© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Die Angst vor den unkontrollierten Kanälen
Die Politik greift die Kritik an „Fake-News“ auf, um härter gegen „Haßsprache“ vorgehen zu können
Heiko Urbanzyk / Gil Barkei

Weil „Fake-News“ auf Facebook über Hillary Clinton den Konkurrenten Donald Trump angeblich zum Präsidenten der USA gemacht haben sollen, sind die sozialen Medien scharfer Kritik ausgesetzt. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in der „Generalaussprache“ vergangene Woche im Bundestag die Gefahr von falschen und einseitigen Berichten im Internet und hob hervor, sie unterstütze Justizminister Heiko Maas bei der gesetzlichen Regulierung des digitalen Raumes. 

Dabei sind gefälschte Nachrichten nicht nur ein Problem sozialer Netzwerke. Das Verbraucherschutzportal testbericht.de untersuchte über mehrere Monate 100 Nachrichtenseiten, darunter auch mehrere deutsche Online-Auftritte wie die von Spiegel, Zeit, Focus oder Süddeutsche. 72 von 100 Seiten verwiesen über den Umweg von Werbeanzeigen auf Fake-News. Auf den 15 deutschen Nachrichtenseiten mit der größten Reichweite fanden sich nur bei n24.de keine weiterführenden Werbeanzeigen. Das vernichtende Fazit der Studie: „Die Existenz von Anzeigen für Fake-Nachrichtenseiten ist selbst auf seriösen Nachrichtenportalen eher die Regel als die Ausnahme.“ 

Wer entscheidet über „wahr“ oder „falsch“?

Das Problem liege im „Programmatic Advertising“, also dem automatischen Verkauf von Anzeigen auf den Internet­seiten. Dabei wird innerhalb von etwa 200 Millisekunden durch die Technik entschieden, welches Werbemotiv welchem Kunden gezeigt wird. Der Werbeflächenanbieter und der Werbekunde definieren zuvor grob ihre Angebote und Vorstellungen. Alles weitere läuft automatisiert. Damit werde dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet und das Vertrauen ins Nachrichtengeschäft beschädigt, kritisieren die Verbraucherschützer. 

Neben dieser kommerziellen Seite gibt es die politisch motivierte, gezielte Streuung von Falschmeldungen. Hochgradig professionelle Fake-Propaganda im US- Präsidentschaftswahlkampf witterte die Washington Post. Im Stile eines digitalen Kalten Krieges habe ein Netz bezahlter Personen (Trolle), maschinell betriebener Zuträger (Bots) und bekannter Medien wie etwa Russia Today und Sputnik gezielte Desinformation betrieben und über Facebook verbreitet. 

Dort hätten 15 Millionen US-Amerikaner unter anderem Beiträge über den vermeintlich schlechten Gesundheitszustand von Clinton oder ihre angeblichen Waffengeschäfte mit der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ gelesen. Die Tatsache, daß bestimmte Botschaften mit identischem Wortlaut in rascher Abfolge auftauchten, sehen die von der Zeitung zitierten Experten als Beleg für die Steuerung aus Rußland. Es sei unwahrscheinlich, daß diese Texte von Tausenden von Nutzern stammten, die nichts miteinander zu tun hätten.  

Zuckerberg versuchte zunächst, sein Unternehmen aus der Schußlinie zu nehmen und erwiderte, Falschmeldungen habe es im Wahlkampf auf beiden Seiten gegeben. Nur wenige Tage später lenkte er jedoch ein und machte immer mehr Zugeständnisse an die Politik. 

Sollten anfangs nach geänderten Facebook-Bestimmungen für Fake-News-Verbreiter nur die Werbeeinnahmen wegfallen, könnten betreffende Beiträge künftig gelöscht werden. Nutzer sollen Veröffentlichungen als „potentiellen Fake“ melden können, die dann als solche markiert werden. Allerdings, so Zuckerberg in einem Facebook-Beitrag, werde an technischen Lösungen gearbeitet, die „Inhalte schon als falsch erkennen, bevor sie Nutzer als Falschmeldung markieren.“ 

Für den Softwareentwickler, Investor und Verleger Tim O‘Reilly könnte dies so aussehen, daß Facebooks Algorithmen dergestalt ausgerichtet werden, Muster und Metadaten von Falschmeldungen zu erkennen. So ähnlich habe Googles Suchmaschinenalgorithmus gelernt, vertrauenswürdige wertvolle Quellen von anderen zu unterscheiden und entsprechend höher in den Suchergebnissen anzuzeigen. 

