© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Ernst Jünger meinte, daß man ab einem gewissen Niveau seine Verfolger vom Dienst habe. Dasselbe gilt auch für die Verehrer. Darunter die Schwärmer, also jene, die zum Ausgleich ihrer eigenen Denkschwäche den Meister benötigen. Ohne Rücksicht auf dessen Widerwillen: „Das Ungenaue zu präzisieren, das Unbestimmte schärfer und schärfer zu bestimmen: das ist die Aufgabe jeder Entwicklung, jeder zeitlichen Anstrengung.“ („Eumeswil“, 1977)

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Sachte kommen die Absetzbewegungen der politisch Verantwortlichen und ihrer intellektuellen Zuarbeiter in Gang. Die etablierten Machthaber zeihen zwar den Gegner des Wirklichkeitsverlustes, der nichts als „postfaktische“ Argumente vortrage. Aber faktisch hat man sich denen längst gebeugt. Man hält zwar eisern an der Behauptung fest, immer im Recht gewesen zu sein, aber hinter den Kulissen tut und plant man schon das Gegenteil dessen, was gerade noch gepredigt wurde. Aufschlußreich ist allerdings ein neuer Streich der Worthaber. Die behaupten nun, daß wir in Wirklichkeit gar nicht in einer liberalen Ordnung lebten, vielmehr sei das, was allgemein als „liberal“ betrachtet werde – Laissez-faire und Konsum und Hedonismus – kaum mehr als ein Akt der feindlichen Übernahme durch die Feinde des Liberalismus. Der wahre Liberalismus habe mit dem realexistierenden nichts zu tun. So weit, so schlecht. Allerdings erinnert der Vorgang notwendig an jenen anderen, bei dem versucht wurde, dem Publikum weiszumachen, daß zwischen dem wahren und dem realexistierenden Sozialismus gar kein Zusammenhang bestehe.

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Bildungsbericht in loser Folge XCV: Die Information darüber, daß etwa ein Viertel der deutschen Lehrer schon Gewaltattacken ausgesetzt war, hat wenig Aufsehen erregt. Das hängt mit einem allgemeinen Desinteresse an schulpolitischen Fragen zusammen. Aber es geht hier weniger um das, was die Schule im besonderen, mehr um das, was die Institutionen im allgemeinen betrifft. Denn die Angriffe haben damit zu tun, daß der Respekt vor der staatlichen Autorität im freien Fall ist. Dafür gibt es verschiedene Gründe, und die Tatsache, daß Nordrhein-Westfalen in der Statistik der Übergriffe weit vorn rangiert, kann man natürlich auch darauf zurückführen, daß die Gegend „immer bunter und vielfältiger“ wird, eine erhebliche Zahl von No-go-Areas aufweist und Schauplatz des „Schwarzen Silvester“ war. Darüber hinaus macht sich eine gesellschaftliche Tendenz bemerkbar, die längst dahin geführt hat, daß der Träger eines Amtes per se keine Achtung mehr erwarten darf, weder als Polizist noch als Schaffner, noch als Sozialhelfer, noch als Sachbearbeiter, noch als Lehrer. Denn keiner der Staatsdiener „verkörpert“ länger den Staat, was auch darauf zurückzuführen ist, daß der Staat seine Beamten als solche geringschätzt. Das im Kontext des erwähnten Berichts geschilderte Beispiel des bayerischen Schulleiters, den ein Schüler fälschlich der körperlichen Mißhandlung beschuldigte, der öffentlich an den Pranger gestellt wurde, keinerlei Deckung durch seine Vorgesetzten erfuhr, den man trotz erwiesener Unschuld nicht im vollen Umfang rehabilitiert hat und der letztlich zusammenbrach, ist kein Einzelfall, sondern symptomatisch.

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Der amerikanische Militärhistoriker Robert Forczyk hat in seinem neuen Buch „We March Against England – Operation Sea Lion 1940–41“  eine andere als die übliche Meinung zu den Erfolgschancen des „Unternehmens Seelöwe“ vertreten: Seiner Ansicht nach verfügte die Wehrmacht im Sommer 1940 sehr wohl über die Möglichkeit, eine erfolgreiche Invasion Großbritanniens durchzuführen. Umgekehrt besaß das Königreich kaum die notwendigen Mittel, um ein Landungsunternehmen abzuwehren. Auf die Frage in einem Interview, warum Hitler dann zögerte, antwortete Forczyk, daß es dafür nur zwei Erklärungen gebe: zum einen habe Hitler das Risiko gescheut, zum anderen weiter darauf gehofft, daß allein die Drohung mit einer Invasion genügen werde, um Großbritannien an den Verhandlungstisch zurückzubringen.

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In der Schweiz hat man eine Untersuchung zur politischen Orientierung der jungen Generation durchgeführt. Das Ergebnis hat die Verantwortlichen irritiert: Es ist nichts mehr mit jung, weltoffen, progressiv. Eher im Gegenteil. Jedenfalls neigen die meisten Eidgenossen unter dreißig eher „rechten“ Positionen zu, die die Studie vor allem über „Homophobie“ und „Fremdenfeindlichkeit“ bestimmt. Und als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, muß man auch noch feststellen, daß die linken Präferenzen der Jüngeren mit „Migrationshintergrund“ kaum Anlaß zur Hoffnung bieten. Denn unter diesen Anhängern von Kommunisten, Grünen und Sozialisten ist der Anteil der „Homophoben“ fast doppelt so groß wie unter den Einheimischen, und im Hinblick auf die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ sieht es kaum besser aus.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 16. Dezember in der JF-Ausgabe 51/16.