© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

„Das ist Rassismus“
Er gilt als bekanntester Islamkritiker Deutschlands. Doch Hamed Abdel-Samad kritisiert nicht nur den Islam, sondern auch das liberale Milieu in Europa
Moritz Schwarz

Herr Abdel-Samad, wo befinden Sie sich?

Hamed Abdel-Samad: Im Ausland, mehr sage ich nicht. In Deutschland halte ich mich nur auf, wenn ich Vorträge oder Dreharbeiten habe, da sich meine Gefährdungslage erneut verschärft hat. 

Wer bedroht Sie? 

Abdel-Samad: Auch darüber soll ich keine Details verraten, rät mir die Polizei.

Seit 2013 gibt es einen Mordaufruf der ägyptischen Islamisten-Bewegung Gamaa Islamija gegen Sie. Ist das der Grund?

Abdel-Samad: Nein, die Hauptgefahr geht mittlerweile von Kräften in Deutschland aus. 

Deutsche Islamisten bedrohen Sie so sehr, daß Sie das Land verlassen mußten?

Abdel-Samad: Es handelt sich um Mordaufrufe aus der gefährlichsten Ecke, die man sich vorstellen kann. Verstehen Sie, daß ich mehr nicht sagen darf.

Sie treten seit Jahren als Warner auf, was aber offenbar an der Lage im Land nichts ändert – nur Ihre persönliche Situation verschlechtert sich. Wo führt das hin? 

Abdel-Samad: Es stimmt nicht ganz, daß sich nichts ändert. Meine Bücher liest man auch in der muslimischen Welt, und ich mache im Internet eine Sendung auf arabisch, die in kurzer Zeit 7,5 Millionen „Views“ erreicht hat – das ist sehr erfolgreich. Zudem schreibe ich nicht, weil ich meine, ich allein könnte die Welt verändern, sondern um mich nicht unterkriegen zu lassen. 

Die Publizistin Sabatina James beklagt, unsere Gesellschaft lasse es zu, daß Islamkritiker verfolgt leben müßten, während Fundamentalisten und Islamisten sich unbeschwert öffentlich bewegen können.

Abdel-Samad: Einerseits bin ich sehr dankbar, von den deutschen Behörden so guten Schutz zu erhalten. Andererseits – da hat Frau James recht – ist Kritik am Islam in Europa tatsächlich unerwünscht. Etwa von seiten der Politik, weil diese fürchtet, Islamkritik könne zum einen ihre Geschäfte mit islamischen Ländern, zum anderen ihre Migrations- und Flüchtlingspolitik stören. Dazu kommen nicht nur die Islamisten und Islam-Lobbyisten hierzulande, sondern auch viele normale Muslime, die Islamkritik meist sofort als Angriff auf das Existenzrecht aller Muslime interpretieren. Wovon in meinem Fall natürlich keine Rede sein kann. Zudem sind da die Journalisten und Intellektuellen aus dem linksliberalen Lager – und dort sind die meisten Journalisten und Intellektuellen zu Hause –, von denen viele Islamkritik als „fremdenfeindlich“, „rassistisch“ oder „rechtspopulistisch“ brandmarken. Solche Vorwürfe können in Deutschland rasch dazu führen, daß eine Berufskarriere beendet ist. Dabei ist auch dieser Vorwurf oft, etwa in meinem Fall, abwegig. Ich etwa will gerade Muslime vor Menschenrechtsverletzungen im Namen des Islam schützen, und schließlich sind vor allem sie Opfer des islamistischen Terrors. Aber diese Intellektuellen und Journalisten haben es geschafft, daß Islamkritik oft als dunkel und schmutzig gilt, statt als aufklärerisch – etwas, das mit Populismus statt mit Humanismus zu tun habe. Dabei ist letzterer Grundlage meiner Kritik! Amerika- oder Rußlandkritik gilt ihnen oft als intellektuell, Islamkritik dagegen als „dumpf“. Ja, die gesellschaftliche Stimmung begünstigt also die Einschüchterung von und den Rufmord an Islamkritikern. 

Warum erfahren Islamkritiker nicht ebensoviel Solidarität von seiten der Gesellschaft wie etwa Rechtsextremismusopfer?

