© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

Loyal ist auf die Dauer niemand
Wirtschaftsphilosophie: Der reichste Mann Chinas erklärt dem Westen sein erfolgreiches Unternehmenskonzept / Expansion nach Amerika und Europa
Albrecht Rothacher

Herr Wang hat mir sein Buch geschickt. Da der 62jährige laut Forbes mit 32 Milliarden Dollar der reichste Mann Chinas ist, kann er sich leisten, unaufgefordert Bücher zu verschenken. Mit seiner Muttergesellschaft Dalian Wanda ist er Herr über ein Konglomerat von Immobilienentwicklern, Einkaufszentren, Hotelketten, Kaufhäusern, Filmstudios, Fußballvereinen, Themenparks und Jachtwerften – zunächst in der Volksrepublik und längst auch im Ausland. Mit seinen Firmen kontrolliert er um die 100 Milliarden Dollar, das Umsatzwachstum liegt bei 30 Prozent.

Belohne die Guten und bestrafe die Abweichler

Auf vielen Bücherregalen verstauben derweil die japanischen Managementweisheiten von Toyota, Honda & Co., die in den achtziger Jahren, als Wang noch als Regimentsoffizier Dienstpläne an der mandschurischen Grenze entwarf, Bestseller für die Imitation des japanischen Wirtschaftswunders waren. Die meisten lassen sich mit „Üb immer Treu und Redlichkeit“, arbeite hart und sei loyal zu deinem Betrieb, so wird dir gelohnt; zusammenfassen. Man ist bei der Ankündigung der Firmenphilosophie eines Selfmade-Manns also eingestimmt.

Aber Wang denkt anders: Traue keinem deiner Angestellten, loyal ist auf die Dauer niemand, normiere alle Entscheidungen, kontrolliere die Einhaltung ständig, belohne die Guten und bestrafe die Abweichler – zunächst mit öffentlichen Erniedrigungen, dann mit Gehaltskürzungen, schließlich mit dem Hinauswurf. Dazu werden Wangs Zehntausende Projektentwickler alle drei Jahre in eine andere Stadt versetzt, damit sie keine korrupten Netzwerke aufbauen können – Widerspruch zwecklos. Kosten und Gewinnzahlen werden wöchentlich von Wang kontrolliert. Zahlungen, Rekrutierungen – 20.000 im Jahr –, Entlassungen, Boni werden zentral entschieden. Bei Konferenzen hat jeder nur fünf Minuten Redezeit. Wenn es kreative Ideen gibt, die es in China noch nicht gibt, werden sie einfach eingekauft und die Kreativen mit Knebelverträgen an die Wanda Group gebunden.

Das Buch „The Wanda Way“ ist eine Zusammenstellung von zwölf öffentlichen Wang-Vorträgen der Jahre 2012 bis 2015, gefolgt von Frage-und-Antwort-Sitzungen mit Studenten in China und an der Harvard University in Massachusetts. Da bleiben Wiederholungen und Widersprüche nicht aus. 2015 in China erschienen, verkaufte es sich dort etwa 600.000mal. Davon gingen sicherlich 120.000 an seine dortigen Mitarbeiter, müssen sie doch monatlich ein „gutes Buch“ lesen, neben den obligaten Anstandskursen und dem Freiwilligendienst bei den Armen.

Wang wurde 1954 in der südwestchinesischen Provinz Setschuan als ältester Sohn eines Veteranen der Volksbefreiungsarmee (PLA) geboren. Er trat mit 15 Jahren als Kadett in die PLA ein und diente mit 30 Jahren als Offizier in einem Regimentsstab. Die frühe militärische Sozialisation habe ihm „Disziplin, Härte gegen sich selbst, Ausdauer und eine große Fähigkeit zur präzisen Planung“ beigebracht. 1986 verläßt Wang die PLA und wird in der mandschurischen Hafenmetropole Dalian – im Ausland als Port Arthur und als ursprünglicher Endpunkt der Transsibirischen Eisenbahn bekannt – Immobilienentwickler.

Nur mit Mühe kann Wang die ersten zwei Millionen Renminbi (etwa 200.000 Euro) als Kredit zur Gründung seiner Firma eintreiben: 25 Prozent Zinsen verlangt die Staatsbank, und die Hälfte kassiert der Bürge. Er saniert einen Slum in der Innenstadt, an dem die staatliche Bauwirtschaft uninteressiert ist. Mit größeren und helleren Räumen, eigenen Badezimmern und Sicherheitstüren verkaufen sich die renovierten Wohnungen sehr gut. In den chaotischen Wendejahren gelingt es ihm als erstem, mit einer Tochterfirma in der Boomregion Kanton (Guangdong) aus den regionalen Grenzen auszubrechen und in ganz China Baudienstleistungen anzubieten.

