© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

Der einträgliche steuerliche Vollzugszins von sechs Prozent
Fiskalische Willkür
Dirk Meyer

Unter Ökonomen wird über das Bonmot, die Besteuerung sei staatlich legalisierter Diebstahl, gerne gelacht. Wohlweislich übersehend, daß der Gesetzgeber als demokratisch legitimierter Souverän des Volkes die Steuerhoheit innehat. Allerdings gelten gewisse Grundsätze der Steuergerechtigkeit und der Billigkeit der Erhebung, auch um die Akzeptanz der Besteuerung sicherzustellen. Wenig bekannt ist der Steuerzins: die Vollzugsverzinsung gemäß Paragraph 233a Abgabenordnung.

Hiernach sind sowohl Steuernachforderungen wie auch Erstattungen zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist und endet mit der Festsetzung durch den Steuerbescheid. Trotz der EZB-Nullzinspolitik und Negativzinsen bei Anleihen beträgt dieser Zinssatz seit Jahren sechs Prozent. Für eine Steuernachforderung von 1.000 Euro aus dem Jahr 2014, die zum 1. April 2017 zugeht, wird demnach eine Verzinsung von 60 Euro fällig. Dieser Tatbestand ist nicht nur ärgerlich. Manche meinen, er sei sittenwidrig, denn ein „Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig“ (Paragraph 138 BGB). Doch bürgerliches Recht gilt im Verhältnis von Bürger und Staat nicht – wo wieder die Macht des Leviathan deutlich wird.

Besonders mißlich ist allerdings die Praxis der Finanzbehörden, die dieses Zinsrisiko auf den Bürger abwälzen: In Streitfällen wird die Aussetzung des Vollzuges großzügig gewährt; die Festsetzung steuerlicher Vorauszahlungen wird abgelehnt oder knapp bemessen; eine verzögerte Fallbearbeitung bis hin zur Verschleppung wird mit Zinszahlungen belohnt; die Zurückhaltung von Steuerbescheiden bei großen Summen treibt den Steuerschuldner in die Verzinsung.

Außerdem kommt es zu erheblichen Zinslasten bei Steuernachzahlungen aufgrund einer Betriebsprüfung, die gerade bei kleinen und mittleren Firmen in unregelmäßigem Turnus stattfinden. Eine Betriebsprüfung 2016 für die Jahre 2012 bis 2014 würde 15 bis 20 Prozent Vollzugszinsen bei Nachforderungen ergeben. Zudem besteht auch noch eine Ungleichmäßigkeit der steuerlichen Berücksichtigung des Steuerzinses. Während Vollzugszinsen bei Steuererstattungen als Kapitalerträge zu versteuern sind, gelten Nachzahlungszinsen bei Privatpersonen hingegen als Kosten der privaten Lebensführung (Bundesfinanzhof-Urteil VIII R 36/10). Die Brisanz hierbei: Zuvor hatte das oberste Finanzgericht (VIII R 33/07) diese Praxis aufgehoben. Da das Urteil aber nie veröffentlicht wurde, mußte es von der Finanzverwaltung auch nicht beachtet werden. Was tun? Der Verzicht auf Vollverzinsung würde den Staat ein bis zwei Milliarden Euro pro Jahr kosten. Alternativ wäre eine Kopplung an den Refinanzierungszins der EZB – derzeit der Nullzins – denkbar.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.