© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Für die Union, aber gegen Merkel
Konservative Kreise: An der Basis der CDU gründen sich immer mehr Initiativen, in denen sich die parteiinternen Kritiker der Kanzlerin vernetzen / Kritik an einem Klima der Angst
Hinrich Rohbohm

Das Ergebnis steht praktisch schon fest. Wenn sich Angela Merkel in der kommenden Woche auf dem 29. CDU-Bundesparteitag in Essen als Parteivorsitzende zur Wiederwahl stellen wird, dürfte alles andere als ein Ergebnis von 95 Prozent plus x an Zustimmung eine Überraschung sein. So mancher Delegierter wird sein Votum zwar mit geballter Faust in der Tasche abgeben. An die von den Bezirks- und Landesvorsitzenden ausgegebene Ermahnung zur Geschlossenheit vor der Bundestagswahl werden sie sich jedoch halten. 

„Tun Sie was, damit wir nicht AfD wählen müssen“

Dennoch bricht sich in der Union der Unmut Bahn, beginnen sich gerade Konservative immer stärker zu organisieren und zu vernetzen. „Die große Mehrheit der Stammwähler und der Parteibasis der Union lehnen eine erneute Kandidatur von Frau Merkel ab“, ist der Kaufbeurer CSU-Fraktionsvorsitzende Thomas Jahn überzeugt. Der 43jährige ist seit Ende August Vorsitzender des Konservativen Aufbruchs (KA) in Bayern. „Wir müssen versuchen, in die CDU hineinzuwirken, um eine Politik-Änderung herbeizuführen“, forderte er bereits im Sommer auf einer Mitgliederversammlung im oberbayerischen Wolnzach. 

Vierzig überwiegend jüngere CSUler hatten sich in dem ländlich-rustikalen Gasthof Reich eingefunden. Leute, die jedoch bereits voll im Erwerbsleben stehen. Anwälte, Polizisten, Offiziere, Kaufleute, PR-Experten, zumeist Familienväter und -Mütter. Parteimitglieder, die von der Basis kommen, nicht zur Funktionärskaste der Berufspolitiker gehören. Es sind JU-Vorsitzende, CSU-Ortsvorsitzende, Kommunalpolitiker oder einfach nur CSU-Mitglieder ohne Amt. Eine Mutter hat ihr Neugeborenes gleich mit auf die Versammlung genommen, stillt es, während sie gleichzeitig mit debattiert. Zentrale Themen: Zuwanderungskrise, Innere Sicherheit, Eurokrise, die Folgen der Energiewende sowie die Familienpolitik. Der Tenor ist eindeutig. Merkel habe der Union, Deutschland und der Europäischen Union großen Schaden zugefügt. „So geht es nicht weiter, wir müssen uns dringend vernetzen, um diesem Irrsinn Einhalt zu gebieten“, fordert einer. 

Jahns Appell in Richtung Schwesterpartei war für viele in der CDU eine Initialzündung. In nahezu allen Bundesländern gründen oder planen CDU-Mitglieder derzeit Konservative Kreise. Und wollen damit jenen Christdemokraten wieder eine politische Heimat zurückgeben, die sie unter der Bundeskanzlerin verloren haben.

In Nordrhein-Westfalen ist diese Vernetzung bereits in vollem Gange. Der Konservative Kreis von Kamen hat zu einer Informationsveranstaltung geladen. „Die CDU droht zum Selbstzweck zu werden. Sie hat für mich den Nimbus, die Partei der Rechtsstaatlichkeit zu sein, verloren“, sagt Jan Hoffmann, der den Kamener Kreis ins Leben gerufen hat. Zustimmendes Kopfnicken bei den gut 30 erschienenen Interessenten. Hoffmann hat der Bundeskanzlerin einen Brief geschrieben. Und ihr mitgeteilt, daß er aufgrund ihrer Politik die Zweitstimme für die CDU versagen werde. 

Mit seiner Haltung steht er nicht allein da. Einige lassen auf der Versammlung offen ihren Unmut über den Kurs der Partei heraus. „Tun Sie was mit ihrer Initative, damit wir hier nicht die AfD wählen müssen“, sagt einer der Gäste. Viele in der Runde denken so. Sie stehen zur CDU, gewinnen jedoch zusehends den Eindruck, daß vielmehr die Kanzlerin nicht zu den Werten der Partei stehe. „Frau Merkel will die Welt retten und vergißt Deutschland dabei“, meint einer. Doch es gibt an diesem Abend noch drastischere Stimmen. „Diese Bundeskanzlerin hat Deutschland den größten Schaden zugefügt seit dem letzten Reichskanzler.“ Worte, die das Ausmaß des Unmuts verdeutlichen. 

Bei Wolfgang Bosbach      besser aufgehoben

„Ich fühle mich bei Frau Merkel nicht aufgehoben“, meint auch Simone Baum. Die 56 Jahre alte Ratsfrau aus Engelskirchen ist gemeinsam mit dem 31jährigen Kommunalpolitiker Alexander Willms aus Overath Sprecherin des Konservativen Kreises von Nordrhein-Westfalen. „Sprechen Sie mit Polizisten und Soldaten, schauen Sie sich an, was in Sozialämtern und Ausländerbehörden abläuft“, erzählt sie von Zuständen, die immer haltloser zu werden drohen. Daß sie sich beim CDU-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach weitaus besser aufgehoben fühlt als bei der Kanzlerin, daraus macht Baum keinen Hehl. Um so wichtiger sei ihr auch die bessere Vernetzung der Konservativen in der Union. 

