© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Cliquen kungeln Kandidaten
AfD: Die Listenaufstellung im Landesverband Nordrhein-Westfalen sorgt bundesweit für Aufregung
Christian Vollradt

Es ist wieder einiges los in der AfD. Von „Chaostagen in Nordrhein-Westfalen“ schreiben Journalisten, die beiden führenden Parteimitglieder Alexander Gauland aus Brandenburg und Björn Höcke aus Thüringen prangern öffentlich „Mauscheleien in Hinterzimmern“ an, woraufhin ihnen andere Parteifreunde – weniger öffentlich – vorwerfen, sie spielten „dreckig“. 

Hintergrund der Aufregung sowie der gegenseitigen Vorwürfe sind die in der vergangenen Woche vom Stern veröffentlichten Nachrichten, die sich Mitglieder des nordrhein-westfälischen Landesverbands über den Kurznachrichtendienst Whatsapp im September während der ersten beiden Parteitage zur Wahl der Landtagskandidaten zuschickten (JF 36/16). 30 bis 40 Mitglieder soll laut dem Magazin die Gruppe umfassen, allesamt Unterstützer des Landesvorsitzenden Marcus Pretzell. Dessen Wunschkandidaten sollten während der Wahl für die aussichtsreichsten Listenplätze protegiert, seine innerparteilichen Gegner ferngehalten werden – diesem Ziel habe der Informationsaustausch gedient. 

Viele der Dialoge sind eher unspektakulär: „Holt eure Leute in den Saal“, oder „jetzt wird jeder gebraucht“. Aus mancher Äußerung spricht wenig Wertschätzung für Parteifreunde: „Was haben wir nur für Pappnasen in der Partei.“ Wirklich Empörendes? Fehlanzeige. Dennoch macht der Vorwurf des Ränkespiels und Postengeschachers die Runde. So sollen Pretzells Gefolgsleute bewußt Saalmikrofone blockiert oder die Whatsapp-Clique schon über die jeweiligen Stichwahlkandidaten informiert haben, noch bevor die Ergebnisse offiziell verkündet worden waren. Dadurch, so der Vorwurf, habe man einen Vorsprung nutzen und die Kontrahenten übervorteilen können. Nur so sei es dem Lager des Landesvorsitzenden gelungen, die ersten und besten Listenplätze mit seinen Leuten zu bestücken. 

Noch am Tag der Stern-Veröffentlichung schickte die AfD Thüringen eine Pressemitteilung herum, in der Landeschef Höcke und sein brandenburgischer Kollege Gauland gemeinsam ihr „Befremden“ über die Vorgänge im Westen bei der Wahl der Landtagskandidaten ausdrückten: „Sie zeichnen das Bild eines tief gespaltenen Landesverbandes und eines Machtkampfes, der, wenn es stimmt, was behauptet wird, von einer Seite wohl auch unter Inkaufnahme unlauterer Mittel ausgefochten wird.“ Dabei wolle die AfD ja gerade keine Partei der Strippenzieher sein, sondern sei „angetreten mit dem Anspruch, es besser zu machen als die Altparteien“. Angesichts der „Tricksereien“ sei es angebracht, die Listenaufstellung nochmals vom Schiedsgericht überprüfen zu lassen. 

Umgehend meldeten sich daraufhin Stimmen aus der Partei zu Wort, die den beiden besorgten AfD-Länderchefs Scheinheiligkeit vorwarfen. In Wahrheit gehe es ihnen gar nicht um die Vorgänge bei der Listenaufstellung, schließlich sei die Beschaffung von Mehrheiten im Vorfeld von Wahlen in jeder Partei gelebter Alltag. Der Angriff von Gauland und Höcke ziele in Wahrheit auf ihre Kontrahentin Frauke Petry. Höcke, so argumentieren die Anhänger der Bundesvorsitzenden, sei seinerseits kungelnd unterwegs gewesen, um in anderen Landesverbänden Kandidaten seines rechten Flügels auf guten Listenplätzen unterzubringen. Dieses Vorhaben sei jedoch sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Baden-Württemberg krachend gescheitert. 

 Am vergangenen Wochenende traf sich nun die nordrhein-westfälische AfD in Rheda-Wiedenbrück zum dritten Listen-Parteitag. Von Beginn an sorgte dort die Frage für Kontroversen, ob die bisherige Liste rechtmäßig zustande gekommen ist. Zumal neues Ungemach droht. Einem Bericht der FAZ zufolge hatte ein Mitglied der Stimmzählkommission zugegeben, fünf Wahlzettel vernichtet zu haben, die nach dem Auszählen in einer Urne endeckt worden waren. „Mindestens ein Schönheitsfehler, aber juristisch irrelevant“, hatte Pretzell dieses Fehlverhalten gegegnüber der dpa genannt; die Stimmzettel hätten keinen Ausschlag geben können. 

„Wir haben niemanden angegriffen“

Pretzells innerparteilicher Widersacher Thomas Röckemann scheiterte auf dem Parteitag mit dem Versuch, die Liste komplett neu zu wählen. Sein Initiativantrag verfehlte die nötige Zweidrittelmehrheit, um auf die Tagesordnung genommen zu werden. Berichte, wonach eine – wenn auch nicht ausreichende – Mehrheit damit gegen die bisher gewählte Landesliste gestimmt habe, treffen laut Schilderungen aus Teilnehmerkreisen nicht zu. Denn bei der Abstimmung ging es lediglich um die formale Frage, ob der Antrag, die Liste neu aufzustellen, auf die Tagesordnung solle oder nicht. Dafür hatte sich die (zu kleine) Mehrheit ausgesprochen, nicht über die inhaltliche Ausgestaltung der Liste. Die konnte bis Platz 26 weiter aufgefüllt werden. Auf ihm kandidiert nun der Gewerkschafter und ehemalige Sozialdemokrat Guido Reil (JF 46/16).

„Wir haben niemanden angegriffen“, entgegnete unterdessen Bundesvize Gauland gegenüber der JUNGEN FREIHEIT auf den Vorwurf der Einmischung von außen. „Wir haben lediglich deutlich gemacht, welche Methoden wir in der Partei nicht haben wollen, unabhängig davon, wo das passiert.“ Wer dafür verantwortlich sei und wie die Mißstände behoben werden können, „das müssen die in NRW unter sich ausmachen“, stellte Gauland fest. 

Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Marcus Pretzell wollte sich in der jungen freiheit nicht zu den Vorgängen äußern.