© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

„Ein Diktator ist etwas ganz anderes“
Fidel Castro: Die plötzliche postume Verehrung des „Máximo Líder“ überrascht nicht nur Kritiker des Regimes
Marc Zoellner

Fast liest es sich wie eine Hagiographie – so nennen Geschichtswissenschaftler die Lebensbeschreibungen heiliger Männer durch kirchliche Zeitgeister –, was Jean Ziegler vergangenen Sonntag in der Baseler Zeitung (BZ) zu Fidel Castro zu sagen hatte. „Nein, das wäre zu arrogant“, winkte der langjährige UN-Sondergesandte lapidar die Frage ab, ob er dem ehemaligen kubanischen Staatschef etwas vorzuwerfen habe. „Ein Diktator ist etwas ganz anderes. Ein Diktator plündert sein Land aus, hat bei der Credit Suisse am Zürcher Paradeplatz sein Konto, regiert mit Polizeigewalt, drangsaliert sein Volk. Es gab unter Fidel keine Folter und keine Leute, die einfach verschwanden.“

Lediglich Donald Trump findet kritische Worte

Zieglers Nachruf auf den „Máximo Líder“, den vergangenen Freitag im betagten Alter von 90 Jahren verstorbenen Revolutionsführer Fidel Alejandro Castro, ist zwar nur einer von vielen. Für die unzähligen Opfer der Willkürherrschaft des kommunistischen Alleinherrschers gleichen die Worte des Vizevorsitzenden des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats jedoch einem Schlag ins Gesicht. 

Eine Glorifizierung der Biographie Castros, die derzeit unisono aus Medien und Politik tönt: vom US-Präsidenten Barack Obama („Die Geschichte wird die enorme Einwirkung dieser Einzelpersönlichkeit auf die Menschen und die Welt erfassen und auswerten“) bis hin zum chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping („Eine großartige Figur unserer Zeit.“), von Justin Trudeau, dem Premier Kanadas („Ein Revolutionär und legendärer Redner“) bis zu Jean-Claude Juncker. „Mit dem Tod Fidel Castros“, verkündete der Präsident der EU-Kommission in einer offiziellen EU-Pressemitteilung, „verliert die Welt einen Mann, der für viele ein Held gewesen ist.“ Einzig Donald Trump urteilte, Castros „Vermächtnis ist eines von Schießkommandos, Diebstahl, unvorstellbarem Leid, Armut und der Verweigerung fundamentaler Menschenrechte“.

In Florida hingegen herrschte Jubelstimmung: Unzählige Exilkubaner feierten am Wochenende in den Straßen Miamis unter dem Sternenbanner und gedachten ihrer verstorbenen, verschollenen oder noch immer auf dem Karibikeiland festsitzenden Angehörigen. „Die Leute haben die kubanische Nationalhymne gesungen. Zigarren wurden angezündet und Sprechchöre riefen: Fidel, du Tyrann, nimm deinen Bruder gleich mit!“, berichtet der Exilkubaner Daniel Rivero auf dem Blog Fusion.net.

„Fidel Castro griff im Versprechen nach der Macht, Freiheit und Wohlstand nach Kuba zu bringen“, sprach tags darauf Floridas Senator Marco Rubio – selbst Sohn von Exilkubanern – seinen Landsleuten aus dem Herzen, „doch sein kommunistisches Regime verwandelte das Land in ein verarmtes Inselgefängnis. Über sechs Jahrzehnte lang wurden Millionen von Kubanern dazu gezwungen, ihr eigenes Heimatland zu verlassen, und jene, die man beschuldigte, gegen das Regime zu sein, wurden regelmäßig eingesperrt und getötet.“

Allein in den Vereinigten Staaten leben mittlerweile rund anderthalb Millionen kubanische Flüchtlinge. Trotz der versprochenen freien Bildung und der kostenlosen medizinischen Versorgung vertrieb Castros Gesellschaftsexperiment jeden zehnten Kubaner aus seiner Heimat – in der mit Abstand schlimmsten Flüchtlingskatastrophe des 20. Jahrhunderts auf dem amerikanischen Doppelkontinent. Eine, die bis heute anhält: Allein im vergangenen Jahr flohen über 40.000 Kubaner in die USA; manche mit selbstgebauten Flößen über die gefährliche Meerenge nach Florida, der Großteil jedoch über die zentralamerikanische Landbrücke, wo Menschenschmuggler sich für ihre Dienste mit bis zu 15.000 US-Dollar pro Kopf fürstlich entlohnen lassen.

Auf Kuba selbst blieben die Freudenfeierlichkeiten aus. Zwar wurden Standgerichte und ebenso die Todesstrafe, welchen in den 49 Jahren der Herrschaft Castros weit über zehntausend Oppositionelle zum Opfer gefallen sein sollen, Anfang des Jahrtausends abgeschafft. Doch hohe Strafen, Folter und Verschleppung erwartet noch heute die gegen das Regime Aufbegehrenden: So wies der letzte Kuba-Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) fast 7.200 Fälle willkürlicher Verhaftungen für den Zeitraum von Januar bis August 2014 nach. „Festnahmen werden oft präventiv durchgeführt, um Einzelpersonen daran zu hindern, an friedlichen Märschen oder an Treffen teilzunehmen, um über Politik zu diskutieren“, konstatierte HWR.

Fidels Vermögen wird wohl seinem Bruder zufließen 

Für Castro-Anhänger wie Jean Ziegler sind derartig geballte Menschenrechtsverletzungen indessen kein Thema. „Der revolutionäre Prozeß hat auf Kuba ganz klare Prioritäten gesetzt: Recht auf Gesundheit, Recht auf Nahrung, Recht auf Trinkwasser“, beantwortet der UN-Gesandte in der BZ die Frage, warum auf Kuba nie freie Wahlen abgehalten worden seien. „Wenn diese Rechte einmal gegeben sind, kommen nachher die zivilen bürgerlichen Rechte.“

Castros materielles Erbe – seine Villa, seine Jacht, sein von Forbes auf 900 Millionen US-Dollar geschätztes Privatvermögen – wird wohl in die Hände seines Bruders Raúl übergehen; ebenso wie das politische Erbe des Langzeitherrschers. Und daß sich für die auf der Insel verbliebenen Kubaner nach Castros Tod die Verhältnisse ändern werden, ist ebenso auszuschließen. Daran ließ zumindest Raúl Castro keinen Zweifel, als er vergangenes Wochenende im Staatsfernsehen die Verkündung des Tods Fidel Castros mit dem berüchtigten Zitat Che Guevaras beschloß: „Hasta la victoria siempre – Immer weiter bis zum Sieg.“