reichstagswahlen für die NSDAP schon immer besonders blamabel ausgefallen; sogar noch am 5. März 1933 kam sie aller Gewalt zum Trotz auf nur 37,8 Prozent. 

München eher unpassende „Hauptstadt der Bewegung“  

Hauptstadt der Bewegung? Hier wie auch sonst fallen die Ausstellungsmacher auf die Propaganda Joseph Goeb-bels’ herein, der allerdings München – aus seiner Sicht mit Recht – für in Wirklichkeit klerikal und „reaktionär“ hielt und noch 1943 seinem Tagebuch grimmig anvertraute „die Stadt (München) muß noch sehr viel lernen und noch sehr viel an Leistung vollbringen, wenn sie sich ihren Ehrentitel einer Stadt der Bewegung (schon gar nicht mehr: ‘Hauptstadt der Bewegung’!) wirklich verdienen will“. 

München und Bayern waren es immerhin zuvor gewesen, die sich beharrlich geweigert hatten, ihrem österreichischen Einwohner Adolf Hitler die deutsche Staatsangehörigkeit zu verleihen. Erst nachdem Braunschweig 1932 diesen Wunsch erfüllt hatte, konnte Hitler zur Reichstagswahl antreten und das Unheil seinen Lauf nehmen. Von all dem schweigt die Ausstellung und spinnt ihre brüchige Prämisse unverdrossen fort.

Hat die Münchner Bevölkerung den nationalsozialistischen, zuletzt mörderischen Judenhaß geteilt und ihn in Mitläufer- oder Mittäterschaft gefördert oder gleichgültig hingenommen? Ja, behauptet die Ausstellung, auch hier sei München seiner Rolle als Hauptstadt der Bewegung und „Täterstadt“ verhaftet geblieben und solle dessen in Scham gedenken. Wer, statt gleich in Scham zu versinken, zunächst nach Belegen und Beweisen fragt, macht sich dann verdächtig; wer solche Zweifel mit Tatsachen untermauert, ist noch schlimmer, ihm wird das Etikett Revisionist, Leugner und Verharmloser angeheftet. 

Konrad Löw hat diesen Konflikt nie gescheut, sein umfangreiches Quellenmaterial in zahlreichen Büchern ausgebreitet, die auch in der JUNGEN FREIHEIT gewürdigt worden sind; und er hat erfolgreich bis zum Bundesverfassungsgericht gegen seine Verleumder gestritten. Hunderte jüdischer Quellen – von ihm akribisch gesammelt – zeigen, daß vor dem Hintergrund ihrer mörderischen Verfolgung vielen der Verfehmten und Gejagten immer wieder auch Beistand, Hilfe, Schutz und Zuspruch aus der nichtjüdischen Bevölkerung zuteil geworden ist. Juden sind es, die das bezeugen!  

Für München gilt das alles in gesteigertem Maße, wie Löw und Dirsch in ihrem Abschnitt „Stimmen jüdischer Zeugen“ mit 46 Dokumenten eindrucksvoll belegen. Die Ausstellung berichtet davon nichts – mit einer bezeichnenden Ausnahme: Die jüdische Autorin Else Behrend-Rosenfeld wird angeführt zum  Pogrom vom November 1938 mit dem Bericht über einen üblen Angriff von Schulkindern auf einen jüdischen Mitschüler. Den Fortgang der Sache aber mit dem Eingreifen der Münchner Passanten für das jüdische Kind streicht der Katalog, wie er auch fünf andere rein lobende Berichte der gleichen Autorin gänzlich verschweigt. 

Auch ein statistischer Befund gehört hierher: Laut Auskunft des Stadtarchivs München von 2015 wurden nach 1933 von den erfaßten 1.159 „Mischehen“ (in denen einer der Partner jüdisch war) nur 123 geschieden: Das heißt, knapp 90 Prozent nahmen die anfänglichen Drangsalierungen und später offenen staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen loyal auf sich, und viele konnten schließlich nur so das Leben des jüdischen Partners retten. Wenn die Ausstellung das verschweigt, um ihr volkspädagogisches Programm zu retten, ist das beinahe böswillig. Hunderte im Reich verbliebene SPD-Genossen haben dem nach Prag geflohenen Parteivorstand aus dem Reich berichtet, auch über München, seine Bevölkerung, den verordneten Antisemitismus, und haben den Münchnern dabei ein Zeugnis ausgestellt, das im krassen Gegensatz steht zum Bild der Nationalsozialisten von der „Volksgemeinschaft“, das die Ausstellung so bereitwillig aufgreift. Von diesen wichtigen Prager „Deutschlandberichten Sopade“ erwähnt die Ausstellung noch nicht einmal den Namen. 

Löw ist alter Münchner, war und ist im kirchlich-bürgerlichen Milieu der Stadt tief verwurzelt und hat den väterlichen Widerstand gegen das NS-Regime bewußt miterlebt; er kennt die alten Münchener Widerstandskreise und ihr Umfeld. Das scheint ihm die Kraft zu geben, mit unerschütterter Beharrlichkeit gerade hier wieder für die historische Wahrheit zu streiten – gegen die billige Diffamierung einer ganzen Generation, die sich nicht mehr wehren kann. Wer die Münchener Ausstellung besucht, die auch im Internet ihre Werbetrommel rührt, sollte neben dem dicken Katalog auch das schmale Buch von Löw und Dirsch zur Hand haben, um den Museumspädagogen ein paar kritische Fragen zu stellen.






Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg.

 http://ns-dokuzentrum-muenchen.de

Konrad Löw, Felix Dirsch: München war anders! Das NS-Dokumentationszentrum und die dort ausgestellten Dokumente. Lau-Verlag, Reinbek 2016, broschiert, 192 Seiten, 16,90 Euro