Abdel-Samad: Gute Frage! Genau das würde ich mir wünschen. Oder so viel Solidarität zu erhalten wie eine Frau, die einen Burkini trägt. Erinnern Sie sich an den Fall der Burkini-Trägerin in Nizza, die von Polizisten umringt wurde? Erinnern Sie sich an die Welle der Solidarität mit dieser Frau von seiten des linksliberalen Lagers? Allerdings wäre ich schon dankbar, bekäme ich nicht mehr ständig diese „Rassismus“-Vorwürfe. 

Warum ist das so?

Abdel-Samad: Weil viele in ideologischen Schranken denken, die Vorstellung pflegen, Muslime seien automatisch Opfer – folglich müßten Islamkritiker Täter sein. Nach ihrer Vorstellung stören nicht die Islamisten das Zusammenleben, sondern Leute wie ich. Andere meinen, die Lehre aus der deutschen Geschichte sei, Minderheiten nicht mehr zu kritisieren. Aus meiner Sicht ist die Lehre aber: Nie wieder Bevormundung und Einschüchterung zuzulassen, auch nicht von seiten einer Minderheit. Kritik an gewissen Elementen des Islams ist also nicht nur demokratisches Recht, sondern demokratische Pflicht!

Wo führt es unsere Gesellschaft hin, wenn sie diesen Weg fortsetzt?

Abdel-Samad: Für mich ist der Islam die Herausforderung für die Freiheit in Europa im 21. Jahrhundert. Dabei habe ich keine Angst, daß Europa islamisiert wird. Ich habe Angst davor, daß sich Europa selbst aufgibt – durch Gleichgültigkeit, Opportunismus und Relativismus. Es gibt etwa in Deutschland die Tendenz, daß je mehr Einwanderer kommen, je „bunter“ und vielfältiger die Gesellschaft wird, desto einfältiger und gleichförmiger die Meinungen werden. 

Inwiefern?

Abdel-Samad: Teile der Medien schränken die Meinungsvielfalt freiwillig ein, nach der Devise: Wir leben nicht mehr unter uns, wir können also nicht mehr alles sagen. Das Gegenteil sollte der Fall sein: Je vielfältiger die Gesellschaft, desto vielfältiger sollten die Meinungen sein. Dazu gehören auch kritische Meinungen, egal ob von links, aus der Mitte oder von rechts. Gefährlich ist es, wenn man etwa links nur noch islamfreundliche Meinungen hören will. Ebenso wie es gefährlich ist, wenn man rechts nur islamkritische Meinungen hören möchte. Alle sollten alle Meinungen reflektieren, damit die Gesellschaft eine ausgewogene Schlußfolgerung ziehen kann. 

Sie sagen, Sie fürchten keine Islamisierung, warum nicht?

Abdel-Samad: Ich sehe weder islamische Heere, die Europa erobern sollten, noch eine Einheit unter den Muslimen hier, die ermöglichte, daß sie nach einem gemeinsamen Plan handelten – wenn es so einen überhaupt gäbe. 

Unter Islamisierung verstehen die meisten Kritiker wohl eher einen kulturellen und gesellschaftlichen Prozeß, der – wie von Ihnen beschrieben – mit der Selbstaufgabe beginnt. Und der auch keineswegs nur von islamischer Seite ausgehen muß, wie Pegida-Gründer Lutz Bachmann in einem Interview mit dieser Zeitung erklärt hat. Etwa wenn in einer Berliner Ausstellung Bilder mit „Rücksicht“ auf den Islam abgehängt werden, obwohl sich gar kein Moslem beschwert hatte. 

