© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Das Pendel schlägt wieder zurück
Machtfragen: Die Wahl Donalds Trumps signalisiert eine Diskursverschiebung auch hierzulande
Thorsten Hinz

Die Reaktionen auf den Wahlsieg Donald Trumps sind die seitenverkehrte Entsprechung zum „Obamania“-Fieber, das vor acht Jahren in Deutschland grassierte. Der Spiegel, der auf dem Titelblatt Trumps Kopf als Kometen auf die Erde zurasen läßt und „Das Ende der Welt (wie wir sie kennen)“ verkündet, hatte Obamas Wahlsieg mit dem Titel „Der Weltpräsident“ gefeiert. Die Zeit, die jetzt stöhnt „Oh my God“ und resigniert erklärt: „Als Deutscher ist man konsterniert und fühlt sich verlassen“,  jubelte damals auf Seite eins: „Der Traum wird wahr“, und erhob den ersten schwarzen US-Präsidenten zum „guten Führer“. Im Führer- und Heilandsglauben, der auf

Obama projiziert wurde, entäußerte sich eine autoritäre Fixierung, auf die nun mit der Verteufelung Trumps eine tiefe Orientierungskrise folgt.

Die Medien, aber auch Politiker reagieren wie trotzige Kinder, die ihre Eltern maßlos idealisiert hatten und denen sich nun ihr Doppelleben enthüllt: Vater hat mit Spiel und Trunk und Mutter mit jungen Männern das Familienvermögen durchgebracht. Woran soll man jetzt noch glauben? Obama, Hillary, die New York Times, Hollywood, die Feministin Judith Butler, der milliardenschwere Philanthrop George Soros – diese Repräsentanten des „kritischen Auslands“, auf das sich die politisch-mediale Klasse der Bundesrepublik als Autorität und Legitimationsquelle bezieht, wenn es gilt, fremden- und demokratie-feindliche Strömungen im eigenen Land zu bekämpfen, sie alle haben von den amerikanischen Wählern eine krachende Niederlage kassiert. Das signalisiert eine Diskursverschiebung, die auf Deutschland zurückwirkt.

Diskursfragen sind Machtfragen. Die Funktionseliten fürchten die Entwertung ihres kulturellen, politischen und sozialen Kapitals. Es geht ihnen wie den Betonköpfen der SED vor dreißig Jahren mit dem sowjetischen Reformer Michail Gorbatschow, die das Sprüchlein „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“ hergebetet hatten und nun irritiert vernahmen, daß der neue Vorbeter von „Glasnost“ (Offenheit) und „Perestroika (Umbau) sprach. Sie ahnten, daß die Grundlagen ihrer Macht sich damit auflösen würden.

Ob eintrifft, was Trump verkündet hat oder was man ihm zuschreibt, sei dahingestellt. Auffällig ist jedenfalls die Unfähigkeit der deutschen Funktionseliten, politisch zu argumentieren und die eventuellen positiven Möglichkeiten zu sehen. An erster Stelle steht die Migrationsfrage. Eine europäische Migrationspolitik, die auf die Abwehr der Wanderungsströme aus der Dritten Welt gerichtet ist, könnte wohl mit der Billigung und Rückendeckung des neuen US-Präsidenten rechnen.

Eine größere Bewegungsfreiheit wird von den deutschen Funktionseliten aber mehr gefürchtet als ersehnt. In der Zeit warf Bernd Ulrich, ein Transatlantiker, die Frage auf, was wohl geschehen würde, wenn ein Mann wie Trump in Deutschland nach der Macht griffe: „Da würde ein amerikanischer Präsident mahnende Worte an das deutsche Volk richten und sachte daran erinnern, daß man die Welt schon zweimal vor Deutschland gerettet habe und das, falls nötig, auch ein drittes Mal tun würde.“

Die langjährige politische Sachlage, die Abhängigkeit der Bundesrepublik von den USA, ist richtig benannt. Darüber hinaus übernimmt der Autor aber auch die Begründung für das Unterstellungsverhältnis und anerkennt die USA als wertsetzende Vor- und Übermacht – schließlich hätten die USA „den heiligsten aller Kriege geführt und gewonnen“, die Deutschen hingegen „verloren“, weshalb ihr Selbstverständnis sich auf „Scham“ gründe.

Empfänglich für die amerikanische Verheißung

Die Motive und die Rolle der USA im Ersten und Zweiten Weltkrieg sind ein eigenes Thema, das vom Autor nur im üblichen, gesetzlich geschützten Rahmen verstanden wird. Das macht es ihm leicht, die anhaltende politische Abhängigkeit Deutschlands als historisch und moralisch begründet zu akzeptieren. Mit seinen – oft vulgären – Verstößen gegen die Political Correctness bringt Trump das Fundament dieses politisch korrekt ausgeformten Selbstverständnisses auch in Deutschland ins Wanken. Weil die Funktionselite in weiten Teilen über keine Begrifflichkeit und Denkstrukturen jenseits des von Trump attackierten Jargons verfügt, ist sie außerstande, den Vorgang reflexiv zu erfassen und verfällt folgerichtig ins Keifen und Zetern.

