© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/16 / 11. November 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Amtsmüde
Paul Rosen

Am Ufer der Spree, unweit des Kanzleramtes, steht ein älterer Herr. Er wirft Enten Brotkrümel zu, das Federvieh wirkt glücklich. In der anderen Hand hält er eine Zeitung. „Hier“, sagt er, „das ist unglaublich. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sieht eine tödliche Gefahr für unser Gemeinwesen. Den Außenminister läßt es fast sprachlos zurück, wie im grellen Licht der Öffentlichkeit Fakten verbogen und abgestritten würden und wie gelogen werde. Kein Wunder, daß die alle keine Lust mehr haben.“ 

Der ältere Herr hat früher bei der Unionsfraktion gearbeitet, hat viele Abgeordnete kommen und gehen sehen. „Gekommen sind sie alle gerne nach Bonn und später nach Berlin, aber gehen wollte keiner freiwillig“, erinnert er sich und wirft den Enten wieder Krümel zu. „Das waren noch die Zeiten“, gerät er ins Schwärmen, „als uns die Leute Dankesbriefe schickten.“ Heute sei das anders. 

Seine Nachfolgerin habe ihm verraten, daß jeden Tag Dutzende Mails ankommen, alle negativ, viele beleidigend. Aber in jeder stehe, die Politiker sollten sich davonmachen. „Die machen das immer öfter, sie geben auf.“ Der erste sei Bundespräsident Joachim Gauck gewesen. Dann habe  Bundestagspräsident Norbert Lammert seinen Abschied angekündigt. „Die gehen doch in Serie. Drei Vizepräsidenten von Lammert hören auch auf: Ulla Schmidt, Johannes Singhammer, Peter Hintze – alle im besten Alter.“ Er möge die Frankfurter Rundschau nicht so, aber in der habe er kürzlich eine eindrucksvolle Schilderung gelesen, es gebe ein neues Phänomen namens „Politikerverdrossenheit“. Auf einmal seien nicht mehr die Wähler verdrossen, sondern die Politiker, sagt er und holt eine Zeitungsseite aus der Tasche. Die Enten flüchten erschrocken ins Wasser. 

Der Mann liest vor: „Neu und irgendwie kurios ist aber, daß inzwischen offenbar ausgerechnet Politiker keine rechte Lust mehr auf Politik haben. Daß sie ihren Ehrgeiz verloren haben, an die Spitze zu streben, die wichtigsten Ämter zu übernehmen. Daß sie zaudern und zagen.“ Er steckt das Blatt weg, die Enten trauen sich wieder ans Ufer.  

Horst Seehofer von der CSU kokettiere auch ständig mit dem Wechsel aufs Altenteil, obwohl der noch gar nicht so alt sei. Und selbst über Angela Merkel werde seit Monaten gerätselt, ob sie noch einmal antreten werde bei der Bundestagswahl 2017.  Solche Fragen hätten sich bei Helmut Kohl und Gerhard Schröder oder bei Helmut Schmidt nicht gestellt: „Die blieben, bis sie abgewählt wurden.“ 

   „Wer will denn Kanzlerkandidat der SPD werden“, fragt er schmunzelnd, „das muß Sigmar Gabriel schon selbst machen, weil keiner sonst den Posten will. Na ja, vielleicht der Schulz aus Aachen.“ Und für die Gauck-Nachfolge habe es bisher auch nur Absagen gegeben, „Selbst die Käßmann will nicht.“ Steinmeier sei jetzt zwar offiziell im Rennen, aber der sei schon früher sofort losgerannt, wenn er einen Anruf vom Parteivorstand bekommen habe. Nein, das mit den Abschieden sei ernster zu nehmen, sagt er und wendet sich ab. „Da gehen nicht nur Menschen, da geht eine Epoche“, ruft er noch. Die Enten schauen dem älteren Herrn interessiert nach.