Abdel-Samad: Und das sind keineswegs Einzelfälle, sondern Sie finden so etwas inzwischen in fast jedem europäischen Land. Das ist die Gefahr: Daß wir im öffentlichen Raum ein Wertevakuum zulassen, das dann gewisse islamische Kräfte besetzen. Ich denke oft an den holländischen Fußballtrainer Johan Cruyff, der zu seiner Mannschaft gesagt hat: „Der Gegner kann uns nicht besiegen. Aber wir können gegen ihn verlieren.“ Genau das ist die Situation in Europa. Und ja, es gibt in der Tat den islamistischen Traum, Europa durch die Geburtenrate zu erobern. Und nicht alle, aber Teile der Islamverbände verfolgen die einstige Strategie der Grünen vom „Marsch durch die Institutionen“ und plazieren gezielt ihre Leute in Parteien, Medien und anderen gesellschaftlichen Institutionen, damit diese dort ihre Interessen vertreten und die Verbände so maßgeblichen Einfluß auf gewisse Debatten bekommen – selbst wenn sie zahlenmäßig eine Minderheit bleiben. Das ist schon eine Art Unterwanderung und auch von Eroberung, wenn auch keine Eroberung im klassischen Sinn. Allerdings haben manche Muslime dafür bereits mehr Problembewußtsein als die Fraktion der guten alten linksliberalen Europäer. Die übrigens auch in ihrer paternalistischen Rolle steckengelieben sind, indem sie die Muslime vor allem und jedem schützen möchten – auch vor sich selbst. Dabei ist das der eigentliche Rassismus: ein Rassismus der gesenkten Erwartungshaltung. Nicht der Islamkritiker verachtet Muslime, wohl aber der, der meint, von Muslimen könne man nicht das gleiche erwarten wie von Nichtmuslimen – weshalb man sie vor Kritik und Polemik schützen müsse.

Ist der sogenannte Rechtspopulismus eine Entartung der Islamkritik oder ein legitimer und produktiver Teil dieser?

Abdel-Samad: Unter „Rechtspopulismus“ wird sehr viel zusammengefaßt – tatsächlich auch Elemente, die sehr häßlich sind und aus demokratischer Sicht abgelehnt werden müssen. Nämlich dann, wenn mit der Kritik nicht die Ideologie des Islam, sondern die Muslime insgesamt gemeint sind – und zwar um sie als Menschen abzulehnen oder als minderwertig zu betrachten. Andererseits wird der Begriff oft auch für Leute verwendet, die begründet den Islam kritisieren, ohne Muslime zu verurteilen. 

Gehört etwa die AfD zu dem, wie Sie sagen, „häßlichen Element“ oder zum legitimen Teil des „Rechtspopulismus“?

Abdel-Samad: Innerhalb der AfD gibt es beides, ebenso wie bei Pegida – sowohl an der Basis wie in der Führung. Deshalb braucht die Partei auch eine Selbstreinigung, sonst könnte die AfD eines Tages kippen und die legitime Islamkritik denen zum Opfer fallen, denen es nur um Haß gegen Muslime geht. 

Sie sind auf AfD-Veranstaltungen als Redner aufgetreten. Was haben Sie dort erlebt?

Abdel-Samad: Ich habe eben beides erlebt: Menschen voller Haß, aber auch solche, die berechtigte Sorgen haben, aber verstehen, daß man Muslimen auch eine Hand reichen muß und nicht alle über einen Kamm scheren darf. Ich hoffe, daß diese Vernünftigen die Partei vor den Unvernünftigen retten werden.

Unterstützen die Medien mit ihrer Stigmatisierung der AfD als „Islamhasser“ allerdings nicht die „Unvernünftigen“?

Abdel-Samad: Natürlich, indem sie die AfD so einseitig darstellen, locken sie die Islamhasser geradezu in die Partei, das ist unverantwortlich. Gleichzeitig müssen sich die Vernünftigen dort dieses Problems bewußt und um so wachsamer sein, wen sie neu aufnehmen. 

Warum sind Sie nicht Mitglied?

Abdel-Samad: Weil mein Herz politisch anderswo schlägt. 

Inwiefern? Schließlich ist die AfD die Partei der Islamkritik – Ihres Themas. 

Abdel-Samad: Ich kritisiere den Islam aus einer liberalen Haltung heraus, die politisch eher nicht in der AfD beheimatet ist. Gleichwohl ist die Partei legitim, und man sollte sich fair und inhaltlich mit ihr auseinandersetzen.        

Eines Ihrer Bücher heißt „Der Untergang der islamischen Welt“. Warum ist diese dazu verdammt unterzugehen, wie Sie sagen?

