© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Die Listen der Trickdiebe
An Telefon und Haustür: Betrüger haben mit vertrauensseligen Bürgern leichtes Spiel / Dabei kann sich wehren, wer Bescheid weiß
Heiko Urbanzyk

Die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) weist für das Jahr 2015 6,3 Millionen Straftatverdachte aus (Stand Mai 2016). 2,48 Millionen davon sind Diebstahlsdelikte, knapp eine Million sind Betrugsdelikte. Etwas vereinfacht gesagt: In mehr als der Hälfte aller Ermittlungsverfahren im Jahr 2015 ging es um Delikte, in denen das Opfer um Eigentum und/oder Vermögen erleichtert werden sollte, ohne daß dabei Gewalt gegen Personen (wie zum Beispiel beim  Raub) angewandt wurde. Zieht man von Diebstählen aus Wohnungen die Wohnungseinbrüche ab, verbleiben rund 55.000 Diebstähle aus Wohnungen, bei denen sich die Täter nicht gewaltsam Zugang zur Wohnung verschafften. Bevorzugte Opfer der Eigentums- und Vermögensdelikte sind die „Alten und Schwachen“. Sie sind leichte Opfer.

„Tricktäter erfinderisch und schauspielerisch begabt“

Zwar ist es erwiesen, daß ältere Menschen in der Gesamtbetrachtung vergleichsweise seltener Opfer von Straftaten werden als Jugendliche. Im Bereich der Trickdiebstähle sind sie jedoch das bevorzugte Opfer schlechthin. Die sogenannte Seniorensicherheitsberatung ist in der Folge ein eigenes Forschungsfeld der Wissenschaften und Tätigkeitsfeld der Behörden geworden: „Beratungen zur Kriminalprävention orientieren sich vor allem an den […] Themenschwerpunkten […] Trickdiebstahl am Telefon oder an der Wohnungstür, da dies typischerweise die Felder besonderer Gefährdung im Alter sind“, heißt es entsprechend in einem jüngst erschienenen Forschungsband „Krise – Kriminalität – Kriminologie“ aus der Neuen Kriminologischen Schriftenreihe.

Diese Ausgangslage veranlaßte die Polizei dazu, gemeinsam mit der Opferschutzvereinigung Weißer Ring gleich zwei Broschüren für Senioren zu veröffentlichen. „Mit dem Heft ‘Sicher leben’ erhalten Seniorinnen und Senioren Tips zum richtigen Surfen und Einkaufen im Internet, zu Gefahren an der Haustür oder auch unterwegs. Die Broschüre ‘Sicher zu Hause’ informiert über Gefahren, die im häuslichen Umfeld (Haustür oder Telefon) passieren können, beispielsweise wie Täter versuchen, durch Tricks und Täuschungen an das Vermögen älterer Menschen zu gelangen“, beschreibt es der Begleittext zur Polizeilichen Kriminalstatistik 2015.

Der Vorauszahlungsbetrug

Vor einer neuen Masche des Vorauszahlungsbetruges warnt aktuell die Rechtsanwaltskammer Hamm: Angebliche Notariate bestätigen den Opfern ihren hohen Gewinn – und daß sie allerdings zuvor zur Vorauszahlung einer Bearbeitungsgebühr in Höhe von 5.000 Euro aus einem angeblichen Lotterievertrag verpflichtet seien.

Üblicherweise funktioniert der klassische Vorauszahlungsbetrug so: Bevorzugt ältere Menschen erhalten Anrufe. Sie hätten einen Lotterievertrag abgeschlossen und müßten deswegen einen Geldbetrag auf ein zumeist ausländisches Konto überweisen. Erst danach werde ihnen der bereits erlangte Gewinn ausgezahlt. Das Geld bekommen sie später freilich nie.

Die neue Masche ist perfider: Als sich das Opfer trotz hoher Gewinnversprechung dagegen verwahrte, überhaupt eine so hohe Gebühr aus einem Lotterievertrag zu schulden, wurde ihm mitgeteilt, es könne den Vorgang von einem Notar seines Vertrauens überprüfen lassen. Tatsächlich gab das Opfer dem Anrufer an, welches Notariat ihm persönlich bekannt sei. Eine Stunde später meldete sich eine vermeintliche Rechtsanwältin dieser Sozietät telefonisch. Da die Stimme der Rechtsanwältin dem Geschädigten nur flüchtig aus dem Notariat bekannt war, konnte er diese nicht sicher erkennen. In der Telefonanzeige war jedoch die korrekte Nummer der ihm vertrauten Kanzlei zu lesen.

