© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/16 / 09. Dezember 2016

Der Sternenglaube führt in die Katastrophe
Frohe Botschaften klingen anders: Zur „Wallenstein“-Inszenierung an der Berliner Schaubühne
Thorsten Hinz

Wie Pulverdampf wallt der Theaternebel von der Bühne in den Zuschauersaal. Von der Decke baumelt ein blutiger Pferdekadaver. Der Schauplatz gleicht einer Industriehalle oder einem Schlachthof. Gleichzeitig wirkt die Szenerie so düster, eng und beklemmend wie das Innere eines Führerbunkers. Darin wütet, kämpft, leidet, stirbt Wallenstein, Schillers bedeutendster Dramenheld.

Auf eine rasante Drei-Stunden-Vorstellung hat der Regisseur Michael Thalheim das Textmassiv aus „Wallensteins Lager“, „Die Piccolomini“ und „Wallensteins Tod“ zusammengestrichen. Es ist der glatte Gegenentwurf zu Peter Steins textgenauer, zehnstündiger Inszenierung aus dem Jahr 2007. Es gibt keine Pause, die auch nicht vermißt wird, denn man langweilt sich keine Minute. Die Premiere an der Berliner Schaubühne liegt bereits ein halbes Jahr zurück, aber mit jedem Tag wächst ihre Aktualität.

Als die Handlung einsetzt – 1633/34 –, dauert der Dreißigjährige Krieg schon mehr als 15 Jahre. Was als Religionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten begann, hat sich zum Hegemonialkrieg um das Reich und Europa ausgewachsen. Die Aussicht, daß die spanische und österreichische Linie der Habsburger zusammenfinden und der verblichene Traum Kaiser Karl V. von einer katholischen Universalmonarchie sich doch noch verwirklicht, ist sowohl für das protestantische Schweden wie das katholische Frankreich ein Alptraum, der sie zur Intervention veranlaßt hat. Aber auch die deutschen Fürsten wollen keinen Zuwachs der kaiserlichen Macht. Religionskämpfe, europäische Macht- und fürstliche Partikularpolitik haben sich unentwirrbar ineinander verknäuelt.

Wallenstein-Darsteller von raumfüllender Präsenz

Mit historischen Analogien soll man vorsichtig sein, doch man darf in dem Zusammenhang daran erinnern, daß der ehemalige Staatspräsident der Tschechischen Republik, Vaclav Klaus, die Bundesrepublik aktuell „das Schlachtfeld Europas“ genannt hat. Tatsächlich nimmt die Schärfe der symbolischen und materiellen Auseinandersetzungen zu. Das oktroyierte Nebeneinander ungleichzeitiger Kulturen und Religionen führt zum Anwachsen tribalistischer Gewalt und Machtansprüche, und die Diskussionen darüber werden im Modus der Bürgerkriegsrhetorik geführt.

Da sitzt nun Wallenstein, der mächtigste Mann im Reich, der Feldherr des Kaisers, auf seinem imposanten Stuhl. Der Schauspieler Ingo Hülsmann ist körperlich und stimmlich von raumfüllender Präsenz. Sein Wallenstein bildet die Sonne, um welche die Planeten kreisen. Doch so sehr die Kraft der Persönlichkeit die anderen noch bannt, so sicher schwindet die Gravitationskraft des Feldherrn und Politikers. Wallenstein spürt, daß sich ein Verhängnis über ihm zusammenbraut. Schon einmal ist er vom Kaiser abgesetzt worden, weil er den Reichsfürsten zu mächtig geworden war. Nun wird sein endgültiger Sturz eingeleitet und mit seinem – zu dem Zeitpunkt unbewiesenen – Verrat begründet.

Wallenstein ist unsicher. „Es hat mich überrascht – Es kam zu schnell / Ich bin es nicht gewohnt, daß mich der Zufall / Blind waltend, finster herrschend mit sich führe.“ Tatsächlich ist er zu dem Schluß gekommen, daß um des Friedens willen neue Wege beschritten werden müssen. Die Schlachtordnung entlang der religiösen Trennlinien darf keine Bedeutung mehr haben. Und der Kaiser, der habsburgische Hausmacht-Politik betreibt statt im deutschen Interesse zu handeln, muß überspielt werden. 

Doch der Kaiser verkörpert nun mal das Gesetz und die angestammte Legitimität. Woher eine neue nehmen? Wallenstein will sich absichern und leiht sein Ohr den Weissagungen eines Sternendeuters. Das ist historisch verbürgt. Schiller schwankte, wie er diesen Aspekt behandeln sollte, denn „die Mischung des Törigten und Abgeschmackten mit dem Ernsthaften und Verständigen (wird) immer anstößig bleiben“, schrieb er am 4. Dezember 1798 an Goethe. Der antwortete vier Tage später, der Astrologie liege das „dunkle Gefühl eines ungeheuren Weltganzen“ zugrunde, das der Mensch langsam voranschreitend zu erfassen suche. Eigentlich sei das nicht einmal Aberglaube, sondern Teil „unserer Natur“. Golo Mann nennt es in seiner großen Wallenstein-Biographie „ein Tasten nach Rationalität“ und, ganz praktisch, „eine Art von verkürztem Nachrichtendienst“ in einer Zeit, da die Nachrichten zwischen den Hauptstädten oft Wochen benötigten.