Abdel-Samad: Als das Buch 2010 erschien, war es eine Prognose – inzwischen ist eingetreten, was ich darin vorhergesagt habe: Bürgerkrieg und Staatszerfall und eine der größten Völkerwanderungen der Geschichte. Warum wird die islamische Welt untergehen? Weil der Islam weder politisch noch kulturell die Kraft hat, zu bestehen. Schon jetzt wird er sozusagen künstlich beatmet – durch Petrodollars und eine Art „Wutindustrie“ in der arabischen Welt. Beides wird aber nicht genügen, ihn dauerhaft zu erhalten. Tatsächlich gibt es kaum Innovationen in der arabischen Welt. Man lebt fast nur vom Erdöl oder vom Tourismus und hat versäumt, in zukunftsträchtige Bereiche zu investieren. So gibt es keine Basis für eine Zeit nach dem Erdöl oder wenn die Touristen nicht mehr kommen.

Seit Erscheinen Ihres Buches hat der politische Islam allerdings einen enormen Aufschwung erlebt. Säkulare Staaten sind zerbrochen, Islamismus hat die Lücke gefüllt. 

Abdel-Samad: Ja, nur habe ich genau das im Buch als erste Stufe des Untergangs dargestellt. Der Islam ist wirtschaftlich, kulturell und politisch pleite, und der militante Islamismus ist das letzte Aufbäumen dieses überkommenen Wertesystems – das in der modernen Welt eben nicht mehr bestehen kann. Der Sturz wird sich aber nicht in Jahren vollziehen, sondern als jahrzehntelanger krisenhafter Prozeß, in dem es zunächst zu einer islamistischen Verschärfung kommt, bevor sich das Ganze dann fatal entlädt. Wobei die ganze Welt in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.

Was kommt danach? 

Abdel-Samad: Entweder ein nicht endendes Inferno oder ein Neuanfang. Im Fall eines Neuanfangs kann dieser nur erfolgreich sein, wenn die Muslime sich fragen: Wie funktionieren die Länder, in die so viele von uns in der Zeit der Krise geflohen sind? Und wenn sie deren Verhältnisse kopieren, um ebenfalls gesellschaftlich, politisch, kulturell und wirtschaftlich erfolgreich zu sein. 

Der Blick in Ihr Heimatland Ägypten lehrt allerdings etwas anderes. Nämlich, daß die islamistische Periode durch eine um so autoritärere Herrschaft abgelöst wird – wenn man nicht im Bürgerkrieg enden will. 

Abdel-Samad: Der Rückfall ins Autoritäre mag die nahe, aber nicht die ferne Zukunft sein. Irgendwann wird die islamische Welt so verkrustet und rückständig sein, daß es nicht mehr weitergeht, weder mit Islamismus noch mit Diktatur. Die Verhältnisse in der arabischen Welt gleichen einer Zwiebel: Die äußerste Haut ist die der Diktatoren, egal ob Monarchen oder Präsidenten. Darunter befindet sich die Haut der Militärdiktatur. Darunter folgt die soziale Diktatur, etwa der gesellschaftlichen Rollenvorstellungen oder ökonomischen Strukturen. Im Kern: die religiöse Diktatur, die die Geisteshaltung der Menschen bestimmt. Man kann die islamische Welt erst demokratisieren, wenn alle Schichten abgepellt sind. Das aber ist eine Jahrhundertaufgabe. 






Hamed Abdel-Samad, erste Aufmerksamkeit erlangte der Politologe mit seinen Büchern „Mein Abschied vom Himmel. Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland“ (2009) und „Der Untergang der islamischen Welt“ (2010). Geboren 1972 in Ägypten, wandte er sich zunächst den Muslimbrüdern zu, bevor er sich zum Islamkritiker wandelte. 1995 wanderte er nach Deutschland aus. Erneute Beachtung fanden seine Bücher „Der islamische Faschismus“ (2014), „Mohammed. Eine Abrechnung“ (2015) und aktuell „Der Koran. Botschaft der Liebe. Botschaft des Hasses“ (2016).

Foto: Autor Abdel-Samad hinter dem Fenster eines Berliner Cafés: „Dank Intellektuellen und Journalisten wird Islamkritik mit Populismus, statt mit Aufklärung und Humanismus verbunden“

 

 

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