© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Patriotismus zieht an
Sogar der Staatspräsident trägt sie: Kleidung mit vaterländischen Motiven ist in Polen groß in Mode
Christian Rudolf

Patriotismus muß nicht schwer und altbacken wirken. Die Verbundenheit mit dem Vaterland kann auch flott und modern im Stil der Jetztzeit rüberkommen! Und: Man braucht sie nicht deklamatorisch auf den Lippen tragen, sondern viel eleganter: auf dem Leib!

Patriotismus ist kleidsam und konsumierbar geworden. Wie’s geht, macht gerade Polen vor. Durch unser östliches Nachbarland rollt eine Welle anziehend-anziehbarer vaterländischer Gefühle. Jacken, Sweatshirts und Kapuzenpullis, Mützen, T-Shirts und Polohemden, Blusen und Tanktops, bedruckt mit nationaler Symbolik und großen Gestalten aus Jahrhunderten polnischer Geschichte, sind schwer angesagt. Eine Viertelstunde an belebten Innenstadtplätzen in Posen, Danzig, Krakau herumgestanden, und klar ist: Die Helden von Zbigniew und Krzysztof, Katarzyna und Maria sind nicht Che Guevara, sondern Freiheits- und Widerstandskämpfer aus dem Zweiten Weltkrieg!

Neben Adler und weiß-roten Landesfarben zieren die T-Shirts das Konterfei Marschall Józef Pilsudskis, die Abzeichen von Truppenteilen aus dem Krieg wie jene der Heimatarmee, der konservativ-nationalistischen Nationalen Streitkräfte NSZ, Porträts von Kämpfern aus dem Warschauer Aufstand oder der „Verfemten Soldaten“ (JF 36/16) des antikommunistischen Untergrunds von 1944 bis 1956 sowie Opfern des Stalinismus, aber auch Szenen aus weit zurückliegender, längst zum Mythos geronnener Geschichte: der Schlacht von Tannenberg 1410 oder der Huldigung des gestürzten russischen Zaren Wassili IV. Schuiski vor König Sigismund III. 1611 in Warschau. Mal knallig bunt und plakativ, mal zurückhaltend-unauffällig. 

War der Rocksänger und jetzige Parlamentsabgeordnete Pawel Kukiz der erste, der Mode mit patriotischem Anspruch salonfähig machte? Schwer zu sagen. Sein Nonkonformisten-Image unterstreichend, bekannte der sich lässig mittels T-Shirt-Aufdruck zu den „Verfemten“, derer jahrzehntelang nicht ehrend gedacht werden durfte. Durch die aufgestoßene Tür schlüpften andere. Die Damen der Sporttanzgruppe „Cheerleaders Gdynia“ (Gdingen) zeigen sich in einem Spot in hautenger Kleidung des Breslauer Branchenprimus „Surge Polonia“ (lat. Steh auf, Polen): Das Motto „Stolz auf mein Vaterland“ und die polnische Fahne über die Brust gedruckt, große, gekrönte Adler über Bauch und Taille.

„Ich will mich eins mit   meinem Land fühlen“

Die diesjährigen Europameister vom American-Football-Verein „Panthers Wroclaw“ bewerben die Thermohemden desselben Herstellers wie auch die Handballer Karol Bielecki, Kamil Syprzak und Slawomir Szmal. Durch die Kampagne wolle er den „Stolz auf dieses Land“ und „das Gefühl eigenen Wertes“ stärken sowie ein „Beispiel geben, das der Nachahmung wert ist“, sagt Weltklassespieler Bielecki in die Kamera. Die Einstellung zeigt ihn in einem kurzärmeligen Shirt, das die Bauchmuskeln nachzeichnet und dessen Brustbereich ebenfalls ein weißer Adler auf rotem Grund ziert.

Den Vogel schoß Andrzej Duda ab: Der Präsident ließ sich im Flugzeug der Luftwaffe im eleganten Polohemd ablichten, auf dessen linker Brusttasche diskret eine polnische Fahne gestickt war. Den Clou daran fanden aufmerksame Internetsurfer schnell heraus: Hersteller des Kleidungsstückes war die junge polnische Firma mit dem charakteristischen Namen „Red is bad“ (Rot ist böse). Duda flog zum Staatsbesuch nach Rotchina – kleiner Nadelstich vorweg?

Seitdem gibt es kein Halten mehr. Obwohl die Preise absolut gepfeffert sind (40 Euro für ein bedrucktes T-Shirt muß man erst mal übrig haben), gehen die Klamotten von „Red is bad“ weg wie warme Semmeln. „Ich denke, alles fing so etwa vor zwei, drei Jahren an.“ Damian ist Mittzwanziger und Rechtsanwalt in Warschau. „Die jungen Leute begannen, sich intensiver für Geschichte zu interessieren, fingen an, stolz zu sein auf das, was sie sind.“ Tomasz pflichtet bei: „Die Leute wollten dem europäischen ‘Patriotismus’ der Tusk-Ära etwas entgegensetzen. Seine Steuern hier zu zahlen und den Abfall in den Papierkorb zu werfen, das trägt nicht, das wärmt das Herz nicht“, sagt der Vater dreier Kinder der JF. „Daß man in Massengräbern landesweit so viele verscharrte Patrioten gefunden hat, die vom kommunistischen Geheimdienst ermordet wurden, das hat die Leute schon bewegt, das hat was ausgelöst.“ Die Abiturientin Alina will durch die Wahl entsprechender Kleidung gleichsam Versäumtes nachholen: „Schließlich ist es ja nicht lange her, daß die Soldaten der Heimatarmee vergessen waren oder sogar als Banditen galten.“ Vor allem wolle sie zeigen, „daß ich mich eins mit meinem Land fühle und daß mir unsere Geschichte nicht gleichgültig ist“.

Die Firmen „Surge Polonia“ und „Red is bad“ („Die Marke für Menschen, die Freiheit schätzen“) heben hervor, daß ihre Produkte nichts mit Billigzeug aus Fernost zu tun haben. Produziert wird in Polen. Die Rzeczpospolita schrieb in einer aktuellen Analyse des Phänomens, daß der Markt für derartige Mode noch lange nicht gesättigt sei. „Das ist keine vorübergehende Mode“, ist „Surge“-Gründer Wojciech Setny überzeugt. „Die Werte, die wir propagieren, sind überzeitlich.“ Der Erfolg gibt ihm recht. Vor fünf Jahren mit minimalem Kapitaleinsatz, aber um so mehr Idealismus gegründet, konnte die Firma jetzt in Breslau, der diesjährigen Europäischen Kulturhauptstadt, ein Ladengeschäft im Zentrum eröffnen. Und wie um zu beweisen, daß der Patriotismus zum Mainstream der polnischen Jugendkultur geworden ist, setzte „Red is bad“ zusätzlich zur weitab gelegenen Stadtrandfiliale ein Klamottengeschäft mitten in Warschaus Fußgängerzone.