© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

Nur die Kopten sprechen von Trost und Zuversicht
Terror: Eine Welle der Gewalt erschüttert die Türkei, Ägypten, Nigeria und Somalia / Ankara verschärft Kampf gegen Kurden
Marc Zoellner

Erneut erschüttert eine Welle von Verhaftungen die Türkei: Allein am vergangenen Sonntag, berichten türkische Medien, seien während der landesweit koordinierten Einsätze knapp 200 Menschen verhaftet worden; darunter auch 120 Politiker und Aktivisten der prokurdischen HDP sowie ihrer Schwesterpartei, der lediglich in den türkischen Kurdengebieten aufgestellten Demokratischen Partei der Regionen (DBP). Rund 500 Polizisten und Sicherheitskräfte hatten in den frühen Morgenstunden Bürokomplexe und Privatwohnungen in sechs der größten Städte des Landes gestürmt. Neben mehreren regionalen Vertretern der HDP befanden sich unter den Verhafteten diesmal ebenso die regionalen Parteivorsitzenden Istanbuls und Ankaras.

Den Verhaftungen vorausgegangen war ein Doppelanschlag der Freiheitsfalken Kurdistans (TAK), einer linksradikalen Splittergruppe der in Deutschland als Terrororganisation gelisteten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Ein mit Sprengstoff beladener Lastkraftwagen hatte Samstagnacht vor einem Istanbuler Fußballstadion Dutzende Polizisten in den Tod gerissen. Nur wenige Sekunden später sprengte sich ein Selbstmordattentäter in einem nahe gelegenen Park in einer Gruppe von Beamten in die Luft. Nach ersten Erkenntnissen starben 44 Menschen durch die beiden Attentate; über 150 Personen wurden zum Teil schwer verletzt.

„Der AKP-Faschismus trägt die alleinige Verantwortung für dieses Chaos“, so bekannten sich die TAK am Folgetag auf ihrem Onlineblog zu dem Istanbuler Blutbad. „Die türkische Öffentlichkeit ist in der Pflicht, diesem Faschismus ein Ende zu setzen.“ Ebenso sei aber auch die eklatante Menschenrechtslage in den Kurdengebieten und die Folter türkischer Militärs an kurdischen Mädchen Motiv für ihre Anschläge gewesen, erklärten die TAK.

Unterdessen verurteilten die drei größten politischen Parteien der Türkei, die regierende AKP sowie die oppositionellen CHP und MHP, in einer gemeinsamen Erklärung die Terroranschläge sowie ihre Verursacher. „Diese Terroristen werden ausgelöscht oder vor Gericht gestellt“, hieß es in dem am Sonntag veröffentlichten Memorandum. „Wir werden die gleiche vereinte Haltung einnehmen, wie wir sie bereits während des Putschversuchs bewiesen hatten. Das türkische Volk wird gewinnen.“

IS- und al-Qaida-nahe Milizen schlagen blutig zu 

Auch der Co-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas, verurteilte die Anschläge als „brutales Massaker“ – allerdings selbst vom Gefängnis aus, wo der kurdische Oppositionspolitiker seit einer früheren Verhaftungswelle vom 4. November in Untersuchungshaft einsitzt. Ihm und anderen Spitzen seiner Partei werden enge Verbindungen zur PKK vorgeworfen.

In den vergangenen Jahren geriet die Türkei immer öfter ins Fadenkreuz linksextremer sowie radikalislamischer Terroristen. Die Bedrohungslage für das kleinasiatische Nato-Mitglied verschärfte sich spätestens zu Beginn der Militäroffensive „Schutzschild Euphrat“, in welcher türkische Truppen seit August 2016 über 1.800 Quadratkilometer syrischen Boden erobern und Hunderte Kämpfer des IS sowie PKK-naher Milizen töteten.

Ins Visier radikaler Islamisten gerieten in der vergangenen Woche ebenfalls gleich drei afrikanische Staaten. Im Bundesstaat Adamawa im Nordosten Nigerias zündeten vergangenen Freitag zwei junge Frauen ihre Sprengstoffwesten auf dem Marktplatz von Madagali. Bislang zählten die nigerianischen Behörden über 57 Tote sowie 177 Verletzte; darunter auch rund 120 Kinder. Die nigerianische Regierung erklärte die Terrorgruppe Boko Haram für die Tat verantwortlich. 

Seit 2010 bekämpfen die Anhänger der Boko Haram, welche nach der Einführung der Scharia in ganz Nigeria streben, die Regierung in Abuja. In den vergangenen Jahren kamen in diesem blutigen Konflikt im westafrikanischen Vielvölkerstaat weit über 20.000 Menschen ums Leben. Anfang 2015 schloß sich die Boko Haram offiziell dem Islamischen Staat an.

Am Sonntag sprengte sich ein Selbstmordattentäter mitsamt seinem Wagen vor der Einfahrt zum Hafen der somalischen Hauptstadt Mogadischu in die Luft. Auch hier stieg die Opferzahl, bedingt durch schwere Verletzungen und unzureichende medizinische Versorgung der Betroffenen, stündlich an: Zuletzt proklamierten somalische Regierungssprecher 29 Tote sowie beinahe 50 Verwundete. In einer Radiosendung bekannte sich die zum al-Qaida-Netzwerk gehörende al-Shabaab-Miliz zu dem Anschlag.

Bei zwei Bombenanschlägen starben vergangenen Freitag neun Menschen in der ägyptischen Hauptstadt Kairo; darunter sechs Polizisten. Eine bis dato unbekannte, sich Hasm nennende radikalislamische Miliz hatte für diese beiden Angriffe die Verantwortung übernommen. Zwei Tage später traf der Terror die koptische Gemeinde Kairos. Ein 22jähriger Selbstmordattentäter zündete seinen Sprengsatz inmitten des Sonntagsgottesdienstes der St. Peter und Paul-Kirche. Der mutmaßliche Islamist tötete hierbei 24 Gläubige. 50 weitere erlitten zum Teil schwere Verletzungen. 

Nach dem bislang schwersten Anschlag auf die christliche Minderheit seines Landes verkündete Ägyptens Präsident Abdel-Fattah as-Sisi eine dreitägige Staatstrauer. Während der anschließenden, vom Militär streng abgeschirmten Begräbnisfeier rief auch Papst Tawadros II. seine Anhänger zu Trost und Zuversicht auf. „Es ist das Schicksal unserer Kirche, Märtyrer zu entrichten“, trauerte das Oberhaupt der koptischen Kirche Ägyptens.