© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/16 / 09. Dezember 2016

Glasklar traditionell
Sand, Kalk, Soda und Pottasche: Der Stoff, aus dem in Lauscha die Weihnachtsträume sind
Verena Inauen

Von Müllers und Greiners wimmelt es im Thüringer Wald nur so. Kein Wunder: Die beiden Familien gründeten im Jahr 1597 durch den Bau einer Glashütte die Ortschaft Lauscha im Thüringer Wald. Ihre Nachfahren sind heute unter den verschiedensten Komposita-Familiennamen wie etwa Müller-Uri oder – skurril! – Greiner Vetters Sohn nicht mehr aus dem Stadtleben wegzudenken.

Genausowenig wegzudenken wie Rohlinge, Stäbe und Formen. In keinem anderen Ort der Welt ist wahrscheinlich schon so lange und so oft die Rede von ihnen wie in der Glasbläserstadt. Grund dafür ist der gläserne Christbaumschmuck. Den schätzen und lieben ganz viele, aber nur die wenigsten kennen den Ursprung dahinter. Diese wenigen vermehren sich allerdings von Jahr zu Jahr und besuchen am ersten und zweiten Adventwochenende den Kugelmarkt der Ortschaft. Die 3.900 Einwohner zählende Ortschaft wächst dann schnell auf die doppelte Menge an.

Große Augen machen die einen, künstliche die andern

Und dieser Menge wird dann von Jahr zu Jahr geduldig in den vielen immer noch bestehenden Glasbläserhütten erzählt, wie der deutsche Auswanderersohn Frank Woolworth 1880 die Christbaumkugeln in sein Warensortiment nahm und so dem Dorf zu internationaler Berühmtheit verhalf. Vorgeführt wird den Gästen aber auch, wie die bunten Rohlinge aus noch festem Glas über einer heißen Flamme zu einer flüssigen Masse werden und zu Röhren und Stäben in die Länge gezogen werden. „Glas entsteht in der Natur nur nach einem Blitzeinschlag oder Vulkanausbruch. Die Glasbläser haben aber gelernt, dieses Material zu bändigen“, erklärt die Gästebetreuerin der Elias-Farbglashütte, Bettina Walter. Vor den Augen der Zuschauer bläst ein junger Mann durch ein langes Kupferrohr, die Glasmacherpfeife, die heiße Glasmasse zu einer faustgroßen, durchsichtigen Kugel auf. In der deutschlandweit einzigen Farbglashütte werden das ganze Jahr über Christbaumkugeln und Gläser in über 274 Farbtönen geblasen. „Nur vier bis sechs Wochen im Jahr widmen sich die Handwerker unter ihrem Hüttenmeister René Queck der Herstellung von künstlichen Augen“, informiert Frau Walter während einer Führung durch die Produktionsstätten. Das europaweit einzigartige Kryolithglas wurde 1835 erstmals von Ludwig Müller-Uri hergestellt und erlebte durch die folgenden Kriege eine enorme Nachfrage.

Zu jener Zeit mußten die Lauschaer die Flammen ihrer Öfen allerdings noch mit Holz und Kohle anheizen. Heute hilft ihnen Gas bei der Temperaturerhöhung der benötigten Flamme auf bis zu 1.500 Grad Celsius. Die Verlegung dieser Gasleitungen war ein entscheidender Wendepunkt in der Glasproduktion des Ortes. Die Vorgänge konnten optimiert werden und bedeuteten mehr Geld für die damals noch abgeschottet lebenden Handwerker. Heute wird allein in der Elias-Farbglashütte täglich so viel Erdgas verbraucht, wie ein Einfamilienhaus in drei Wintermonaten benötigt. Aus Quarzsand, Kalk, Soda, Pottasche und viel Aufmerksamkeit für das Detail werden dafür täglich gläserne Wunderwerke geschaffen. Eines davon ist etwa das berühmte Thüringer Waldglas mit seiner hellgrünen Färbung, die von dem hohen Eisengehalt des Sandes herrührt, der am nahe gelegenen Rennsteig gewonnen wird.

In welchem Verhältnis die Rohstoffe zueinander stehen – „das ist bis heute streng geheim, jede Glashütte hat ihr eigenes Rezept“, bestätigt ein weiterer Glasbläser, Helmut Bartholmes, der an diesem Wochenende die Besucher ihre eigene Weihnachtskugel über einer Stichflamme blasen läßt. „In der Lehrzeit verbrennt man sich eigentlich täglich“, schmunzelt der Handwerker, während er der diesjährigen Glasprinzessin Laura Leopold winkt. Sie empfängt die vielen Gäste und repräsentiert den Ort Lauscha nach außen.

Besonders ist an dem versteckten Städtchen aber nicht nur die Fülle an Glashütten sowie der Familiennamen Müller und Greiner, sondern auch ein ganz besonderer Auftrag aus dem Hause Windsor. 2.000 überdimensionale Christbaumkugeln durften die Schüler der bundesweit einmaligen Glasberufsfachschule dieses Jahr für das englische Königshaus anfertigen. Groß ist darum auch bei den Gästen die Nachfrage nach den goldenen Kugeln von der Art, wie sie seit November eine Coburger Tanne vor Schloß Windsor an der Themse schmücken. Verkaufsschlager seien den Glasmachern zufolge nämlich immer noch die Farben Rot, Gold und Silber, welche Kindheitsträume jedes Jahr zur Weihnachtszeit neu aufleben lassen. Mit diesem Traum einer heilen, aber zerbrechlichen Welt verdienen die Lau­schaer Glasbläser in schweißtreibender Handarbeit bis heute ihr tägliches Brot.

 www.farbglashuette-lauscha.de

 www.glaszentrum-lauscha.com