© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Knapp daneben
Verantwortung ist keine Phrase
Karl Heinzen

Saúl Luciano Lliuya hat seine kleine Familie in den peruanischen Anden mit dem Anbau von Kartoffeln, Mais und Weizen durchzubringen. Geld, um in der Welt herumzujetten, bleibt da eigentlich nicht übrig. Wo das Schicksal die Bedürftigen der Welt früher im Stich ließ, strecken sich ihnen heute aber aus den Zivilgesellschaften der prosperierenden Nationen helfende Hände entgegen. Lliuya hat jene von „Germanwatch“ ergriffen, und siehe da, schon haben die Gerechtigkeitslobbyisten ihm eine Reise nach Europa spendiert. Sein Pech ist es, daß seine Gönner sich nicht nur für das Glück der Menschen, sondern auch für nachhaltiges Wirtschaften einsetzen. Anstatt neue Eindrücke auf sich wirken zu lassen, ist er dazu gehalten, vor dem Landgericht Essen als Kläger in einem von Germanwatch unterstützten Prozeß gegen den Energiekonzern RWE aufzutreten. Beschweren darf er sich nicht, denn ohne die deutschen Experten wäre er vielleicht nie auf die Idee gekommen, für sein Recht zu streiten.

Jeder von uns ist Klimasünder und kann seiner Schuld entsprechend für Schadensersatz herangezogen werden.

Die Fakten sprechen zu seinen Gunsten. Der Klimawandel läßt die Gletscher in Peru abschmelzen. Der See in der Nähe von Lliuyas Heimatstadt Huaraz ist dadurch bedrohlich angewachsen. Der Damm, der auch seinen Acker vor den Wassermassen schützt, ist gefährdet. Um die Lage zu entschärfen, müßten 3,5 Millionen Euro investiert werden. Da RWE mit seinen rheinischen Braunkohlekraftwerken, wie Gutachten nachzuweisen scheinen, einen Anteil von 0,47 Prozent an den globalen Treibhausgasemissionen verantwortet, hätte der Konzern 17.000 Euro dieser Summe zu übernehmen.

Setzt sich Lliuya vor Gericht durch, hat dies Konsequenzen für alle Unternehmen und auch Bürger. Jeder von uns ist Klimasünder und kann seinem Schuldanteil entsprechend für einen Schadensersatz herangezogen werden. Da der Klimawandel aber nicht nur in Peru, sondern weltweit pausenlos Schäden verursacht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis alle Firmen und Privatleute durch die ihnen aufgebürdete Mithaftung in die Insolvenz getrieben sind. Genau dies müssen wir akzeptieren, wenn Verantwortung keine leere Phrase, sondern gelebt sein soll.