Wie funktioniert das mit dem Algorithmus? Ein Beispiel: Wer 100 oder mehr Facebook-Freunde hat, möchtein seinem ausufernden „Newsfeed“ (die Startseite) vor allem solche Mitteilungen sehen, die ihn interessieren. Dafür sorgt der Algorithmus. Die Sichtbarkeit wird wesentlich von drei Faktoren bestimmt: Affinität, Gewichtung und Aktualität. Affinität meint die „Beziehung“  zwischen dem Nutzer und der Seite. Diese wird durch die Anzahl und Qualität der vergangenen Interaktionen (Kommentare, Likes, geteilte Fotos etc.) zwischen beiden bestimmt. 

Aber nicht jede Interaktion erhält die gleiche Gewichtung. Eine Interaktion in Form eines Kommentars ist für Facebook mehr wert als ein einfaches „Gefällt mir“, weil das Netzwerk dies als höheres Engagement ansieht. Denn der „Kommentator“ verbringt offensichtlich mehr Zeit mit der Seite. Und je neuer ein Status ist, desto eher wird er angezeigt als ältere Beiträge – Aktualität. 

Deutsche Politik spannt Bogen von „Fake“ zu „Haß“

Der Algorithmus kann geändert werden und sich auf alle möglichen Informationen beziehen, wie gezielte Plazierung von Werbung oder eben das berühmte Erkennen und Löschen blanker Brüste. Was warum im Algorithmus geschieht und wie dieser aussieht, bleibt undurchsichtig, weshalb Kritiker mehr Transparenz fordern, Facebook jedoch Firmeninterna schützen will.

Eine Kontrolle auf Fake-News durch Redakteure verfolgt Zuckerberg nicht weiter. Dafür verkündete er „eine verstärkte Zusammenarbeit mit Faktencheck-Organisationen, Medienmachern und Journalisten, ‘um von ihnen zu lernen‘“. 

Der Facebook-Gründer sieht es durchaus als „heikel“, daß ein Unternehmen zwischen wahr und falsch unterscheiden soll. Niemand solle entmutigt werden, seine Meinung zu teilen, und es müsse verhindert werden, daß die Verbreitung korrekter Informationen eingeschränkt werde.

Ob die deutschen Politiker diese Bedenken teilen, ist fraglich. Sie nutzen den Aufhänger Fake-News, um wieder einmal das konsequente Löschen von vermeintlicher  „Haßprache“ zu fordern. So warnte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, in einem Gastbeitrag in der Welt am Sonntag: „Wenn das Netz weiter lügt, ist mit Freiheit Schluß.“ Mit „Netz“ sind dabei nicht nur unbestimmte Nutzer gemeint, sondern auch konkrete kritische Stimmen in der Bevölkerung, denn für Kauder sind „die Reden, die auf Pegida-Demonstrationen gehalten werden,  die Fortsetzung dessen, was sich in den sozialen Medien abspielt“. 

Die CDU scheint das zögerliche Verhalten von Justizminister Maas, der zunächst einen Vorschlag der EU-Kommission zur Regulierung der sozialen Medien abwarten wollte, als Gelegenheit erkannt zu haben, sich zu profilieren. Der Druck auf SPD-Minister Maas steigt. Mit Rückendeckung der Landesjustizminister möchte er nun konkrete Vorschläge gegen „Haßkommentare“ erarbeiten: Wenn Facebook und Co. nicht binnen 24 Stunden betreffende Inhalte löschen und die zugehörigen IP-Adressen an die Strafverfolgungsbehörden melden, drohen Bußgelder bis zu einer Million Euro. Zwar hat der Justizminister selbst eingestanden, daß eine rechtliche Bewertung, was Haß ist und was nicht, in einer 24-Stunden-Frist kaum zu bewerkstelligen sei, aber ein zunächst angedachtes juristisches Untersuchungsprozedere vor der Löschung eines Inhalts ist ohnehin vom Tisch.

Als 2008 Barack Obama auch mit Hilfe der ersten wirklichen Online-Kampagne zum ersten Mal US-Präsident wurde, jubelte die deutsche Politik, übernahm die Methoden und schwärmte von den angeblich Demokratie stärkenden und Politikverdrossenheit abbauenden Effekten der sozialen Medien. Acht Jahre später, nach dem Sieg des „falschen“ Kandidaten Trump und dem Aufstieg der AfD, verfallen Politiker in panische Regulierungswut. Allzu lange haben sie die neuen Medien nur als weiteren einseitigen Selbstdarstellungskanal mißverstanden und erkennen nun aufgeschreckt, wie alternative Angebote an den alten systemtreuen „Redaktionsfiltern“ vorbei die Menschen immer erfolgreicher erreichen. Die jüngsten Überlegungen stellen lediglich Versuche dar, neuartige „Gatekeeper“ zu installieren.