© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Rollende Steine halten keine Reden
Literaturnobelpreis: Der US-Sänger Bob Dylan will nicht zur Verleihung nach Stockholm reisen
Richard Stoltz

Jetzt endlich hat Bob Dylan seine Teilnahme an der Verleihungsfeier für die diesjähriigen Nobelpreise in Stockholm abgesagt. In einer kurzen E-Mail bedankt er sich für den ihm zugesprochenen Literaturpreis, er wird das Preisgeld auch annehmen, aber nach Stockholm könne er nicht kommen, er habe andere Termine. Das Verfahren wird von den Schweden als ziemlicher Affront empfunden.

Frühere Absagen bei der Nobelpreisverleihung verliefen jedenfalls plausibler. Als Jean-Paul Sartre 1966 den Literaturpreis zugesprochen bekam, lehnte er ihn aus politischen Gründen sofort ab und verzichtete auch auf das Geld. Als Alexander Solschenizyn den Preis 1970  erhielt, bedankte er sich höflich, entschuldigte sich aber gleichzeitig dafür, daß er nicht zur Feier nach Stockholm kommen werde, denn die sowjetischen Behörden würden ihn zwar heraus-, aber mit Sicherheit nicht mehr ins Vaterland hineinlassen.

Was ist aber nun mit Bob Dylan? Er hat aus politischen Gründen nichts gegen den Nobelpreis, und um seine Freizügigkeit muß er auch nicht fürchten. Warum nimmt er dann zwar das Geld, kommt aber nicht zur Preisverleihung? Er hätte doch, wie seinerzeit Thomas Mann bei seiner legendären Dankesrede 1929, einen prächtigen Auftritt voller Witz und literarischer Anmut hinlegen können.

Aber vielleicht liegt gerade hier der Hase im Pfeffer! Vielleicht hat Dylan Angst, bei seiner Dankesrede zuwenig Literatur vorzeigen zu können. Er weiß sehr wohl: Er ist ein guter Sänger, hingegen von seinen Texten her kein Dichter, sondern nichts weiter als ein „rollender Stein“, wie er ja selbst in seiner wohl bekanntesten Strophe bekannt hat.

„How does it feel / With no direction home / Like a complete unknown / Like a rolling stone?“ Mit anderen Worten: Rollende Steine können vielleicht singen, aber Reden halten können sie nicht. Sie brauchen zunächst einmal „direction home“, bevor sie guten Gewissens in feierlicher Zeremonie den angesehensten Literaturpreis der Welt empfangen dürften.