© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/16 / 09. Dezember 2016

Konvertit ohne Koran
„Maulwurf“ enttarnt: Der Fall eines Islamisten beim Verfassungsschutz wirft Fragen nach der Praxis des Inlandsnachrichtendienstes auf
Christian Schreiber

Vor zwei Jahren wollte das Bundesamt für Verfassungsschutz neue Wege gehen und setzte zwecks Rekrutierung neuer Mitglieder die Presseabteilung ein. „Kein Witz, sondern ein gutes Angebot – Bundesamt für Verfassungsschutz sucht qualifizierten Nachwuchs“, hieß es in der Pressemitteilung. 

Bislang ist ungeklärt, ob ein ehemaliger Bankangestellter die damalige Annonce zu Gesicht bekommen hat oder ob er sich aus eigenem Antrieb im Dezember 2014 beim Verfassungsschutz bewarb. Geklärt ist allerdings, daß der Mann, der seit April für das Amt arbeitete, ein nicht beabsichtigtes Eigenleben entfaltete. In der vergangenen Woche wurde der 51jährige festgenommen, nachdem er zuvor über einen längeren Zeitraum beobachtet wurde. Er hatte sich in einem Internet-Chat unter falschem Namen dschihadistisch-salafistisch geäußert, sich als Mitarbeiter der Bundesbehörde offenbart, Amtsinterna preisgegeben und angeboten, weitere sensible Informationen über den Verfassungsschutz zu liefern. 

„Der Mann hat im Dienst gute Arbeit geleistet“

Behördenchef Hans-Georg Maaßen erklärte gegenüber der FAZ, bei der Einstellung des Islamisten seien alle Sicherheitsstandards eingehalten worden. Diese seien „sehr, sehr hoch“. Unter anderem seien „fünf Referenzpersonen“ befragt worden, bevor der mehrfache Familienvater eingestellt worden sei. Allerdings sei es in seinem Fall besonders schwierig gewesen, seine wahre Motivation zu erkennen: „Der Mann hat im Dienst gute Arbeit geleistet, seine Familie hat nichts von seiner Konversion zum Islam gewußt. Diese hat nach den bisherigen Erkenntnissen vor der Einstellung und am Telefon stattgefunden.“

Der CSU-Bundestagsabgeordnete und Innenexperte Hans-Peter Uhl hat sich mittlerweile über die Hintergründe genauer informiert und erklärte gegenüber dem Münchner Merkur: „Der Verdächtige war ursprünglich Katholik. Er stammt aus einem bürgerlichen Haus, seine Frau ist Ärztin. Man weiß nicht, wieso er sich radikalisiert hat und zum Islam übergetreten ist. Verwunderlich ist es, daß er als Konvertit, die ja meist besonders eifrig sind, nicht aufgefallen ist und bei ihm kein Koran gefunden wurde. Es ist auch denkbar, daß es sich um einen Geistesgestörten handelt. Aber: Seine Aktivitäten im Netz waren eindeutig islamistisch-terroristischer Natur.“

Immerhin gehen bisher alle involvierten Behörden derzeit davon aus, daß es sich um einen Einzel-Aktivisten handele. Es lägen keine Hinweise auf die Existenz eines Islamisten-Netzwerks innerhalb des Verfassungsschutzes vor,  berichtete die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf Sicherheitskreise. Dennoch werde der Innenschutz bei Behörden wie dem Verfassungsschutz oder dem Bundesnachrichtendienst (BND) nach entsprechenden Äußerungen des festgenommenen 51jährigen bei dieser Thematik besonders wachsam sein. 

Das Recherchenetzwerk aus Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR hatte aus einer ersten Vernehmung des Mannes berichtet, in der dieser angedeutet habe, es gebe einen großen Plan zur Unterwanderung des Verfassungsschutzes. Er sei nur Teil eines Räderwerkes, das auch nach seiner Festnahme weiterhin existiere.

Der CDU-Geheimdienstexperte Patrick Sensburg forderte Konsequenzen für alle deutschen Sicherheitsbehörden. Sogenannte Innentäter habe es zwar früher auch schon gegeben. Allerdings sei die heutige Bedrohungslage „wesentlich vielschichtiger“, sagte Sensburg dem Handelsblatt. „Und weil wir uns als offene Gesellschaft verstehen, ist es leichter geworden, ein Innentäter zu sein.“ Zudem seien die „Radikalisierungsphasen“ kürzer geworden. Daraus müßten für alle Sicherheitsbehörden Konsequenzen gezogen werden. 

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sieht dagegen  keine Notwendigkeit, die Mitarbeiter der Behörde strenger zu überprüfen. „Der Verfassungsschutz ist ein hochsensibler Bereich, der regelmäßige interne Überprüfungen benötigt, und die greifen, wie man sieht“, sagte Wendt der Nachrichtenagentur Reuters: „Änderungen bei der Rekrutierung von Mitarbeitern für den Inlandsgeheimdienst sind ebenfalls nicht notwendig. „Daß dieser Mann, der sich unter falschem Namen islamistisch geäußert hat, jetzt aufgeflogen ist, zeigt, daß die internen Prüfmechanismen beim Bundesamt funktionieren.“

„Eigensicherung hat           offenkundig versagt“

Vertreter von CDU, CSU und SPD im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestags sprachen den Inlandsgeheimdienst ebenfalls von Versäumnissen bei der Sicherheitsüberprüfung des 51jährigen Verdächtigen frei. Die Oppositionsparteien hingegen hielten der Behörde dagegen eine Panne vor. Der Grünen-Politiker Christian Ströbele sprach  von einem „gruseligen Vorgang“. 

André Hahn, Vertreter der Linkspartei im Kontrollgremium, hielt der Koalition dagegen den Versuch vor, den Fall herunterzuspielen. „Aus meiner Sicht ist völlig klar: Das ist eine neuerliche gravierende Panne beim Verfassungsschutz. Die Eigensicherung hat ganz offenkundig versagt.“ 

Mittlerweile liegt der Fall bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Düsseldorf. Die geht bis jetzt zumindest davon aus, „daß es keine Hinweise auf eine konkrete Gefährdung“ gegeben habe.