Die vermeintliche Anwältin bestätigte dem Opfer: Der Lotterievertrag sei wirksam, die Gebühr in Höhe von 5.000 Euro müsse vorab gezahlt werden. Die gute Nachricht sei jedoch, daß danach ein Betrag in Höhe von 80.000 Euro ausgezahlt werde. Auf diese abgebrühte Masche fiel der völlig übertölpelte, beruflich eigentlich geschäftserfahrene Geschädigte herein.

Trickdiebstahl aus der Wohnung

„Trickdiebstahl in Wohnungen ist nach dem Taschendiebstahl auf der Straße die vermutlich häufigste Straftat, von der ältere Menschen betroffen sein können“, konstatiert das gemeinsame Internetportal der Landes- und Bundespolizeibehörden „polizei-beratung.de“. Es sei zu beobachten, daß Tricktäter vermehrt Seniorenwohnhäuser und -wohnanlagen aufsuchten. Der weiter zunehmende Abbau der dortigen Pförtnerdienste fördere das dreiste Vorgehen.

„Tricktäter sind erfinderisch und schauspielerisch begabt“, stellt die Polizei fest. Die Täter kommen in der Regel ohne Gewaltanwendung aus, deren Taten beruhen auf reiner Kreativität.

Die Täter sind laut offiziellen Behördenangaben „zumeist nichtdeutsch“. Die Vorgehensweise deutscher und ausländischer Täter kann sogar in groben Zügen unterschieden werden. Der Ausländer mimt den Hilfsbedürftigen. Der Deutsche gibt sich lieber den Anschein offizieller Funktion.

Der Hilfsbedürftige

Bei der Hilfsbedürftigenmasche werden beispielsweise Notlagen vorgetäuscht, deren Abhilfe unbedingt in der Wohnung des Opfers erfolgen müsse. Eine Variante hiervon ist der Glas-Wasser-Trick: Die Täter täuschen eine Übelkeit oder sonstige plötzliche Krankheit vor und bitten darum, sich zwecks eines Glases Wasser und einer Medikamenteneinnahme in die Wohnung begeben zu dürfen. Beim Papier-Bleistift-Trick soll das Opfer oder möchte der Täter eine Nachricht für einen durch den Täter angeblich nicht angetroffenen Nachbarn hinterlassen. Ähnliches gilt für den Geschenk-/Blumenabgabe-Trick, bei dem das Opfer für den angeblich nicht angetroffenen Nachbarn entsprechende Gegenstände entgegennehmen soll.

Die Grundkonstellation „Notlage/Hilfesuche“ ist in der Einzelfallgestaltung bei der Tat so vielfältig wie das Leben selbst. Polizeibekannt sind die Bitten, aufgrund eines Wasserschadens im Haus nach einem Rohrbruch in der Wohnung suchen zu dürfen; auf dem Balkon seinen entflogenen Vogel oder sein entlaufenes Kätzchen einfangen zu dürfen; wegen einer Autopanne, eines Unfalls oder einer Erkrankung das Telefon benutzen zu dürfen; die Toilette benutzen zu dürfen; einen Säugling  wickeln oder füttern zu dürfen. Auch das zuvorkommende Hochtragen von Einkäufen in die Wohnung ist eine Masche. „So denken sie sich immer neue ‘Schachzüge’ aus, die an dieser Stelle nie vollständig aufzuzählen sind“, warnt die Polizei.

Selbstredend sind die Täter in der Regel zu zweit. Während der eine die Hilfe in Anspruch nimmt, durchwühlt der andere unbeaufsichtigte Räume nach Wertsachen oder Bargeld.

Die Broschüre „Sicher zu Hause“ rät: „Lassen Sie nie Unbekannte in Ihre Wohnung. Nutzen Sie einen Türspion und eine Sprechanlage. Öffnen Sie nur mit vorgelegter Türsperre. Reichen Sie Stift, Wasser usw. immer nur durch den Türspalt einer per Türsperre gesicherten Tür oder durch das Fenster.“

