© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/16 / 09. Dezember 2016

Der Feind steht unten
Ein neuer Klassenkampf kündigt sich an: Die linke Intelligenz verachtet die Verlierer der Globalisierung
Michael Klonovsky

Im Herbst besuchte ich verschiedene AfD-Veranstaltungen in ganz Deutschland. Zum ersten Mal in meinem Leben stellte sich die Frage: Was zieht man an, wenn man zur AfD geht?“, eröffnete der Journalist Alexander Osang der Spiegel-Leserschaft, die bekanntlich mehr weiß als etwa jene der Bunten, für welche das Thema eher angemessen schiene. Was also bekommt der Spiegel-Leser hier als Extra geboten? Na was schon: Dünkel. Genauer: ideologischen Dünkel, verpackt in soziale Dinstinktionsmerkmale. Osang würde ja nicht mit seinem Burberry-Sakko oder seinen Schuhen aus der Pariser Manufaktur Heschung angeben, wenn er eine Veranstaltung der Linken besuchte. 

„Der Spiegel ist ein Lügenblatt“, habe, so Osang, einer der Veranstaltungsbesucher zu ihm gesagt, worauf er entgegnete: „Meine Schuhe waren dreimal so teuer wie Ihr Anzug.“ Wer zwischen beiden Aussagen einen Zusammenhang erkennt, liegt nicht ganz falsch.

Zuweilen schlägt der Dünkel in schiere Verachtung um, wie das österreichische Magazin Profil in einem nachgerade klassischen Text demonstrierte. Über eine Veranstaltung der FPÖ hieß es auf dessen Webseite: „Es sind die häßlichsten Menschen Wiens, ungestalte unförmige Leiber, strohige, stumpfe Haare, ohne Schnitt, ungepflegt, Glitzer-T-Shirts, die spannen, Trainingshosen, Leggins. Pickelhaut. Schlechte Zähne, ausgeleierte Schuhe. Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten sind ein schönerer Menschenschlag.“ Auf der Netzseite von Zeit Online wiederum, Rubrik „Netz gegen Nazis“, wurde die Pegida-Rednerin Tatjana Festerling mit den Worten beschrieben: „Sie sieht aus wie eine Sekretärin in einem beigefarbenen Steppmäntelchen.“ 

Im Grunde beginnt fast jeder Artikel eines aufgeklärten Metropolenjournalisten, der das AfD-, FPÖ-, Brexitbefürworter- oder Trumpwähler-Pack besucht hat, auf ähnliche Weise: Großkarierte Hemden hängen den Männern über Wampe und Gürtel, die Frauen haben blonde Strähnchen und künstliche Nägel und so fort.

Die Verachtung der Geringverdiener, der Hinterwäldler, der sogenannten einfachen Menschen, sofern sie deutsch (bzw. weiß) sind und mit der falschen Partei sympathisieren, gehört so undiskutierbar ins journalistische Ostinato wie die Abfeierung der total hippen, schicken, weltoffenen Grünen. Gewiß, tummelten sich dieselben Minderbemittelten, die der Preßstrolch bei FPÖ oder Pegida identifiziert, auf einer Gewerkschaftsveranstaltung, sie verwandelten sich stracks in sozial Deklassierte, denen die Gesellschaft mehr Anerkennung und bessere Zahnbehandlung schuldet. Der Dünkel bliebe gleichwohl bestehen. Menschen, die sich für fortschrittlich und irgendwie links und vor allem kolossal weltoffen halten, verachten heute das Volk für seine Provinzialität. Das ist ein interessanter Paradigmenwechsel. Einst war der Rechtsintellektuelle der natürliche Verbündete der Ober- und Verächter der Unterschicht. In diese Stellung ist die linke Intelligenz eingerückt – also die Nachkommenschaft derjenigen, die einst das Proletariat emanzipieren wollten. 

