© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/16 / 11. November 2016

„Nur mit der AfD ändert sich was!“
Sie gilt als das Fräuleinwunder der Alternative für Deutschland. Die Ökonomin Alice Weidel prägt zunehmend das Gesicht der Partei
Moritz Schwarz

Frau Dr. Weidel, sind Sie das bürgerliche Gesicht vor der „Fratze der AfD“, wie viele  Medien meinen?

Alice Weidel: Wissen Sie, die AfD ist in der Tat eine gefährliche Partei – gefährlich für die, deren Macht und Mandate wir durch unsere Opposition bedrohen. Also wehrt man sich mit Händen und Füßen. Dazu gehört, die AfD zu verteufeln. Und alles, was in diese Verteufelungsstrategie nicht paßt, wird als eigentlich nicht mit der AfD vereinbar erklärt. Das Ganze ist aber purer Unsinn.   

Für den Journalisten Hans-Ulrich Jörges etwa sind Sie in der falschen Partei.

Weidel: Ganz und gar nicht. Das habe ich Herrn Jörges auch schon direkt gesagt. Bei der AfD bin ich genau richtig. Ich fühle mich von keiner der etablierten Parteien repräsentiert. Ich hätte mir früher übrigens nie träumen lassen, daß ich einmal in die Politik gehen würde. Dann aber kam die „Eurorettung“. Alle etablierten Parteien haben sich ausdrücklich für die Fortsetzung der rechtswidrigen und alles andere als marktwirtschaftlichen Rettungspolitik ausgesprochen! Dagegen hat die AfD als einzige Partei die Rechtsbrüche in der Eurorettungspolitik thematisiert. Das gleiche in der Migrationskrise: Auch hier wird gegen geltendes Recht verstoßen, und wieder ist die AfD die einzige Partei, die das anspricht. Die AfD ist die Partei der Rechtsstaatlichkeit – und deshalb bin ich hier genau richtig. 

Laut einer Erhebung von Infratest-Dimap ist die AfD aus Sicht der Wahlberechtigten „nach rechts gerückt“. Trifft das zu?

Weidel: Nein, wir sind unseren Themen und Zielen immer treu geblieben. Außerdem habe ich etwas dagegen, uns in ein Rechts-links-Schema zu zwängen. Wir sind eine konservativ-liberale Partei der bürgerlichen Mitte. Wenn das „rechts“ sein soll, dann bitte schön. 

Heute besetzt die Partei allerdings in der Tat sogenannte rechte Positionen, die sie bei ihrer Gründung 2013 noch nicht vertreten hat – Stichworte: Nationalkonservatismus, Islam oder Einwanderung. 

Weidel: Der Eindruck eines „Rechtsrucks“ entsteht vor allem dadurch, daß die etablierten Parteien nach links gerückt sind. Klar, dann stehen wir „rechts“ davon. Tatsächlich aber beanspruchen wir, das klassisch liberale und konservative Bürgertum zu repräsentieren und stehen damit voll in der gesellschaftlichen Mitte. Und übrigens hatten wir 2013 auch noch nicht diese Zuspitzung bei der Migration, vorwiegend aus dem islamischen Raum. Wohl aber hat die AfD sich schon früh für das kanadische Migrationsmodell eingesetzt. Und die Forderung jetzt nach Einhaltung der Gesetze, Schutz der Grenzen und gesteuerter, sozialverträglicher Einwanderung ist mitnichten „rechte“, sondern verantwortungsbewußte Politik. 

Die AfD erscheint heute allerdings eher als Partei des fundamentalen Protests, während sie 2013 noch mehr „anschlußfähige“ bürgerliche Alternative war. Ist diese Veränderung begrüßenswert?   

Weidel: Tut mir leid, ich kann das nicht bestätigen. Was sich dagegen verändert hat, ist das Klima der Auseinandersetzung mit der Partei in der Öffentlichkeit, das inzwischen extrem aufgeladen ist. Dafür sind aber nicht wir verantwortlich. Wir sind lediglich die Kraft, die auf die Mißstände aufmerksam macht – und auch Lösungswege benennt! Wenn es nämlich oft heißt, da hätten wir nichts zu bieten, dann ist das schlicht nicht wahr. Und den Populismus, der uns gerne unterstellt wird, den sehe ich vor allem bei den etablierten Parteien mit ihren dumpfen Platitüden wie dem steuerfinanzierten „Kampf gegen Rechts“.