Damals wie heute geht es darum, historische Determinanten zu erkennen und sich nutzbar zu machen. Damals wie heute führt der Sternenglaube, dogmatisch begriffen, in die Katastrophe. Ausgerechnet der Oberst Octavio Piccolomini, der im Auftrag des Kaisers gegen Wallenstein intrigiert, bezeichnet der Deuter ihm als seinen Freund.

Loyalitätskonflikte lassen sich nicht auflösen

Einen Trost in seiner Einsamkeit bedeutet ihm der junge Max Piccolomini. Beide verbindet ein emotionales Verhältnis. Max war für Wallenstein stets der „Bringer irgend einer schönen Freude“, während Wallenstein für den Jüngeren eine Vaterfigur ist. Darüber hinaus möchte er in ihm den erhofften Friedensbringer sehen. Fast könnte es sich um einen Vorgriff auf das Meister-Jünger-Verhältnis à la Stefan George handeln, doch am Ende stellen die Verhältnisse sich bei Schiller komplizierter dar. Zwar sagt Wallenstein, als Max den Eid erwähnt, den er auf den Kaiser abgelegt hat, im herrischen Ton: „Gehörst Du dir?/ Bist du dein eigener Gebieter,/ Stehst frei da in der Welt wie ich/ Wie Du der Täter deiner Tat könntest sein?/ Auf mich bist du gepflanzt, ich bin dein Kaiser, / Mir angehören, mir gehorchen, das/ ist deine Ehre, dein Naturgesetz.“ 

Die Loyalitätskonflikte des jungen Idealisten aber lassen sich nicht in gläubiger Hingabe auflösen. Denn Wallenstein ist eben doch nicht der selbst- und makellose Retter. Auch er wird von persönlichem Ehrgeiz getrieben, der ihn nach der böhmischen Krone greifen läßt. Und noch etwas steht dem Erfolg seines Friedensprojekts im Wege: Ein Einzelner, mag er auch noch so befähigt und den Mitmenschen überlegen sein, kann nicht alles im Blick und im Griff haben. Den dummen Zufall ohnehin nicht. Und die selbstsüchtigen Motive und die Ungeschicklichkeit der Getreuen entwickeln eine zerstörerische Dynamik. „Der Freunde Eifer ist’s, der mich/ Zugrunde richtet, nicht der Haß der Feinde.“

Um den Kaiser in die nationale Verantwortung zu zwingen, hat Wallenstein geheime Verbindung zu den Schweden geknüpft, was seine Soldaten als Verrat deuten. Wallenstein gelingt es, sie von der Redlichkeit seiner Motive zu überzeugen: „Was geht der Schwed’ mich an? Ich haß’ ihn (....)/ Mir ist’s allein ums Ganze. Seht! Ich hab/ Ein Herz, der Jammer dieses deutschen Volks erbarmt mich.“ Just in dem Moment platzt die Nachricht herein, daß die Regimenter seines Freundes Terzky die kaiserlichen Adler von den Fahnen entfernen und sein, Wallensteins, Zeichen aufpflanzen. Die unautorisierte Aktion stempelt Wallenstein zum Lügner und führt zum Abfall der Truppe. 

Nicht jedem Zuschauer und Rezensenten gefällt, wie die Textbrocken im Eiltempo hinaustrompetet werden. Wo bleiben die dramatischen Gegenspieler, wo die Psychologie, die Persönlichkeit? Die Einwände erinnern an einen Disput zwischen Rolf Hochhuth und Theodor Adorno vor fünfzig Jahren. Hochhuth hatte Georg Lukács, den Realismus-Puristen in der Kunst, mit der These zitiert, „der konkrete, der besondere Mensch“ müsse im Drama „das Primäre, der Ausgangs- und Endpunkt des Gestaltens“ sein. Der en passant attackierte Adorno antwortete ihm, der Realismus und das einmalige Individuum, die Hochhuth vorschwebten, seien falscher Schein. „Die Absurdität des Realen drängt auf eine Form, welche die realistische Fassade zerschlägt.“ Er verwies auf das epische Theater von Brecht, der den Blick von den Subjekten auf die Objekte der Geschichte verschoben habe, aber noch nicht weit genug gegangen sei. Noch näher an der Wirklichkeit stünden die „Beckettschen Menschenstümpfe“. 

Auch Wallenstein, obwohl er alle überragt, ist nur noch ein Fragment, dem seine Willensakte zur Demonstration ihrer Vergeblichkeit geraten. Frohe Botschaften klingen anders als in Thalheims hyperrealistischem „Wallenstein“.

Die nächsten „Wallenstein“-Vorführungen an der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, Kurfürstendamm 153, finden statt am 25., 26., 28. und 29. Dezember sowie am 1. Januar 2017. Kartentelefon: 030 / 89 00 23

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