„Wir bekommen immer mehr Anfragen, es werden sich schon bald weitere Konservative Kreise in Nordrhein-Westfalen bilden“, kündigt sie an. So haben sich inzwischen auch in Krefeld und Düsseldorf weitere Initiativen gebildet. Auch Thomas Jahn bestätigt gegenüber der JUNGEN FREIHEIT ein stark wachsendes Interesse. „Die vielen konservativen Basisinitiativen in der Union haben derzeit großen Zulauf, weil sie den parteiinternen Merkel-Kritikern endlich eine Stimme verleihen.“

So auch in Sachsen-Anhalt. Der dortige konservative Kreis besteht aus derzeit 30 CDU-Mitgliedern. „Nachdem wir unsere Vorstellungen dem CDU-Landesvorstand nähergebracht haben, steht dieser unserer Gruppe wohlwollend gegenüber“, schildert deren Sprecher Ingo Gondro der JF. „Wir werden im CDU-Kreisverband Anhalt-Bitterfeld wie eine Gliederung der CDU behandelt und haben dort laut Beschluß des Kreisvorstandes einen kooptierten Sitz.“ Auch Gondro hält eine Vernetzung aller Konservativen Kreise für „sehr dringlich“.

In Merkels Landesverband Mecklenburg-Vorpommern ist es der Greifswalder CDU-Politiker Sascha Ott, der Mitte Dezember einen Konservativen Kreis ins Leben rufen will. Der stellvertretende Leiter der Stralsunder Staatsanwaltschaft war von der CDU ursprünglich als Justizminister im Landeskabinett vorgesehen. Weil er jedoch eine Facebook-Seite der AfD mit „Gefällt mir“ markiert hatte, zog die CDU seine Nominierung zurück. Ein Beispiel, das symptomatisch ist für das Klima der Angst, etwas Falsches sagen oder falsch handeln zu können, das unter der Ägide Merkels in der Union Einzug gehalten hat. Die Kanzlerin selbst war bei jener Sitzung des Landesvorstandes mit zugegen, als dieser Ott fallenließ. Ein Beschluß, den auch die Parteichefin mitgetragen hatte. 

Die Folge ist nun auch hier eine Vernetzung der Konservativen. „Den Initiatoren des Konservativen Kreises  ist es ein großes Anliegen, möglichst viele Mitglieder der CDU auf diesem Weg mitzunehmen. Die bisherigen Vorbereitungen sind auf eine außergewöhnlich große Zustimmung getroffen. Viele Mitglieder haben bekundet, mit ihren Auffassungen in der CDU nicht mehr wahrgenommen zu werden“, erklärt der 51jährige gegenüber der JF. Diesen Mitgliedern wolle man wieder eine Heimat geben und zu einer „Kurskorrektur“ beitragen. 

Das wollen auch Peter Heichen und Ulrich Link, die in Dresden die Initiative „CDU-Kurswechsel“ ins Leben gerufen haben. Der Unternehmer Heichen gehört der CDU seit 1993 an, ist zudem stellvertretendes Ortsbeiratsmitglied in Dresden-Klotsche. Link ist erst Anfang dieses Jahres der CDU beigetreten, saß zuvor jedoch sechs Jahre im Landesvorstand des parteinahen Wirtschaftsrates. Sie haben ein Flugblatt entwickelt, auf dem sie ihre Vorstellungen von einem Kurswechsel in der CDU konkretisieren. So fordern sie darin unter anderem ein Europa der Nationen. Werte dürften nicht wegen „angeblicher ‚Alternativlosigkeit‘“ aufgegeben werden. Zudem müsse die CDU das „konservative Lager zusammenführen und anführen – notfalls auch mit neuer Führungsriege“. 

„Keiner will für Meinung sein Mandat verlieren“

Worte, die von vielen der Initiatoren zu hören sind. Längst nicht jeder von ihnen will sich jedoch offen dazu bekennen. Zu stark sei der Druck von Parteifunktionären, der dann auf sie ausgeübt würde. „Ich weiß von vielen Abgeordneten, daß sie im Prinzip genauso wie wir denken“, sagt einer von ihnen. Mit „Mobbing“ und „brutalen Abstrafungen“ im Falle deutlicher Kritik an der Kanzlerin würden sie ruhiggestellt. „Niemand möchte für seine Meinung sein Mandat verlieren.“ Doch in den Konservativen Kreisen formieren sich gerade jene, die keine Mandate zu verlieren haben. So auch auch in Baden-Württemberg, Brandenburg und Niedersachsen, wo sich derzeit weitere konservative Initiativen in der Gründungsphase befinden. 

Und selbst die Altstipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung begehren auf. Einige von ihnen haben sich unter dem Titel „Konrads Erben“ zusammengeschlossen, um ihren Protest gegen Merkels Politik zu kanalisieren. Das Erbe Adenauers sehen sie durch die Kanzlerin „ernsthaft in Gefahr“. Am vergangenen Sonntag hat die Gruppe ihr „Rhöndorfer Manifest“ veröffentlicht, in dem sie unter anderem eine deutsche und europäische Leitkultur einfordern und den Import von „Kriminalität, Konflikten und Terrorgefahr“ rückgängig machen wollen. 

„Ich freue mich, daß wir Ideengeber für die Gründung solcher Plattformen waren, von denen es inzwischen in allen Bundesländern Ansprechpartner gibt“, zeigt sich CSU-Mann Thomas Jahn zufrieden.