© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/16 / 11. November 2016

Neue Ordnung gegen Albion
Der Nationalsozialismus und die gegen die Kolonialmächte gerichteten Bestrebungen in der arabischen Welt
Hermann Piller

Schon seit vielen Jahren wird die Beziehung von arabisch-islamischem Nationalismus und dem Nationalsozialismus im Großdeutschen Reich kontrovers diskutiert. Der Islamwissenschaftler Hans Goldenbaum kommt in seiner neuesten Analyse über die NSRundfunkpropaganda für die arabische Welt zu dem Ergebnis, daß es dabei praktisch ausschließlich nur um die Berliner Interessen ging, den Kriegsgegner Großbritannien in seinen Kolonien zu schwächen, von Rohstoffen zu trennen und Truppen zu binden.

Wenn man die radikal-islamischen Bestrebungen bis in die heutige Zeit hinein untersucht und sich die radikal-nationalistischen Ansichten und die antisemitischen Auffassungen vor Augen hält, dann stellt sich die Frage nach einer ideologischen Affinität zwischen beiden Weltanschauungen und deren eventuelle Beeinflussung in Wechselwirkung. Leider sind Untersuchungen Mangelware, welche sich mit den Auswirkungen von NS-Propaganda im außereuropäischen Raum beschäftigen.

Massive Propaganda für den arabischen Raum

Doch vor dem Hintergrund anhaltender Konflikte im Nahen Osten, der Auseinandersetzung mit den radikalen Strömungen des Islam, dem damit auch nach Deutschland importierten Antisemitismus ist auch der Einfluß der NS-Ideologie auf die arabischen Völker in den Fokus gerückt. Doch mit der Arbeit von Jeffrey Herfs Studie „Nazi Propaganda for the Arab East“ von 2009 gibt es bis jetzt nur eine einzige umfassende Untersuchung zu diesem Thema. Herf griff bei seinen Studien hauptsächlich auf abgefangene Radiosendungen amerikanischer Sender aus der Zeit von 1942 bis 1945 zurück. Seine auf alle greifbaren Informationen und Aussagen von ehemaligen Beteiligten ermöglichten Herf präzise Aussagen über Entstehung, Sendeumfang, Sendeprogramm und Struktur über die damalige nationalsozialistische, arabischsprachige Rundfunkpropaganda. So kann zum Beispiel erstmals der Mitarbeiterstab des Kurzwellensenders „Orient Zone“ rekonstruiert und zweifelsfrei dem damaligen Propagandaministerium zugeordnet werden. 

Die Rundfunksendungen hatten grundsätzlich den Charakter von Nachrichtensendungen, in denen Propagandabotschaften eher subkutan vermittelt wurden. Verbreitung fanden sie in den regelmäßigen arabischen Abendnachrichtensendungen von „Radio Berlin“ und dem Geheimsender „Stimme des freien Arabiens“. Sie propagierten die Stärke des Deutschen Reiches und seiner Waffenträger, verdeutlichten die Schwäche der Alliierten. Die Rolle des durch Versailles lange unterdrückten deutschen Volkes als natürlicher Verbündeter des antikolonialistischen Freiheitskampfes gegen die Kolonialmächte England und Frankreich. Explizit wurden Verbindungen von NS-Politik und deren Auswirkungen auf den Nahen und Mittleren Osten gezogen. Auch ließen sich oft Berufungen auf den Islam und dessen Lehren dechiffrieren. 

Nachdem es zum Krieg in Süd- und Osteuropa kam, wurden fast täglich Sendungen über die immensen Umwälzungen in diesen Regionen gesendet. Es wurde eine „neue Ordnung“ aus freien und souveränen Nationen unter der Führung der Achse und des Deutschen Reiches propagiert, nachdem die „alte Ordnung“, geschaffen von den alten „demokratisch-imperialistischen Kräften“ zerschlagen wurde. Eben eine solche „neue Ordnung“ wurde auch den arabischen Staaten in Aussicht gestellt. Unmittelbarer Anlaß für die Intensivierung der Sendungen war der antibritische Militärputsch im Irak unter Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rasid Ali Al- Kilani im April 1941. 

Muslime in Waffen-SS als Symbol für Kooperation

Der unmittelbare Erfolg der Propagandasendungen bestand darin, daß britische Truppen besonders in Nordafrika, aber auch in anderen von ihnen besetzten arabischen Gebieten, dauerhaft unter Druck einer teilweise feindlich gesonnenen Umgebung standen, und sogar kontinuierlich Gewalt gegen alliierte Truppen und Einrichtungen stimuliert werden konnte.  

Auf deutscher Seite gipfelte die Zusammenarbeit mit muslimischen Völkern in der Aufstellung der 13. Waffen-Gebirgs-Division der SS „Handschar“, der 21. Waffen-Gebirgs-Division der SS „Skanderbeg“, der 23. Waffen-Gebirgs- Division der SS „Kama“, eines Moslem-SS-Selbstverteidigungsregiments in der serbischen Raschka, des Arabischen Freikorps, der Arabischen Brigade und der Ostmuselmanischen SS-Regiments und sogar einer SS-Mullahschule. Diese Einheiten hatten zwar einen zweifelhaften Ruf und oftmals nur begrenzten militärischen Wert, doch belegt deren Aufstellung, wie nicht zuletzt die enge Zusammenarbeit mit dem Großmufti Mohammed Amin al-Husseini, das Potential der Zusammenarbeit als auch die enge ideologische Verzahnung.

Foto: Der von den Briten gestürzte irakische Ministerpräsident Ali al-Galiani (mit Manuskript), links neben ihm der Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, in Berlin 1943: Natürlicher Verbündeter