© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Kampf um die Lufthoheit
Flugverkehr: Steigende Passagierzahlen und Unternehmensgewinne / Billiganbieter drücken auf die Gehälter
Thomas Fasbender

Warren Buffett, der Investment-Guru Nummer eins dieser Welt, hält Luftfahrtaktien für unterbewertet. Sonst hätte seine Gesellschaft Berkshire Hathaway nicht im dritten Quartal 1,3 Milliarden Dollar in der Branche angelegt, fast zwei Drittel davon in American-Airlines-Papieren. Auch die deutschen Lufthansa-Piloten scheinen der Ansicht zu sein, daß bei ihrem Arbeitgeber noch viel zu holen ist. Verfügen Buffett und die Pilotengewerkschaft Cockpit über Insiderwissen, das Otto Normalinvestor verborgen bleibt?

In der Tat ist die Luftfahrt heute eine der wichtigsten Branchen. Mehr als tausend Airlines betreiben gut 15.000 kommerziell genutzte Maschinen und transportieren im Jahr über 2,3 Milliarden Passagiere auf mehr als 26 Millionen Flügen, dazu weit über 20 Millionen Tonnen Fracht – rund 40 Prozent aller weltweit exportierten Fabrikgüter.

In den USA beschert die Kombination aus niedrigen Treibstoffpreisen, Marktkonsolidierung und Zurückhaltung beim Kapazitätsausbau den Airlines Betriebsergebnisse wie seit 15 Jahren nicht mehr. Warren Buffetts Enthusiasmus ist insofern nachvollziehbar. Im Rest der Welt sieht es schon anders aus. Während vom günstigen Ölpreis alle profitieren, wird fliegende Kapazität immer noch zugebaut. Die Branche bedient sich der Kennziffer „insgesamt verfügbare Passagiermeilen“.

Diese lagen weltweit zuletzt um über sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr, deutlich über dem Wachstum der Wirtschaftsleistung. Noch haben die Grenzkostenrechner die Oberhand. Wie lange geht das gut? Und das ist nicht die einzige Frage. Überstehen die gegenwärtigen Gewinne einen Wiederanstieg der Treibstoffpreise? Was geschieht, wenn die Kunden nach all den Jahren Schmalhans-Abfertigung plötzlich wieder Service und Zuwendung verlangen?

Wie fundamental die Branche sich verändert hat, zeigt das Beispiel USA. Zwischen 1974 und 2010 hat die Zahl der Flugreisen sich dort mehr als verdreifacht. Der Preis einer Passagiermeile sank im gleichen Zeitraum (inflationsbereinigt) um über 60 Prozent. Die Auslastung stieg um die Hälfte auf rund 75 Prozent. Der Motor dieser Entwicklung war und ist die rasante Entstehung einer globalen Mittelklasse, weder arm noch reich, die sich in regelmäßigen Abständen günstige Flugreisen leisten kann. Ein Beispiel ist Brasilien. Um 1980 betrug der Anteil der Mittelklasse im größten Land Lateinamerikas gerade 29 Prozent – heute sind es über 50 Prozent.

Den Nimbus des Vornehmen hat das Fliegen verloren

Weltweit gesehen explodiert diese Bevölkerungsgruppe geradezu: 2010 waren es noch 1,8 Milliarden Menschen, 2020 werden es 3,2 Milliarden sein, zehn Jahre später 4,9 Milliarden. Zwei Drittel davon werden in Asien leben. In den zehn Jahren von 2006 bis 2015 stieg die Kapazität der Outbound-Flüge aus China, also der Flüge aus China zu internationalen Destinationen, von 33,4 Millionen verfügbaren Sitzen auf 72,5 Millionen, also über 13 Prozent im Jahr.

Von den wachsenden Passagierzahlen profitieren naturgemäß die Billigfluglinien. Den Nimbus des Vornehmen oder Privilegierten hat das Fliegen ohnehin längst verloren; da nimmt der Passagier im Austausch gegen Erspartes auch das Unangenehme in Kauf. Daran, daß inzwischen auch die Geschäftsflieger sich bei Ryanair in die Sessel zwängen, sind ohnehin die etablierten Linien schuld. Wer hat denn die Manager jahrelang mit einer Mogel-Business-Class abgespeist? Und dafür Preisaufschläge kassiert, die statt zweier Kelche Moët & Chandon locker für ein Kistchen Dom Pérignon Millésime gereicht hätten?

Doch es gibt nicht nur eine Nische. Mit dem Wachstum der weltweiten Mittelklasse wächst auch deren oberste Schicht, und der steht nicht der Sinn nach blaugelben irischen Fliegern mit 30 Zentimeter Sitzabstand. Ein Markt für transkontinentale Edel-Carriers wie Singapore oder Thai Airlines wird immer existieren, und er wächst obendrein. Nur reicht er nicht hin, die Kapazitäten europäischer Flaggschiff-Carrier wie der Lufthansa zu füllen. Solche Airlines müssen sich teilen: Spitzenqualität für Passagiere, denen die Tausenderscheine locker sitzen – und U-Bahn-Qualität für den großen Rest. Schließlich nehmen auch nur die wenigsten das Taxi. Und daß U-Bahn-Fahrer weniger verdienen als Kreuzfahrtkapitäne liegt auf der Hand.

Nun ist Lufthansa-Pilot ein harter Job. 60 Wochenstunden sind die Regel, dazu die Verantwortung, der Streß, die immense Strahlenbelastung. Keine Frage, viele Piloten halten ihr durchschnittliches Jahreseinkommen von 181.000 Euro für völlig gerechtfertigt. Dazu drei Prozent automatische Gehaltssteigerung, Rente mit 55 – doch bei der ums Überleben kämpfenden Air Berlin sind es maximal 115.000 Euro, bei Ryanair höchstens 85.000 Euro.

Die Pilotengewerkschaft Cockpit verweist auf die 1,7 Milliarden von 2015 und die fünf Milliarden Euro Nachsteuer­ergebnis, die in den zurückliegenden fünf Jahren erwirtschaftet wurden. Die Lufthansa argumentiert anders als vor ihren Aktionären: Der Gewinn nach Kapitalkosten (EACC) habe zwar 2015 bei 323 Millionen gelegen. Aber seit 2011 wären über 700 Millionen Euro Minus eingefahren worden – davon allein 223 Millionen im Bilanzjahr 2014.

Die 5.400 Lufthansa-Piloten werden daher, gemessen an ihren Erwartungen, noch viele Kröten schlucken müssen. Einige Glückliche werden die Reichen und Schönen über die Ozeane fliegen dürfen und dafür gutes Geld kassieren. Der Großteil jedoch – spätestens die nächste Pilotengeneration – stellt dann die U-Bahn-Fahrer der Lüfte.

Unternehmenskennzahlen der Lufthansa: investor-relations.lufthansagroup.com