© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Die Kosten in den Griff bekommen
Landwirtschaft: Mit 2.629 Ausstellern und 163.000 Besuchern hatte die Messe „EuroTier“ eine Rekordbeteiligung
Peter Felser

Es herrscht dichtes Gedränge vor dem Messeeingang Süd in Hannover und ein kalter Novemberwind bläst den Besuchern der internationalen Ausstellung „EuroTier“ ins Gesicht. Das Landwirtehepaar Marieluise und Evert Wolfgramm ist seit sechs Uhr morgens mit Berufskollegen im Bus unterwegs. In seinem mit viel Geld modernisierten Stall stehen 80 Milchkühe, „Schwarzbunte“, wie sie in Schleswig üblich sind. Seit dem Verfall des Milchpreises blicken sie jedoch mit Sorgen in die Zukunft und hoffen auf neue Ideen und Impulse beim Messerundgang.

Angesichts der 23 Hallen und 280.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche liegt da ein weiter Weg vor ihnen. Von automatisierten Fütterungsanlagen bis zur High-Tech-Melkanlage gibt es eine Menge zu bestaunen. 2.629 Aussteller aus 57 Ländern präsentieren sich mit glänzenden Traktoren, preisgekrönten Vorzeige-Kühen und adrett herausgeputzten Messestand-Hostessen vier Tage lang den rund 160.000 Besuchern. Alle zwei Jahre findet diese Leit-Agrarmesse mit Tieren in Hannover statt.

„Der Milchpreis hat uns hart getroffen“

Wo Landwirte und Industrie sind, da darf auch der übliche Protest nicht fehlen. Die Umweltschutzorganisation Robin Wood hat zur Eröffnung der Fachmesse mit einer Kletteraktion gegen die angebliche Ausbeutung von Tieren und Öko-Systemen protestiert. Sie entrollten ein Banner mit der Aufschrift „Wälder nicht verwursten – Tierfabriken schließen“. Altgrüne Kampfparolen, die bei den Besuchern eher Kopfschütteln auslösen.

 Wahr ist, daß Milchviehbetriebe immer weniger werden: von 2000 bis 2016 hat sich ihre Zahl fast halbiert. 4,3 Millionen der 12,6 Millionen deutschen Rinder sind zwar weiterhin Milchkühe, aber letztere werden von nur noch 71.000 Betrieben gehalten. Höfe mit weniger als 50 Milchkühen – wie sie vor allem für Süddeutschland typisch sind – müssen mit einer regelrechten Milchindustrie im Norden und im Osten konkurrieren. „Der Milchpreis hat uns hart getroffen“, sagt Ehepaar Wolfgramm, „aber jetzt sehen wir als Familienbetrieb unsere Chance. Die ganz großen Betriebe sitzen jetzt auf ihren hohen Investitionskosten“. Momentan gibt es wieder rund 32 Cent pro Liter. Im Frühjahr gab es je nach Bundesland teilweise weniger als 20 Cent (JF 23/16).

Trotz existentieller Bedrohung durch die Marktsituation bleibt nicht nur für diese beiden die EuroTier ein Muß. Hier lassen sich Stimmungen und Trends beobachten, man ist unter sich und ein Blick über den eigenen Betrieb hinaus schweißt mitunter zusammen. Denn den Schweinehaltern ist es in diesem Jahr mit den abgestürzten Fleischpreisen auch nicht besser ergangen. Die Messe wird internationaler, verkündet die Messeleitung stolz. Etwas schockiert ist man noch von der Meldung aus dem Frühjahr, als der Melkroboterhersteller Lely bekanntgab, erstmals nicht an der EuroTier teilzunehmen.

In den Messehallen überwiegt aber – trotz Höfesterben – der Eindruck, daß die Branche der Krise trotzt. Die Aussteller zeigen selbstbewußt, was man an Technologie zu bieten hat. Die Serie 6000 des Futtermischwagenherstellers Sgariboldi kann bis zu 25 Kubikmeter Futter verarbeiten. Mit dem „Squirrel“ und dem „Coala“ kann Sgariboldi aber auch kleinere Betriebe beliefern. Der „Coala“ mischt nur zweieinhalb Kubikmeter Futter und kostet auch nur ein Fünftel der „großen“ selbstfahrenden Maschinen. „Wir bieten dem Landwirt High-Tech und erleichtern ihm somit die Arbeitsprozesse“, erklärt Geschäftsführer Alexander Schneider. Fünf Landwirten aus dem Schwarzwald zeigt er gerade die Funktionen des „Coala“. 

