© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/16 / 11. November 2016

Rache am Establishment
Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten läßt die abgewirtschafteten deutschen Eliten zittern
Michael Paulwitz

Donald J. Trump, der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika – für das Gros der etablierten Politiker und Meinungsmacher in Deutschland muß sich das anfühlen, als wären der Brexit und eine absolute Mehrheit für die AfD im Bundestag auf einen Tag gefallen. Die etablierte deutsche Politik muß sich jetzt mit einem Präsidenten arrangieren, vor dem der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen frühzeitig „gewarnt“ hat, den SPD-Vize Ralf Stegner gewohnt pöbelhaft als „Katastrophe“ und „Horrorvision“ beschimpft und selbst der sonst so zurückhaltende Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) schon einen „Haßprediger“ genannt hat.

Da wird die pflichtschuldige Gratulation für das neue Oberhaupt der westlichen Führungsmacht zur Qual. Wohl in keinem anderen Land der Welt als in Deutschland begleiten die Wortführer in Politik und Medien US-Präsidentenwahlkämpfe so intensiv und besessen, als könnten sie selbst mitentscheiden, wen die US-Bürger an die Spitze ihres Staates wählen. Dahinter steckt nicht nur eine verinnerlichte Vasallenmentalität, die die Sehnsucht befördert, vom westlichen Hegemon weiter der Formulierung eigener Interessen enthoben zu werden, und die einen Ralf Stegner sich sogar dafür hergeben läßt, persönlich für Hillary Clinton im US-Wahlkampf Klinken putzen zu gehen.

Hinter der mitunter zur Hysterie gesteigerten Furcht vor dem, was nun eingetreten ist, steckt neben auf den Großen Bruder ausgelagertem „Führerkult“ samt „Führerverfluchung“ (Michael Klonovsky) nicht zuletzt die Projektion eigener Ängste. Schon bei der Nominierung Donald Trumps zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten hat die für selbstverständlich gehaltene Kontrolle der etablierten Eliten über die Besetzung der Schlüsselposten eklatant versagt. Mit dem bevorstehenden Einzug Donald Trumps ins Weiße Haus haben die US-Wähler ihre Rache am „liberalen“ – im US-Sprachgebrauch heißt das: linken – Establishment vollendet, von dem sie sich verraten und verkauft fühlen.

Nicht auszudenken, was hierzulande geschehen kann, wenn selbst im gelobten Land jenseits des großen Teiches die alteingesessenen Kräfte nicht mehr vor der Elitendämmerung sicher sind. Die rituellen Verwünschungen, mit denen man die bösen Geister im eigenen Haus zu bannen sucht und Ruhestörer schablonenhaft als „Populisten“, „Rassisten“, „Sexisten“ und Schlimmeres beschwört, hat man in eifriger Nachahmung des linksliberalen US-Establishments vergebens über den Atlantik geschickt.

Die alten Reflexe funktionieren nicht mehr. Hüben wie drüben sind es eben nicht allein die überheblich belächelten „Abgehängten“, die „Verlierer“ und die „Ängstlichen“, sondern die staatstragende Mitte, die Steuerzahler, Familienväter und Leistungsträger, die aufbegehren – gegen abgehobene Eliten, die sie bespötteln, verachten, ausplündern und lieber Minderheiten verhätscheln, als die Interessen der ganz normalen Leute ernst zu nehmen.

Die „Erfahrung“ und „Berechenbarkeit“, die vielbemühte letzte Trumpfkarte einer politischen Klasse, die sich für unersetzlich hält, wird in einer solchen Lage zum Makel. Offenkundig traut eine Mehrheit der Amerikaner der Regierungserfahrung einer Ex-Außenministerin Hillary Clinton nicht, auf deren Konto auch die Verschärfung und Neuanrichtung der Chaos-Szenarien im Irak, in Libyen und Syrien gehen; so wie eine wachsende Zahl von Deutschen einem politischen Personal mißtraut, das mit Euro- und Migrationskrise ein beispielloses Desaster angerichtet hat und trotz manifestem Kontrollverlust und Rechtsbrüchen in Serie unbeirrt beteuert, alles im Griff zu haben. 

Natürlich kann sich auch ein Präsident Donald Trump den Zwängen des politischen Alltags nicht einfach entziehen und machen, was er will. Das amerikanische politische System, dessen Parteien sich nicht als Kanzlerwahlvereine verstehen, mit seinen selbstbewußten Parlamentskammern und Abgeordneten, die sich auch als Angehörige der Präsidentenpartei nicht als Akklamationsautomaten für Regierungsvorlagen verstehen, kennt zudem genügend Kontrollmechanismen und Gegengewichte, um seine Präsidenten von törichten Alleingängen à la „Wir schaffen das“ abzuhalten. Die Clinton-Claqueure, die in den vergangenen Wochen immer mal wieder den Weltuntergang an die Wand gemalt haben, wenn mit einem Präsidenten Trump ein „Psychopath am roten Knopf“ der Atomwaffenarsenale sitzen oder internationale Abkommen einfach kündigen würde, können ihre Katastrophenszenarien erst mal wieder einpacken.

Wohl aber kann ein US-Präsident, der seinen Aufstieg nicht etablierten Machtgeflechten und Interessenverbünden verdankt, andere Akzente setzen, vor allem in der Außenpolitik. Verschiedentlich hat Donald Trump Signale ausgesandt, sich von der Politik des globalen militärischen Interventionismus um jeden Preis, für den seine Konkurrentin geradezu paradigmatisch stand, abwenden und sich darauf konzentrieren zu wollen, Amerika zuerst im eigenen Land „great again“ zu machen, statt sich in kostspieligen weltweiten Demokratieexport-Experimenten zu verzetteln.

Macht er damit tatsächlich Ernst, mag das unangenehm werden für jene Teile des deutschen und europäischen Polit-Establishments, die sich behaglich daran gewöhnt haben, ihre Sicht auf die Welt aus transatlantischen Netzwerken zu beziehen. Es eröffnet aber zugleich neue Spielräume, geostrategische Interessen und Ziele von einem eigenen deutschen oder europäischen Standpunkt aus zu formulieren und zu verfolgen, statt sich nachgiebig von fremden Interessen treiben zu lassen.

Um diese Spielräume zu nutzen, müßten die Deutschen allerdings wohl ebenfalls beginnen, ihre abgewirtschafteten und ideenlosen politischen Eliten auszutauschen. Die Wähler in den USA haben vorgemacht, wie das geht.