Dienstleistungskonzern zum Ruhme Chinas

Weil der Markt für Wohnhochhäuser bald überfüllt war, setzte Wang ab 1998 auf den Bau von Einkaufszentren, die mit Restaurants, Kinos, Hotels, Theatern und Kindervergnügungsstätten aufgewertet werden. Weil ihm die Anbieter nicht immer passen, managt er die Hotels, Karaoke-Hallen, Kaufhäuser und „Kids Places“ gleich selber. Der logische nächste Schritt sind Themenparks und gigantische Urlaubsorte: So hat das Changbaishan International Resort nahe der Grenze zu Nordkorea 43 Skipisten, Golfplätze, Hotels mit 5.000 Betten und eine 900 Meter lange Fußgängerzone mit hundert Geschäften, Bars, Kinos, Restaurants und Karaoke-Hallen.

Die Frage, was mit den Bewohnern und der Ästhetik jener Altstädte passiert, wenn sie von den Wanda-Einkaufstempeln plattgemacht wurden, ist nicht Wangs Thema. Seine Zentren seien auch nicht alle gleich, weil immerhin die Restaurants den regionalen Geschmacksnerven angepaßt würden. Und im zentralchinesischen Wuhan hat er in einer Geschichtsmeile die Vorkriegsbauten in seine Modernismen integriert. Wohltätigkeit wird hervorgehoben, doch sie wirkt wie eine Sondersteuer: Man tut etwas für die armen Kinder der Wanderarbeiter, die die Wanda-Bauten errichten. Wang ist Mitglied der KP und Vizepräsident der Industrie- und Handelsvereinigung, Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz (CPPCC) und des Nationalen Kongresses. Er wolle sich nicht in die Politik einmischen, aber trotzdem eng mit der Regierung – die keine kommunistische, sondern längst eine Diktatur der Besserverdienenden ist – zusammenarbeiten. Anders könne man im Immobiliensektor nichts gewinnen.

Zu den Zukunftsaussichten seiner Branche äußert sich Wang widersprüchlich: Zum einen ist Chinas Urbanisierungsrate mit 52 Prozent noch unter dem westlichen Niveau von 70 bis 80 Prozent und bietet damit noch zwanzig Jahre Wachstumspotential. Andererseits sieht er die leerstehenden Phantomstädte und hofft auf die Freizeitmärkte. Hundert Einkaufszentren will Wang weiter alljährlich bauen, allerdings diese an Investoren verkaufen und die Komplexe nur noch kontrollieren und unterhalten. Im Gegensatz zu den USA, wo es Hunderte „Dead Malls“ gibt, offerieren seine Wang-Zentren ein attraktives Einkaufs- und Kulturerlebnis, die das Internet nicht ersetzen kann.

Unter „Kultur“ versteht Wang Unterhaltung, die Kasse bringt. Natürlich hat er auch Galerien für chinesische Kalligraphien und klassische Gemälde, aber China brauche eine moderne Dienstleistungsindustrie. Wang will einen hundertjährigen Konzern aufbauen, der weltweit einen bleibenden Eindruck zum Ruhme Chinas hinterlasse. Deshalb kaufte er sich nicht nur bei Atlético Madrid, dem Ironman-Triathlon oder dem Schweizer Infront Sports (Fifa-Übertragungsrechte) ein. Chinesische Themenparks sollen Disney „vernichten“ und Filme in seinen Studios in Tsingtau statt in Hollywood für seine weltgrößte Kino­kette (AMC Entertainment, Odeon & UCI) gedreht werden. Der Wanda Tower Chicago soll 361 Meter hoch und 2020 fertig sein, die ebenfalls 900 Millionen Dollar teuren drei Jewel-Wolkenkratzer an der australischen Goldküste schon 2018. Aber kann eine solch atemlose Hyperexpansion gelingen? Sony und Matsushita verpulverten Milliarden in Hollywood. Auch die japanischen Seibu-Brüder und der französische Vivendi-Konzern scheiterten mit ihren zusammengekauften Hotel- und Unterhaltungskonglomeraten. Gut möglich daher, daß das Buch in einigen Jahren Staub sammeln wird. Momentan ist „The Wanda Way“ jedoch noch eine unterhaltsame Lektüre in die ungewohnte Geisteswelt eines chinesischen Oligarchen.

Wang Jianlin: The Wanda Way. The Managerial Philosophy and Values of One of China‘s Largest Companies. Lid Publishing, London 2016, 248 Seiten, 17,55 Pfund