© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Aufklärung ist wie Flaschenpost
Debatte über Identität: Die rheinland-pfälzische Konrad-Adenauer-Stiftung packt ein heißes Thema an / Kritiker der Merkel-Union kommen ausgiebig zu Wort
Jonas Birkengrün

Identität: Selbstbehauptung oder Selbstaufgabe“ – ungewöhnlich für ein Seminar der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) war schon die Ankündigung der Veranstaltung, die mehr als 250 Gäste im spätherbstlichen Rheinhessen auf Schloß Waldthausen erlebten. Eingeladen hatte das Bildungswerk Mainz, das – sehr im Gegensatz zur sonstigen Betulichkeit der KAS – immer wieder Existenzfragen der Nation behandelt, namentlich die der Demographie in Zeiten von Alterung und Masseneinwanderung. 

Schon in der Einführungsrede des Leiters des Mainzer Bildungswerks, Karl-Heinz van Lier, wurde deutlich, daß es darum ging, Kontrapunkte gegen die Entpolitisierung der Christdemokratie in der Merkel-Ära zu setzen. Van Lier attackierte den CDU-NRW-Spitzenmann Armin Laschet, der eine „offene Leitkultur einer offenen Gesellschaft“ propagiert, ebenso wie Bundesinnenminister Schäuble, der auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise die Einwanderung als Mittel gegen „Inzucht“ gepriesen hatte. 

Zuwanderung als Ersatz für Nachwuchs ist illusorisch

Ausgerechnet bei solchen Attacken gegen die CDU-Spitze brandete lauter Applaus auf, womit die Zuhörer auf ihre Weise zeigten, wie drängend die Selbstverortung auch und gerade in einer weithin säkularisierten und hedonistischen Gesellschaft ist, die, wie van Lier konstatierte, „es verlernt hat, ihre Werte zu leben“. Wie der Historiker und frühere Kohl-Berater Michael Stürmer ausführte, war die Frage nach der Nation in den achtziger Jahren für die politisch-kulturellen Eliten ein „Non-Thema“, während sie im Volk noch immer da war, für die Ostdeutschen sogar existentiell. Kohl habe immer schon gespürt und auch gesehen, daß die Franzosen mit der europäischen Integration andere Ziele verfolgten als die postnational gesonnenen westdeutschen Eliten. Als Lösung habe man die Subsidiarität propagiert, die aber in der Praxis nicht umgesetzt wurde. Im Blick auf die heutige Europäische Union mit ihrer gewaltigen Bürokratie meinte Stürmer: „Dieses Europa mit seinen Widersprüchen ist noch nicht das letzte Wort der Geschichte.“ 

Schwere Versäumnisse der Kohl-Regierungs-Ära sah Stürmer auch in der Bevölkerungspolitik. Man habe die Probleme wohl gesehen, aber statt in die Jugend zu investieren, sich lieber um die Alten gekümmert. Noch kritischer sah er die heutige Bundesregierung, die es in der aktuellen Migrationskrise an politischer Führung vermissen lasse, die doch die Aufgabe der Kanzlerin sei. Scharf kritisierte er auch die Naivität der Wirtschaftselite in der Migrationspolitik, die nur vermeintliche Fachkräfte sehen wolle, aber kulturelle Prägungen ignoriere. 

Daß die Zuwanderung keinen Gewinn, sondern steigende Soziallasten bedeute und „kompensatorische Zuwanderung“ als Ersatz für eigenen Nachwuchs eine gefährliche Illusion sei, stellte anschließend der Altmeister der deutschen Demographie, Herwig Birg, in aller Deutlichkeit dar. Aufklärungsarbeit verglich er mit einer Flaschenpost, bei der unsicher sei, ob und wann sie die Adressaten erreicht. 

Von der Aufklärung der Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter, die über ihre Feldforschungen in Moscheen im Rhein-Main-Gebiet berichtete, konnten die Zuhörer nur hoffen, daß sie sehr bald politische Konsequenzen hat. Am Beispiel der Propaganda für die Verschleierung der Frau stellte sie dar, wie fundamentalistische Moscheegemeinden die Religionsfreiheit in Deutschland für ihre Missionsziele mißbrauchen, die allen westlichen Freiheitserrungenschaften hohnsprechen. Manchem Zuhörer stockte der Atem, als sie die Verlogenheit Wiesbadener Moscheegemeinden darstellte, die bis vor kurzem den Dschihad propagierten, aber mit den IS-Reisen Jugendlicher aus ihren Gemeinden dann angeblich nichts zu tun haben wollten. 

Daß solche fundamentalistischen Gruppen nicht geächtet, sondern in der Islamkonferenz sogar noch zu „Partnern“ aufgewertet werden, zeigt, wie sehr es der Regierungs-CDU am „Mut zur Wirklichkeit“ fehlt, den Moderator Jürgen Liminski forderte und damit das Leitmotiv dieser für die Gegenwarts-christdemokratie außergewöhnlichen Veranstaltung beschrieb.