Inwiefern?

Weidel: Diese sind es, die keine Lösungen anzubieten haben – weder in der Migrations-, der Euro-, der Finanz- und Steuerkrise, der Krise der Sozialsysteme, noch etwa in puncto Energiewende.  

Warum also müßte die AfD nach Ihrer Ansicht 2017 in den Bundestag einziehen? 

Weidel: Weil sich nur mit uns etwas ändert. Und weil nur mit der AfD die durch die Bundesregierung geschaffene „Kluft zwischen Recht und Realität“, wie das ein ehemaliger Bundesverfassungsrichter genannt hat, wieder geschlossen wird.

Konkret?

Weidel: Nur durch den Druck, den die AfD erzeugt, werden wir in Deutschland in Sachen Einwanderung wieder zu den geltenden Gesetzen zurückkehren, wieder die Grenzen sichern, über eine Obergrenze sprechen und nicht Bleibeberechtigte konsequent abschieben. Parallel dazu müssen wir übrigens auch eine verbesserte Entwicklungspolitik betreiben, um den Ursachen der Zuwanderung entgegenzuwirken. Und wir müssen hart durchgreifen, um die Innere Sicherheit wiederherzustellen.

Gerade Sie weisen darauf hin, angesichts der Asylkrise nicht die Euro- und Finanzkrisen zu vergessen, die nach wie vor gefährlich weiterschwelten. 

Weidel: Völlig richtig! Und die zum Teil mit der Migrationskrise verschränkt sind. Aber eins nach dem anderen. Zunächst: Die Bürger werden in Zukunft immer mehr zu spüren bekommen, daß ihre verfügbaren Realeinkommen sinken. Das haben wir vor allem der Niedrig- bald Negativzinspolitik im Rahmen der Eurorettung zu verdanken. Zum anderen erleben wir seit Beginn der Eurorettung eine Verdoppelung der umlaufenden Geldmenge durch die EZB. Für den Normalbürger heißt das aber natürlich nicht, daß er nun doppelt soviel Geld zur Verfügung hätte, mitnichten. Sehr wohl aber, daß für ihn die Preise steigen! Dazu droht uns zum Beispiel künftig eine massive Rentenkrise. Und da etwa beginnen auch die Verschränkungen mit der Migrationskrise. Denn aus den Sozialtöpfen bekommen ja nun auch jene, die aus aller Herren Länder zu uns gekommen sind, hier aber gar nichts eingezahlt haben. Das wird zu massiven gesellschaftlichen Verwerfungen führen. 

Sie warnen allerdings noch vor weiteren Gefahren, die uns beim Thema Geld drohen. Etwa die Abschaffung des Bargeldes. Wie real ist diese Gefahr wirklich? 

Weidel: Auch sie hängt mit der Euro- und mit der Verschuldungskrise zusammen. Man muß verstehen, daß Niedrig- und Negativzinsen eine Form finanzieller Repression sind, die die Regierungen gegenüber ihren Bürgern ausüben. Die normale Reaktion ist, daß die Bürger ihr Bargeld lieber abheben, statt für ein Plus auf dem Konto höhere Gebühren und Strafzinsen zu zahlen. Um den Bürgern diesen Weg zu verbauen, ist es im Interesse der Regierung, das Bargeld abzuschaffen. Nun fragen Sie, wie real diese Gefahr ist. Sehr real! Dabei ist die Idee nicht neu, aber seit der Euro- und Verschuldungskrise wird sie von der Politik in beängstigender Weise und nach Art der Salamitaktik vorangetrieben. Das Ziel ist nicht nur, den Bürger für den Staat finanziell vollkommen durchsichtig, sondern vor allem ihn zum Gefangenen seines kranken Banken- und Finanzsystems zu machen.  

Was Sie nicht erwähnt haben, ist das Thema Islam. Dabei haben Sie sich inzwischen auch als  scharfe „Islamkritikerin“ positioniert. 

