© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/16 / 09. Dezember 2016

Knapp daneben
Wer nicht pflegebedürftig ist, kann auch arbeiten
Karl Heinzen

Joe Bartley muß nicht länger untätig daheim versauern. Zweimal inserierte der Pensionär in seiner Lokalzeitung, daß er einen Job suche. 20 Stunden pro Woche wolle er arbeiten, gab er bekannt, nicht zu anstrengend dürfe die Tätigkeit sein, aber die Branche wäre ihm eigentlich egal. Die Gastronomin Sarah Martin stieß auf seine Anzeige und engagierte ihn als Kellner in ihrem Bistro in Paignton an der englischen Riviera. Sie hat ihre Entscheidung nicht bereut, denn Bartley bietet ihren Gästen nicht nur zuverlässigen Service, sondern auch spannende Unterhaltung. Mit seinen 89 Jahren hat er, der im Krieg als Luftwaffensoldat gekämpft hat, schließlich einiges zu erzählen.

Joe Bartley ist sicher nicht repräsentativ für Menschen, die in Europa heute im Rentenalter sind. Er ist einer der letzten Vertreter einer Generation, die das kollektive Schicksal von Krieg und Wiederaufbau gemeinsam zu bewältigen hatte. Allen Nachgeborenen war es vergönnt, was man ihnen schwer vorwerfen kann, in einer lange anhaltenden Epoche beständig wachsender Prosperität ihr kleines persönliches Glück auf eigene Faust zu suchen. 

Vielen Rentnern ist heute anzumerken, daß sie sich als faulenzende Leistungsempfänger unwohl fühlen.

Und doch führt Bartley eines vor Augen: Wer alt ist, muß nicht auf der faulen Haut liegen, sondern kann seinen Platz im Erwerbsleben finden. Wenn er in der Lage ist, sich mit 89 Jahren einer neuen beruflichen Herausforderung zu stellen, sind all jene, die einer Anhebung der Pensionsgrenze auf 70 Jahre oder etwas mehr das Wort reden, keine Unmenschen, sondern maßvolle Realisten.

Vielen Rentnern ist heute anzumerken, daß sie sich in ihrer Rolle als faulenzende Leistungsempfänger unwohl fühlen. Ihnen kann durch die Reintegration in den Arbeitsmarkt geholfen werden. Das Recht auf eine Pension sollte daher nicht länger an eine starre Altersgrenze, sondern an objektive Kriterien gekoppelt sein, die der individuellen Leistungsfähigkeit gerecht werden. Diese Kriterien lassen sich aus der Pflegeversicherung ableiten: Wer ohne ihre Leistungen auskommt, braucht keine Hilfe und kann daher auch arbeiten. Erst ab Pflegestufe 1 dürfte eine Rentenzahlung wohl unumgänglich sein.