Eine Halle weiter gibt es eine Messeneuheit zu sehen. Die Software „Piggy Check“ ermöglicht mit einer 3D-Kamera die Bestimmung des Gewichts von Mastschweinen – ohne daß diese dazu berührt oder eingefangen werden müßten. Rustikaler zeigt sich die Messeneuheit „Wicky“. Hier werden Abdeckfolien für Fahrsilos per Fernsteuerung automatisch aufgerollt – mehrere Raupen bewegen sich dazu auf dem Silo selbständig nach vorne oder hinten.

Kosten in den Griff bekommen und Prozesse optimieren – so lautet auch in diesem Jahr wieder das Motto der Tierhaltungsindustrie. „Wachse oder weiche!“, so haben es die Bauernverbände jahrzehntelang gepredigt. Über 80 Prozent der Landwirte in Deutschland halten die Optimierung der laufenden Produktion für „sehr wichtig“, hat die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft bei ihrer Befragung im Herbst herausgefunden. Die Botschaft ist angekommen – aber die Marktpreise sind abgestürzt.

Ausweg Extensivierung und Qualitätsmanagement?

„Genau das ist das Problem“, meint Tilman Ziegler, Betreiber der Plattform Liegeboxen.de und fügt hinzu: „Wir müssen wieder auf Qualität setzen.“ Der Blogger verteilt Buttons mit der Aufschrift „Gute Milch kostbar machen“ und setzt in seinen Beiträgen und Videos auf Extensivierung und Qualitätsmanagement. Ein Landwirt, der nicht genannt werden will, steht daneben und raunt: „Hier auf der Messe siehst du Leute, die noch auf einem anderen Stern zu leben scheinen. Die haben noch gar nicht mitbekommen, daß wir Bauern in einer absoluten Existenzkrise stecken.“

Wer sich auf den neusten Stand über Trends in der Nutzierhierhaltung bringen will oder auf der Suche nach Entscheidungshilfen für Investitionen in seinem landwirtschaftlichen Unternehmen ist, der schlendert über das Messegelände. Die EuroTier in der niedersächsischen Landeshauptstadt ist die weltgrößte Fachausstellung für Tierhaltung und Tiermanagement. Sie wird seit 1993 von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) veranstaltet. Viel zu sehen ist unter anderem zu den Themenbereichen Rinder-, Schweine- und Geflügelhaltung. Hinzu kommt das Angebot für die Haltung von Schafen, Ziegen und Pferden.

Ein umfangreiches Rahmenprogramm aus Foren und Veranstaltungen bietet die Möglichkeit zum fachlichen Gespräch. Einen weiteren Schwerpunkt stellen Betriebsmittel für den Tierhalter dar. Also Futter sowie die zugehörige Technik zum Mahlen, Mischen und Pelletieren. Die Messe informiert über Stall- und Hallenbau, Zuchtprogramme, Handel, Reproduktionstechnik, Klima- und Umwelttechnik bis hin zu Melk- und Kühltechnik. Gezeigt werden neueste Transportfahrzeuge, Geräte und Zubehör. Es ist ein Mekka für alle Landwirte, ob mit kleinem oder großem Betrieb im Hintergrund.

Es ist kurz vor Hallen-Schluß um 18 Uhr. Die Landwirte haben den Kopf voll mit Eindrücken, Fachgesprächen und lassen sich die vielen Verkaufsargumente noch durch den Kopf gehen. Für die meisten geht es jetzt wieder Hunderte Kilometer zurück. Morgen stehen sie wieder im Stall und müssen sich der rauhen Realität eines harten Marktes stellen. 






Peter Felser ist Unternehmer und Vizevorsitzender des AfD-Mittelstandsforums Bayern.

 www.peterfelser.de

Leitmesse „Eurotier“ der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG).

 www.eurotier.com