Weidel: Ja, denn der Islam verändert Deutschland. So werden etwa durch ihn über das Vehikel der Religionsfreiheit Strukturen bei uns eingeführt, die nicht grundgesetzkonform sind, etwa eine Apartheid der Geschlechter und von Muslimen und Nicht-Muslimen. Religiös motivierter Terror wird als Einzelfall abgetan, und Tausende Dschihadisten, Salafisten, wahhabitische Fundamentalisten und Erdogan-treue türkische Imame dürfen auf deutschem Boden tun und lassen, was sie wollen. Ich aber möchte diese in weiten Teilen archaische Kultur und die entwürdigende Sicht auf die Frau nicht in meinem Land verankert wissen. Moscheevereine, Islamverbände und auslandsfinanzierte politische Gruppen, die Einfluß auf die deutsche Rechtsetzung und Rechtsprechung nehmen, betreiben durch ihre gezielte Lobbyarbeit die stetige Aushöhlung unseres Verfassungsstaates. Das sollte eigentlich ausreichen, um zu erkennen, daß der Islam nicht nur eine Religion ist, sondern vielmehr ein allumfassendes Gesellschaftssystem, welches das Recht und die Politik umfaßt.

Auch wenn Ihre Analyse zutreffen mag – geht Ihre Betonung der politischen Seite des Islams nicht an der Realität vieler harmloser Moslems in Deutschland vorbei?

Weidel: Meine Kritik des Islams richtet sich keineswegs gegen die integrierten, arbeitsamen und rechtstreuen Muslime bei uns, vor die wir uns als AfD selbstverständlich schützend stellen. Sondern an jene, die durch ihr Leben in Parallelgesellschaften Integration verweigern und an fundamentalistischen Verhaltensweisen wie Verschleierung, Trennung von Männern und Frauen oder der Kinderehe festhalten und die Gastgebergesellschaft ablehnen.

Aber das Problem ist doch, daß sich in der Realität die Menschen nicht so sauber getrennt ansprechen lassen. Wenn Sie den Islam immer nur von seiner ideologischen Seite her thematisieren, werden sie ihm viele Moslems erst recht zutreiben, statt sie zum Säkularismus herüberzuziehen. 

Weidel: Ich sehe das nicht so. Im Gegenteil, es ist wichtig, endlich klar das zu benennen, was am Islam nicht zu unserer gesellschaftlichen und verfassungsmäßigen Ordnung paßt. Wir müssen als Partei fordern, daß die Muslime selbstkritisch mit sich ins Gericht gehen und eine interne Debatte über die Probleme beginnen, die ihre Religion birgt. Das müssen wir ohne jede ideologische Diskussion durch die Prinzipien des Rechtsstaates erzwingen. 

Die Frage ist, wie erreicht man das? Ihr Parteivorsitzender Jörg Meuthen hat etwa öffentlichkeitswirksam eine Moschee besucht und mit dem Imam debattiert. Sie dagegen haben im Mai ein Treffen mit dem Zentralrat der Muslime abgelehnt.   

Weidel: Schauen Sie doch mal in die Charta des Zentralrates. Dort finden Sie etliche Infragestellungen unserer grundgesetzlichen Werte und starke Tendenzen zur Segregation, zum Beispiel die Trennung von Staat und Religion und die Stellung der Frau. Zudem wird mindestens ein Mitgliedsverband des Zentralrates vom Verfassungsschutz beobachtet. Deshalb kann ich nicht verstehen, wieso unsere Politik ihn hofiert, und deshalb kam für mich ein Treffen auch nicht in Frage. Statt dessen sollte man lieber einen Islamwissenschaftler wie Mouhanad Khorchide fördern, der ein echtes Interesse daran hat, die problematischen Seiten des Islams zu benennen und aufzuarbeiten. Und was Jörg Meuthen angeht: Die Ahmadiyya-Gemeinde, deren Moschee er besucht hat, stellt sich ja als vergleichsweise moderate Richtung des Islam dar. Allerdings finden Sie auch bei Ahmadiyya höchst Fragwürdiges. So heißt es etwa in einem Ahmadiyya-Lehrbuch für Kinder: „Ich komme in der Gesellschaft mit niemandem aus. Alle sind meine Feinde.“ Darum hätte ich auch eine Ahmadiyya-Moschee nicht besucht, da ich diese Sekte für höchst problematisch halte.