Für die Implementierung ihres dysfunktionalen geistiges Mobiliars werden Termini wie „Umerziehung“ (Reeducation) oder „Charakterwäsche“ (Caspar von Schrenck-Notzing) verwendet, die freilich das gewalttätige Element des Vorgangs verabsolutieren. Seit Schrenck-Notzings Klassiker sind weitere aufschlußreiche Bücher zum Thema erschienen. Neben dem von Clemens Albrecht herausgegebenen Sammelband „Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik“, der den Reimport der Frankfurter Schule aus den USA beschreibt, ist vor allem die Untersuchung „Wer die Zeche zahlt ...“ der britischen Dokumentarfilmerin Francis Stonor Saunders zu nennen, in der die materielle und ideelle Aufmunitionierung des westeuropäischen Kulturbetriebs durch die CIA dargestellt wird. Sie betraf alle Bereiche der Kunst, Kultur und Meinungsbildung. Tim. B. Müller hat in seinem Wälzer „Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg“ die Denkprozesse im Establishment der sogenannten Ostküste hinsichtlich Europas, Deutschlands und der Sowjetunion detailliert nachgezeichnet.

Es ging darum, Westeuropa und die Bundesrepublik in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus kulturell, psychologisch und ideologisch zu stärken. Präsident Eisenhower äußerte auf einer Pressekonferenz, man wolle „die Welt mit friedlichen Mitteln dazu bewegen, die Wahrheit zu glauben, und die Wahrheit ist, daß Amerika eine friedvolle Welt anstrebt“ und die Freiheit sichere. Er bekannte sich zum Begriff „Psychologische Kriegsführung“, der nichts weiter bezeichne als den „Kampf um den Verstand und den Willen der Menschen“.

In Deutschland war die Empfänglichkeit für die amerikanische Verheißung besonders groß, nachdem die eigene Nation durch den Nationalsozialismus eine umfassende Diskreditierung erfahren hatte. Auch am Transport amerikanischer Machtinteressen störte man sich nicht, weil diese einen Schirm gegen die aggressiven Ambitionen der Sowjetunion bildeten. Der amerikanische Kultur- und Ideologieexport wurde zudem von ausgesprochen liberalen Kräften geplant und in Gang gesetzt, die klug genug waren, gegen die kommunistische Herausforderung eine nichtkommunistische Linke in Marsch zu setzen, die Freiheit, Emanzipation, Pluralismus und die soziale Frage auf ihre Fahnen schrieb. So stieg die politische und militärische Führungsmacht auch zum unbestrittenen Lehrmeister von Demokratie, Freiheit und Liberalität auf.

Erst während des Vietnamkriegs Mitte der 1960er Jahre wurde bekannt, daß hinter den vielfältigen Aktivitäten – darunter der „Kongreß für kulturelle Freiheit“ und die einflußreiche Zeitschrift Der Monat – die CIA steckte, die rund 170 Stiftungen, sogenannte „dummie foundations“, unterhielt allein für den Zweck, die wahren Auftraggeber zu verschleiern. Auf den gläubigen Pro-Amerikanismus folgte nun ein nicht minder naiver Antiamerikanismus. 

Die Studenten, die 1968 angesichts der Kriegsgreuel in Vietnam „USA SA SS“ skandierten, handelten weniger aus Einsicht in die politischen Zusammenhänge und Machtverhältnisse als aus moralischer Empörung. Sie waren enttäuscht, daß die antifaschistisch-demokratische Vormacht – angeblich – nicht besser handelte als der NS-Staat, dem ihre verachteten Väter gedient hatten. Solche Stimmungen wurden immer wieder dadurch befeuert, daß die liberalen Kräfte in den USA, die die Vorlage für den Glauben an das gute Amerika geliefert hatten, zu Hause nicht unumstritten waren. Der Antiamerikanismus steigerte sich während der Präsidentschaft Ronald Reagans (1981–1989) und George W. Bush (2001–2009). Unter Bill Clinton (1993–2001) schlug das Pendel wieder zurück, und Barack Obama weckte regelrechte Erlöserphantasien. Die Intensität der Fixierung blieb konstant, nur die Vorzeichen wechselten.

Trump kündigt das Wertefundament auf

Der Historiker Dirk Bavendamm mutmaßte 2008 anläßlich der Wahl Obamas, daß Deutschland „unter den Bedingungen der Multipolarität einen größeren Bewegungsspielraum gewinnen“ und „mit den europäischen Nachbarn auch bewußtseinsmäßig wieder in seine alte geostrategische Mittellage“ rücken würde (JF 45/08). Die Prognose sollte sich nicht bewahrheiten. In der Rußland- und Migrationspolitik, bei der sogenannten Euro- und Griechenland-Rettung sind Merkel und ihre politisch-mediale Entourage den Wegweisungen des „guten Führers“ in Washington gefolgt.

Der neue Präsident will – nimmt man seine Ankündigungen ernst – neben der geostrategischen auch die moralische Überdehnung seines Landes zurücknehmen, die einer Mehrheit der Amerikaner unerträglich geworden ist. Moralische Überdehnung meint den sich zunehmend totalitär gebärdenden Liberalismus, der unter Berufung auf Freiheit, Offenheit, Vielfalt, Teilhabe, Toleranz das politische, gesellschaftliche und Privatleben immer mehr normiert und einschnürt. 

Damit kündigt Trump das sogenannte Wertefundament auf, das bis jetzt neben den transatlantischen Unterstellungsverhältnissen auch die politischen Absurditäten in Europa und der Bundesrepublik legitimiert. Was für die einen die Perspektive auf eine geistige, psychologische und mentale Befreiung eröffnet, ist für die Machthabenden und ihre Zuarbeiter ein Grund zur Panik.