Das Phänomen begann bereits mit dem Aufstieg der Grünen, und es gewinnt mit jedem Tag mehr an Deutlichkeit. Ein neuer Klassenkampf kündigt sich an. Grob gesagt stehen sich gegenüber: die Nutznießer der Globalisierung und die Verlierer der Globalisierung. Die linke Intelligenzia ist zu den Nutznießern übergelaufen.

Es kann hier nicht diskutiert werden, in welchem Ausmaße die Unterklasse tatsächlich „falsch“ oder doch links wählt; es geht lediglich darum, eine umfassende Entsolidarisierung zu konstatieren. Sie reicht bis hinein in die Funktionärskasten der CDU und der einstigen Arbeiterpartei SPD. Floskeln wie, man müsse die Sorgen der Menschen ernst nehmen, sie dort abholen, wo sie stünden, sie nicht den Populisten überlassen, können kaum mehr kaschieren, wie peinlich vielen Spitzensozis die klassische SPD-Klientel geworden ist, der Reihenhausabzahler aus der Provinz mit seinen altmodischen Vorstellungen von Vereinsmeierei und Familie, wie viel lieber sie um die trendigen, urbanen, sexuell vielfältigen und besserverdienenden Grünen-Sympathisanten werben würden. Ein weiterer guter Indikator ist das politische Kabarett. Waren zu Zeiten des seligen Dieter Hildebrandt fast immer „die da oben“ das Ziel satirischer Angriffe, hat sich heute das Verhältnis gedreht. Die Attacken der verdienstvollen Staatskünstler gelten mit beruhigender Verläßlichkeit dem dunkeldeutschen „Pack“. Der Feind steht unten. Und unsere linken Journalisten stehen auf ihren schicken Schuhen, sofern es dafür gereicht hat, zwar nicht unbedingt oben, aber doch darüber.

Der Autor und Blogger Michael Seemann spricht von einer „dritten Klasse“, die sich gebildet habe. Es sei eine „globalisierte Klasse der Informationsarbeiter“, die fast ausschließlich in Großstädten lebe, flüssig Englisch spreche, für die Europa kein abstraktes Etwas sei, „sondern eine gelebte Realität, wenn sie zum Jobwechsel von Madrid nach Stockholm zieht“. Diese neue globalisierte Klasse sitze in den Medien, in den Startups, NGOs, in den Parteien, und weil sie die Informationen kontrolliere, gebe sie kulturell und politisch den Takt vor. „Sie kontrolliert den Diskurs, sie kontrolliert die Moral.“ 

Diese Klasse – übernehmen wir den Begriff, indem wir ihn cum grano salis verwenden – entstammt zwar dem Bürgertum, hat sich aber von dessen Traditionen losgesagt. Ihr Weltbild ist progressistisch, also links. Ihr natürlicher Verbündeter ist das global agierende Kapital. Die Allianz aus internationalistischer Linker und internationalen Unternehmen zeigt sich vor allem in der Förderung der Migration und der Aufweichung nationaler Strukturen.

Dieser Allianz gegenüber steht eine andere: die der Unterklasse und des nationalen Bürgertums. Zu den potentiellen Globalisierungsverlierern gehören auch viele abstiegsbedrohte Angehörige der Mittelschicht, die hierzulande zu erheblichen Teilen die AfD wählen, wie eine Forsa-Umfrage ergab. „Zwar eint die AfD-Anhänger eine pessimistische Wirtschaftserwartung – besonders arm sind sie aber keinesfalls“, faßte die Zeit das Resultat zusammen. Sozial unter ihnen stehen die tatsächlichen Globalisierungsverlierer, deren Jobs nicht mehr existieren, die Einfachen, denen Heimat noch etwas bedeutet, weil sie oft nicht mehr haben als das und zugleich als erste ihre Heimat verlieren, weil es ihr Milieu ist, in das die Einwanderer strömen. 

Die Wahl Donald Trumps hat gezeigt, wie groß das antiglobalistische Milieu ist. Wer ihm mit Dünkel begegnet, wird es nur stärker machen.