© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/16 / 18. November 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Trump A: Was die Deutungsmöglichkeiten des unerwarteten Wahlsiegs angeht, könnte man darauf hinweisen, daß die Gründerväter der USA mit weiser Voraussicht das Wort „Demokratie“ in der Verfassung vermieden und „Republik“ bevorzugten. Klassisch gebildet, stand ihnen das Schicksal Athens drohend vor Augen, das unaufhaltsam in Richtung auf eine „Ochlokratie“ – Pöbelherrschaft – abrutschte. Washington, Franklin und die übrigen Gentlemen, die das Sagen hatten, glaubten, man wäre mit einer patrizischen Ordnung besser beraten.

˜

Die Präfektin des Departements Pas-de-Calais hat erklärt, daß die Brandstiftungen bei Räumung des „Dschungels“ auf die „Tradition“ der Migranten zurückzuführen seien. Man habe mit den Sprechern der „Community“ verhandelt, um die Zerstörungen zu verhindern, aber leider, leider hätten die auf der Wahrung ihrer „Tradition“ bestanden. Dabei ging es um den muslimischen Brauch, der das Niederbrennen des Platzes empfiehlt, wenn der Gläubige einen Ort verlassen muß, an den er nicht zurückkehren kann.

˜

Trump B: Die Beschwörung der Bürgerkriegsgefahr links unterscheidet sich deutlich von der rechts. Links geht man davon aus, daß der unaufhaltsame Fortschritt zu immer mehr Vielfalt und Differenz führt und in der Folge alles, was Menschenantlitz trägt, qua Gesellschaftsvertrag zu vernünftigen Einigungen kommt. Wenn der Weg dahin verstellt wird, dann erheben sich entweder die Guten, die, die das Richtige wollen, um den unverfrorenen Widerstand zu brechen, oder die „Rache des weißen Mannes“ führt zum Rücksturz in die Barbarei (Frau Lueken von der FAZ sieht schon die Flammenkreuze des Ku-Klux-Klan allüberall in Trumpland lodern). Dagegen erkennt man rechts gerade in der immer weitergehenden Zerklüftung der sozialen Ordnung, der Aufhebung aller Selbstverständlichkeit, der Zersetzung des Überlieferten und der Homogenität das eigentliche Problem, vor allem dann, wenn das Forcieren der Abläufe so offensichtlich im Interesse einer Plutokratie liegt, die kein Vaterland hat. Man betrachtet sich als Aufhalter einer destruktiven Tendenz. – Es ist unschwer zu sehen, wer mit seiner Analyse näher an der Wirklichkeit liegt.

˜

Der Auftritt einer vollverschleierten Konvertitin als „Frauenbeauftragte“ einer islamistischen Gruppe in der Sendung von Anne Will gibt noch einmal Anlaß, der Frage nachzugehen, wem von den Hütern des herrschaftsfreien Diskurses eigentlich „Isegorie“ – also das Recht auf gleichberechtigte Rede – zugestanden wird. Grundsätzlich sind da drei Gruppen zu unterscheiden: a) diejenigen, die sowieso der Meinung der Tonangebenden sind, b) diejenigen, die nicht ihrer Meinung sind, denen gegenüber man aber ein schlechtes Gewissen hat (alle, die weiter links stehen), c) diejenigen, die man begönnern kann, weil sie „noch nicht so weit sind“ (wozu man die Niqab-Trägerin rechnen darf). Alle anderen haben ihre Auftritte nur als Watschenmänner oder besser gleich gar nicht.

˜

Herzenswunsch: Martin Schulz als Spitzenkandidat der SPD und das Einwanderungsgesetz als Hauptthema bei der kommenden Bundestagswahl.

˜

Aus gegebenem Anlaß: „Die Gefahr, daß restriktive Maßnahmen gegen Lehrer (…) Gleichförmigkeit, Sterilität, sture Anpassung hervorrufen, darf nicht übersehen werden. Es genügt nicht, daß der Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache zu mehr Zivilcourage auffordert und vor denen warnt, die ihre Machtposition ausnutzen, um unbequeme Meinungen zum Schweigen zu bringen. Es bedarf schon der aktiven Wirksamkeit der Unbequemen, der Originellen, derjenigen, die neue Wege und Möglichkeiten fordern; wir brauchen sie in der Gesellschaft, besonders aber im Erziehungsbereich.“ (Erich Frister und Luc Jochimsen: Wie links dürfen Lehrer sein?, in: Die Zeit vom 28. Januar 1972)

˜

Trump C: Beim Rätseln über das Versagen der Demoskopie im Vorfeld der amerikanischen Präsidentschaftswahl geht es selbstverständlich um die Suche nach Schuldigen. Wen das irritiert, der sollte daran denken, daß Meinungsumfragen wenig mit reiner Erkenntnis, viel mit dem Erwerb von Herrschaftswissen zu tun haben. Das kann dann auch dazu führen, daß die Neigung des Demoskopen, Daten zu „korrigieren“ ausgesprochen unerwünschte Nebenwirkungen produziert. In Erinnerung sind noch die Bemühungen von 1992, die Republikaner aus dem Landtag Baden-Württembergs fernzuhalten, indem man notorisch einen knapp unter fünf Prozent liegenden Wähleranteil meldete. Als die Partei dann mit mehr als zehn Prozent ins Parlament einzog, gab es wenigstens eine Verantwortliche, die zugab, daß man aus Gründen der Staatsräson die wahrscheinliche Unterstützung herabgesetzt habe. Die Erwartung ging dahin, potentielle Anhänger der Republikaner vom Urnengang fernzuhalten – das Gegenteil war der Fall.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 2. Dezember in der JF-Ausgabe 49/16.