Der Funktionsträger

Der deutsche Täter bevorzugt das offizielle Gewand, mindestens eine sonstige Befugnis, zum Betreten der Wohnung. Die späteren Pressemeldungen der Polizei lesen sich dann so wie am 10. November in Paderborn: „In ihrer Wohnung ist eine 83jährige Frau Opfer von unbekannten Trickdieben geworden. Gegen 13.05 Uhr klingelte es an der Haustür des Mehrfamilienhauses. Über die Türsprechanlage sprach die Seniorin aus ihrer Wohnung mit einem fremden Mann, der angab, von den Wasserwerken zu sein und die Wasseruhr auswechseln zu müssen. Die Frau ließ den Mann ins Treppenhaus und erwartete ihn an ihrer Wohnungstür. Da er sich nicht ausweisen konnte, wollte die 83jährige den Fremden nicht in die Wohnung lassen. Der Mann redete unentwegt auf die Frau ein, so daß sie ihm Zutritt gewährte. In der Wohnung verwickelte der falsche ‘Wasserwerker’ die Frau in Gespräche, vermutlich, um einem Komplizen die Gelegenheit zu verschaffen, unbemerkt nach Beute zu suchen. Nachdem der Tatverdächtige das Haus verlassen hatte, entdeckte die Seniorin den Diebstahl ihres Schmucks aus dem Schlafzimmer. Bei dem Mann handelte es sich um einen etwa 40 Jahre alten und 170 cm großen Deutschen.“

Andere seriöse Erscheinungsformen auf der Klaviatur der Trickdiebe sind – neben weiteren Handwerksberufen – angebliche Mitarbeiter der  Hausverwaltung, der Kirche, der Rentenversicherung oder Krankenkasse, Mitarbeiter der Post, des Sozialamts und – Beamte der Polizei.

Am 11. November machte die sachsen-anhaltinische Polizei auf einen leider erfolgreich verlaufenen Trickdiebstahl in der Landeshauptstadt aufmerksam: „Falscher Polizist in Magdeburg unterwegs. Der Mann hatte am Donnerstag, 10. November, zwei Rentnerinnen in ihren Wohnungen bestohlen. Er zeigte einen gefälschten Dienstausweis und behauptete, bei den Damen sei eingebrochen worden. Die Frauen ließen ihn daraufhin in ihre Wohnungen. Der falsche Polizist bat die Opfer, ihm sicherheitshalber ihren Schmuck und ihr Bargeld zu geben. Damit verschwand er unter dem Vorwand, die Spurensicherung würde noch kommen. Der falsche Polizist wird als 30- bis 40jährig beschrieben, ist ca. 185 cm groß, hat kurzes dunkles Haar und spricht Hochdeutsch.“

Der behördliche Rat, angebliche Dienstausweise genau zu prüfen, dürfte angesichts der Professionalität der Täter kaum helfen. Besser erscheint der Hinweis, stets vertraute Nachbarn um Hilfe zu bitten und sie beim offiziellen Besuch vorher als Zeugen hinzuzubitten. Hier ist es – entgegen der Intention des Täters – von Vorteil, daß einige der Täter ihren Besuch sogar vorher telefonisch ankündigen, um Bedenken zu zerstreuen; denn der Anruf verschafft dem Opfer ebenfalls die Möglichkeit, Vorkehrungen zu treffen.

Der Enkeltrick

Der Enkeltrick bedarf kaum einer Erklärung. Ein Anrufer gibt sich als Enkel aus und bittet um finanzielle Unterstützung. An einem Treffpunkt oder in der Wohnung des Opfers wird das Geld dann übergeben. Bestenfalls wird der angeblich Blutsverwandte nie mehr gesehen. Schlimmstenfalls wird er sich noch öfter erfolgreich mit Geldwünschen an das Opfer wenden.

Die Bekanntheit des Enkeltricks wappnet zunehmend die als Opfer Auserkorenen. Auffällig häufig finden sich mittlerweile Schlagzeilen wie „Rentner tappt nicht in Enkeltrick-Falle“ oder „Enkeltrick mißlingt“. Die massive Aufklärungsarbeit und Berichterstattung in den Medien zeitigt Erfolge. In München half das hellwache Vorgehen einer 71jährigen, Schaden durch ihren „Enkel“ abzuwenden – der benötigte angeblich 50.000 Euro für einen Wohnungskauf. Die gut informierte Seniorin rief die Polizei. Die verbarg sich im Haus und schnappte bei der Übergabe eines mit Papier gefüllten Umschlages die Täter in flagranti. Ein Mann und eine Frau sitzen deswegen dieser Tage in München vor Gericht.

Der Enkeltrick wird mit unterschiedlichen Verwandtschaftsgraden angewandt. Die Polizei rät dazu, sich am Telefon nicht auf Namensraten einzulassen („Hallo Opa, weißt du, wer hier anruft?“) und nach dem Anruf des angeblichen Verwandten unverzüglich Kontakt zur vertrauten Verwandtschaft aufzunehmen, wenn nicht gleich zur Polizei.

 www.polizei-beratung.de

Unter der Netzadresse sind die Broschüren „Sicher leben“  und „Sicher zu Hause“ zu beziehen, auch als PDF

Foto: Die Tür ist auf und der Täter fast am Ziel: Die ältere Dame hat den Kardinalfehler schon begangen und die Tür ungesichert geöffnet