© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/16 / 09. Dezember 2016

Ländersache
Mit den Roten ins Blaue hinein
Thorsten Brückner

Bei rund 18 Prozent liegt die bayerische SPD derzeit laut Umfragen im Freistaat. In der öffentlichen Wahrnehmung kommen die Erben von Wilhelm Hoegner, Volkmar Gabert und Karl-Heinz Hiersemann praktisch nicht vor. 

Zeit, genau das zu ändern, dachte sich wohl der Fraktionsvorsitzende im Maximilianeum, Markus Rinderspacher. Sein Plan: Mit einem Dringlichkeitsantrag sollte der Landtag die Einführung einer dritten offiziellen Strophe der Bayernhymne beschließen. Der Text war das Ergebnis eines, ironischerweise von der CSU-geführten Staatsregierung ins Leben gerufenen, Schülerwettbewerbs und beinhaltet alles, was die rote Mottenkiste zu bieten hat. 

„In der Vielfalt liegt die Zukunft, in Europas Staatenbund“, heißt es da ebenso wie „freie Menschen, freies Leben, gleiches Recht für Mann und Frau / goldne Sterne, blaue Fahne und der Himmel weiß und blau“. Besser hätte es sich auch das Satiremagazin Postillon nicht ausdenken können. 

Für Rinderspacher ist die mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern inzwischen abgelehnte „Europastrophe“ dagegen eine todernste Sache. „Der unselige Nationalismus ist überall in Europa auf dem Vormarsch. Da ist ein Bekenntnis Bayerns zur europäischen Zusammenarbeit wichtig und notwendig“, begründete er den Antrag, bei dem selbst Befürworter nicht ganz verstanden haben, was ihn denn eigentlich so dringlich macht – vor allem angesichts der Tatsache, daß die Schüler-Schöpfung der schmalzigen Europa-Ergüsse nun schon vier Jahre zurückliegt. Einmal mehr fand auch die CSU keine einheitliche Position. Ministerpräsident Horst Seehofer störte sich vor allem an der Hauruck-Aktion eines Dringlichkeitsantrags, fand aber, daß sich der Text eigentlich ganz gut lese. Sein Innenminister Joachim Herrmann nannte die Neufassung dagegen „völlig irre“. Andere CSU-Politiker wie der innenpolitische Sprecher im Landtag, Florian Herrmann, kritisierten den Text als  „Multikulti-Blabla“. 

Schon einmal lagen führende CSU-Köpfe über die Fassung der Bayernhymne über Kreuz. Ministerpräsident Alfons Goppel favorisierte den 1948 von Joseph Maria Lutz geschriebenen (und von der Bayernpartei in Auftrag gegebenen) Text, in dem alle Bezüge zu Deutschland getilgt waren. Erst Franz Josef Strauß entschied als Ministerpräsident den Hymnenstreit zugunsten der deutschen Bezüge. Zumindest offiziell. Beim Besuch von Papst Benedikt in München 2006 trällerten sowohl der Pontifex als auch der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber die Lutz-Version „Heimaterde, Vaterland“. Auch in der Bevölkerung hat sich dieser Text weitestgehend durchgesetzt – obwohl an den Schulen die Fassung von Michael Öchsner aus dem Jahre 1860 gelehrt wird („Deutsche Erde, Vaterland“). 

Bei soviel bajuwarischer Renitenz wäre wohl auch der Europastrophe allerhöchstens ein Nischendasein in offiziellen Dokumenten beschieden gewesen. Ob der SPD der Hymnenstreit in den Umfragen hilft, darf bezweifelt werden. Bezeichnend die Reaktionen auf der Facebook-Seite der Fraktion: „Was soll denn der Schmarrn? Ich bin jetzt 40 Jahre Mitglied und hab schon einiges erlebt. Aber das ist der größte Krampf.“ Ein weiterer Nutzer schrieb: „Solange die Menschen über euch lachen, seid ihr nicht vergessen.“