© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Frisch gepresst

Migration. Von dem mit Preisen überhäuften Soziologen Zygmunt Bauman lassen sich deutsche Politiker und Feuilletonisten gern die Welt erklären. Der 1925 in Posen geborene jüdische Intellektuelle, der bis 1953 als Schreibtischtäter im polnischen Ministerium für Öffentliche Sicherheit Jagd auf antikommunistische Feinde der „Volksrepublik“ machte, weigerte sich noch 2013, als er die Breslauer Ehrendoktorwürde ob dieser Zumutung ablehnte, sich für seine Tätigkeit im stalinistischen Repressionsapparat zu entschuldigen. Bauman, der 1969 weniger wegen ideologischer Gegensätze, sondern wegen des polnischen Antisemitismus nach Israel emigrierte und der seit 1971 an der Universität Leeds lehrte, fand öffentliche Resonanz aber erst im Ruhestand mit seiner These über den Zusammenhang von „Auschwitz und Moderne“. Seitdem gilt das Bestreben des alten Internationalisten der Delegitimierung des Nationalstaats. Der lasse sich in Europa beseitigen durch Masseneinwanderung, die „Lebensweltverschmelzung“ und „Solidarität zwischen Menschen“ ermögliche, wie er in seiner hierzulande sofort in zwei Auflagen gedruckten Einlassung versichert. Das euphorisierte Deutschlandradio lobt daher nicht zu Unrecht die „Radikalität“, mit der Bauman die Migrationsfrage diskutiere. (wm)

Zygmunt Bauman: Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, broschiert, 125 Seiten, 12 Euro





Kriegsgeneration. Der Zweite Weltkrieg formt die Kollektivpsyche der Deutschen bis heute über die Erlebnisgeneration hinaus. Als geradezu prototypisch für die Alterskohorte der Nachgeborenen, die noch bis in die 1980er hinein von der Mentalität der elterlichen Kriegsgeneration geprägt wurden, kann Veit Scherzer, Jahrgang 1959, gelten. Allein die umfangreiche Bibliographie seiner Arbeiten zur Geschichte der Wehrmacht belegt, daß er nachhaltig im Bann des Weltkriegs steht. Mit der akribisch recherchierten Biographie seines Stiefvaters, eines Unteroffiziers, der den „Fleischwolf der Ostfront“ überlebte, eröffnet Scherzer jetzt auch einen familiären Zugang zur deutschen Mentalitätsgeschichte, indem er versucht, die „Härte und Kälte“ eines seelisch gezeichneten Veteranen anhand des alltagsarchäologisch ausgewerteten Kriegstagebuchs dieses „autoritären Charakters“ zu verstehen. (ob)

Veit Scherzer: „Ich konnte vom Dienst nicht genug bekommen.“ Mein Stiefvater, der Unteroffizier Adolf R. Verlag Veit Scherzer, Bayreuth 2016, gebunden, 189 Seiten, Abbildungen, 38,80 Euro