© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

Jeden Tag wird das Recht gebrochen
Wolfgang Hetzer warnt vor einer sich im Merkel-Deutschland von Euro-Rettung und Asylkrise fatal etablierenden „Staatsraison“
Sebastian Hennig

Wolfgang Hetzer hat in den zurückliegenden fünf Jahren fünf Bücher zu brandaktuellen politischen Themen verfaßt. Diese sind alle im Westend Verlag erschienen. Dort publizieren auch Norbert Blüm und Gregor Gysi und die Linken-Chefin Katja Kipping. 

Letztere fragte unlängst in ihrem Buchtitel „Wer flüchtet schon freiwillig?“ Diesem Pathos der „Gerechtigkeit“ hält der Jurist Hetzer die Rechtslage entgegen, indem er die Diagnose eines „Rechtsbruchs als Staatsraison“ stellt. Sein gleichnamiges Buch erscheint nun im kleinen Thüringer Verlag Arnshaugk, während seine Buchserie bei Westend mit „Politiker, Patrioten, Profiteure“ fortgesetzt wird, das von den wirtschaftlichen und friedensbedrohenden Folgen der Beschlüsse der Europäischen Zentralbank handelt. Die Zuspitzung der Lage in der Flüchtlingspolitik hat also seine Publizistik zweiläufig werden lassen. Um zwei brandgefährliche Streiche unmittelbar parieren zu können, hat er die zwei Bücher zugleich herausgebracht. Denn „Geldpolitik wie Migrationspolitik unterliegen der Illusion der Grenzenlosigkeit“.

Wahnsinn des „deutschen Sonderwegs“ erfaßt

Hetzer war von 2002 bis 2013 als Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung tätig. So zeigt er sich in der Sache bestens informiert, kann aus frischer Erfahrung schöpfen, und es mangelt ihm nicht an der nötigen Vorstellungskraft, um den methodischen Wahnsinn des „deutschen Sonderwegs in Europa“, wie er es im Untertitel nennt, zu erfassen. Er formuliert zugleich nüchtern und polemisch. Seine Empfindungen sind immer rational gegründet. Er teilt in einer kämpferischen Rhetorik aus, die einer parlamentarischen Demokratie würdig ist, aber in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen in so sachbezogener und willensstarker Weise nicht mehr zu Gehör gebracht wird.

Der Jurist und Pragmatiker rückt immer wieder die fahrlässigen Vermischungen nicht zusammengehöriger Bestandteile der Debatte zurecht. Die Flüchtlinge und Vertriebenen von 1945 bis 1948 haben nichts mit den heutigen Verhältnissen gemein. Den Druck auf das gesellschaftliche System durch die Einwanderung auszuhalten gebietet weder die sittliche Notwendigkeit, noch winkt dabei ein Gewinn für die Einheimischen. Hetzer behält unbarmherzig alles im Blick. Der „dunklen Logik“, daß sich Hochkulturen wollüstig in ihren Niedergang fallen lassen, hält er entgegen, die Kanzlerin mit Hochkultur und Wollust in Verbindung zu bringen, sei „ein durchaus anspruchsvolles Unterfangen“. Der hier mit scharfer Zunge seine Kränkungen ausspricht, sieht sich selbst in seinem Rechtsgefühl aufs tiefste gekränkt.

Er versucht Antworten auf Zumutungen, die viele schon gar nicht mehr wahrnehmen. Dabei ist nichts wichtiger, als ein umfassendes Bewußtsein auszubilden, daß sich nicht in schlüssigen Modellen erschöpft, sondern alle Facetten der Wirklichkeit in ihrer Widersprüchlichkeit zusammenbindet. Durch seinen persönlichen Stil ist dieses Buch gut dazu geeignet. Der verständliche Ton macht keine Abstriche in Sachfragen.

Der Vorzug des 303seitigen Buchs liegt darin, alle Tatsachen und Argumente zusammenzuführen. Er bezweifelt, daß man die islamistischen Banden nicht mit entschiedenen Schlägen ausgeschaltenn könnte, wenn man nur wollte. Sympathie für Wladimir Putin hat er nicht die geringste, was ihn nicht hindert, das leichtfertige Riskieren militärischer Auseinandersetzungen mit Rußland scharf zu kritisieren. Dem Autor geht es um Vollständigkeit und um Deutlichkeit. Seit dem Erscheinen seines Buchs im Frühjahr 2016 hat sich nichts Wesentliches geändert. Wir befinden uns inmitten der Auswirkungsphase der benannten Probleme.

Wolfgang Hetzer: Rechtsbruch als Staatsraison. Deutscher Sonderweg in Europa. Arnshaugk Verlag, Neustadt an der Orla 2016, gebunden, 303 Seiten, 22 Euro