Ihr neuer Parteifreund Nicolaus Fest würde am liebsten alle Moscheen schließen. Das lehnen Sie ab. Warum?

Weidel: Weil das Populismus ist. 

Ein harter Vorwurf. 

Weidel: Diese Forderung ist einfach zu pauschal. Zudem ist sie ihrerseits wohl nicht verfassungskonform, und ihre Umsetzung würde für unnötigen gesellschaftlichen Unfrieden sorgen.

Gut, aber warum ist die Forderung „populistisch“? Ist sie aus einer streng klassisch-liberalen Sicht – zu der historisch auch eine gewisse Kirchenfeindschaft gehören kann – und in Anbetracht der Interpretation des Islams als politischer Ideologie, die Fest wohl pflegt, nicht schlicht folgerichtig?

Weidel: Ich sage, alle Moscheen müssen auf Extremismus durchleuchtet werden. Schließen sollten wir aber nur solche, die Fundamentalisten eine Bühne bieten. Unterschiedslos alle Moscheen zuzumachen ist dagegen einfach absurd. 

Sie wollen nächstes Jahr für die AfD in den Bundestag. Was aber können Sie dort von dem eben Geforderten überhaupt umsetzen? Schließlich werden Sie in der Opposition landen. 

Weidel: Die AfD wirkt, selbst in der Opposition. Das sehen Sie zum Beispiel beim Thema Migration, wo sich die Bundesregierung allein schon deshalb bewegt, weil wir das immer wieder ansprechen. Oder schauen Sie sich an, was die CSU diesbezüglich inzwischen fordert – das ist ja wie bei uns abgeschrieben! 

Viele Bürger sehen sich allerdings in der Zwickmühle. Sie möchten die AfD wählen, gleichzeitig aber eine rot-rot-grüne oder schwarz-grüne Bundesregierung verhindern. Haben Sie einen Rat für diese Wähler?

Weidel: Ich verstehe diese Bedenken. Aber es geht nicht nur um die Bundestagswahl 2017. Es geht um die Zukunft des Landes. Es geht um eine langfristige und grundlegende Veränderung der Politik in Deutschland. Es geht darum, daß die AfD Volkspartei und eines Tages Regierungspartei wird. So wie zum Beispiel in der Schweiz oder in Österreich, wo die SVP und die FPÖ inzwischen die Etablierten verdrängen. 

Ihre Strategie etwa gegenüber der Union ist nicht Koalition, sondern Verdrängung?

Weidel: Ich weiß, daß das ein langer und steiniger Weg ist. Aber ja, langfristig sehe ich in der Marginalisierung der etablierten Parteien unser Ziel. Und ich halte das deshalb auch für realistisch, weil diese nicht mehr die Interessen der bürgerlichen Mehrheit in Deutschland vertreten. Ja, gerade die Politik dieser Parteien wird – wenn sie sich nicht grundlegend ändert – das Wählerpotential schaffen, das der AfD eines Tages zum Durchbruch an die Regierung verhilft. Das gilt erst recht für die – zu Recht – gefürchteten Konstellationen Rot-Rot-Grün und Schwarz-Grün. Lassen Sie die das mal machen. Sie werden sehen, daß der Gewinner einer solchen Politik langfristig wir zum Wohle des deutschen Volkes sein werden. 






Dr. Alice Weidel, ist Mitglied im Bundesvorstand der AfD, leitet deren Bundesfachausschuß Euro und Währung und sitzt in der Bundesprogrammkommission, die sie bis Januar 2016 geleitet hat. Die Diplomkauffrau und Volkswirtin war zunächst bei Goldman Sachs beschäftigt, wo sie Pensionsfonds und Versorgungswerke von Unternehmen und internationalen Organisationen beriet. Arbeitete dann in China und im europäischen Ausland und war im Vorstandsbüro der Allianz Global Investors tätig. Heute baut sie internationale Start-up-Unternehmen mit auf. Weidel, die der AfD seit 2013 angehört, wurde 1979 in Gütersloh geboren.  

 www.alice-weidel.de

Foto: Politikerin Weidel: „Es geht um eine grundlegende Änderung der Politik in Deutschland, darum, daß die AfD Volkspartei und eines Tages Regierungspartei wird. Langfristig ist die Marginalisierung der etablierten Parteien unser Ziel.“

 

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