© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Hüter der Sagen aus den Dolomiten
Den Gebrüdern Grimm auf der Spur: Vor fünfzig Jahren starb der südtirolisch-ladinische Volkskundler Karl Felix Wolff
Wolfhard H. A. Schmid

Geboren 1879 im Karlstadt der k.u.k. Monarchie, dem heutigen kroatischen Karlovac, Sohn eines dort stationierten österreichischen Hauptmannes, wuchs Karl Felix Wolff in Bozen auf. Seine Mutter, eine geborene Lucilla von Busetti, stammte aus einem sehr alten Adelsgeschlecht, dessen Wohnsitz der nahe Bozen gelegene Nonsberg war. Als Kind wurde er sehr krank und bekam eine Pflegerin aus dem in den Dolomiten gelegenen Fleimstal. Dies sollte für sein späteres Leben bestimmend werden. 

In den Dämmerstunden trug sie dem Kind immer wieder die traurigschönen Sagen und Märchen aus einer längst versunkenden Welt vor, die sie in ihrer Heimat oft in den Spinnstuben der Bäuerinnen gehört hatte. Aufmerksam lauschte der junge Karl Felix, was sie ihm mit eintöniger und sonorer Stimme erzählte. Sie sprach von Zwergen, Königen, wilden Männern und Feen, über geheimnisvolle Berge und Seen und beschrieb die Schönheit der bleichen Berge, der Dolomiten und eines versunkenen Reiches, das Zwerge bewohnt haben. 

Wolff erhielt der Nachwelt mündliche Überlieferungen 

All dies sollte bei Karl Felix Wolff einen intensiven Forschungsdrang entwickeln. Von seinem Vater in allen Gymnasialfächern unterrichtet, begann er nach der Schule, als Journalist Fremdenführer zu schreiben, wozu er auch die entlegensten Winkel Südtirols aufsuchte. Er sprach mit Bäuerinnen und Knechten, Sennern, Waldarbeitern und Jägern, vor allen Dingen mit den Alten. Mit viel Feingefühl und vorsichtigen Nachfragen gelang es ihm, ihnen die alten Geschichten aus der Sagenwelt zu entlocken, die schon damals für die meisten Einheimischen in Vergessenheit geraten waren oder als wertloser Unsinn ihrer Vorfahren bezeichnet wurden. 

Auch wenn die Erzähler ihre Geschichten oft in abgewandelter Form wiederholten, dokumentierte Wolff dies sorgfältig und katalogisierte die Angaben. Dabei erkannte er, daß mit den von Generation zu Generation immer wieder weitergegebenen Erzählungen uns eine Sagenwelt als kulturelles Erbe der alpenländischen Urbevölkerung bewahrt wurde, dessen Reste noch heute in den rätoromanischen Ladinern in Südtirol und Norditalien zu finden sind. 

Er entwickelte dabei ein Gespür für die kulturellen Eigenarten dieser europäischen Urbevölkerung und ihre  Gegensätze zu den sie später dominierenden germanischen Völkern und die Gabe, die teilweise widersprüchliche Erzählungen zu ganzen Geschichten zu verknüpfen. Als Beispiel sei die Sage des einst so mächtigen und untergegangenen Reiches der Fanes genannt, dessen tragische Geschichte uns auch als Theaterstück in ladinischer Sprache bis heute erhalten geblieben ist. 

Daß diese Sage auch einen realen historischen Hintergrund hat, wurde von dem Südtiroler Georg Innerebner, dem Entdecker sogenannten Burgställe, als Zeugnisse von prähistorischen Besiedlungen bestätigt. Er fand nach dem Zweiten Weltkrieg in der Fanesgruppe auf über 2.600 Metern Höhe eine Ringwallanlage mit vorgeschichtlichen Scherben. Unverständlich, daß seine archäologische Entdeckung bis heute noch nicht weiter erforscht wurde. 

Nicht zu vergessen auch die Sage vom Zwergenkönig Laurin, der sich nach großem Kampf dem ostgotischen König Dietrich von Bern ergeben mußte. Das Bergmassiv vom Rosengarten ist mit seinem Alpenglühen noch heute Zeugnis dieser Überlieferung. So entstand in jahrzehntelanger Arbeit die Sagenwelt des Karl Felix Wolff. 

Sein großes Verdienst war dabei, daß er die mündlichen Überlieferungen vor einem endgültigen Verlust bewahrte und damit der Nachwelt ein kulturelles Erbe hinterließ, das auch wissenschaftliche Anerkennung fand. So wurde seine Forschungsarbeit mit dem Lebenswerk der Gebrüder Grimm verglichen. Er erhielt als erster den Südtiroler „Walther-von-der-Vogelweide-Preis“, und 1958 bewertete der Ordinarius für vergleichende Kulturwissenschaft der Universität Mainz, Anton Hickmann seine Dolomiten-Sagen als Zeugnis europäischen Seelentums und als eines der wesentlichsten Bücher, die uns in den letzten Generationen geschenkt wurden. 

Das Werk Wolffs wurde in Deutsch und Italienisch in über einem Dutzend Auflagen veröffentlicht. Testamentarisch hatte er festgelegt, daß bei Auflagen nach seinem Tode keine Änderungen gestattet sind. Auch in der neuesten Ausgabe im Bozener Verlag Athesia hat man sich daran gehalten. Seine wissenschaftlichen Unterlagen werden in der Innsbrucker Universität aufbewahrt, wo dem Privatgelehrten die Ehrenmedaille „Excellenti in litteris“ verliehen wurde. Karl Felix Wollf starb am 25. November1966 in Bozen.