© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

Der Flaneur
Pferd auf dem Flur
Bernd Rademacher

Der alte Landgasthof steht mitten im Naturschutzgebiet. Sonntags ist der Parkplatz selbst zu dieser Jahreszeit gut gefüllt. Die Städter wollen sich die Beine an traditionsreicher Stätte vertreten. Frisch gebackene Waffeln und heißer Kakao verzeichnet die Tageskarte. Im großen Kamin knistert ein Feuer und verströmt Behaglichkeit. An den Wänden hängen verstaubte Jagdtrophäen. Der Gastronom braucht sich offenbar, überlege ich, um sein Auskommen nicht zu sorgen, die urige Wirtschaft floriert. Während ich meine Waffel mit Kirschsoße verdrücke, versuche ich, seinem Geschäftsgeheimnis auf die Spur zu kommen.

Ein Bier verlangt der Reiter ins Glas gezapft, das andere in eine große Schüssel – fürs Pferd!

Da geht die Tür auf, und ein Gast kommt herein. Gummistiefel, Steppweste und Filzhut. Er nimmt nicht Platz, sondern geht zur Theke und bestellt zwei halbe Liter Pils. Aber er ist doch alleine? Er erklärt, ein Bier möge die studentische Tresenkraft ins Glas zapfen, das andere bitte in eine große Schüssel – für sein Pferd! Für wen?! Der Wirt und die umstehenden Gäste rücken neugierig näher. Das Pferd vor der Tür soll das Bier schlabbern, das sei nämlich ausgezeichnet für das Fell. Davon bekäme es einen seidigen Glanz.

Augenblicklich ist das ganze Lokal elektrisiert. Sogar die Spülhilfe kommt aus der Küche, als der Reiter die Schüssel mit dem Bier voran nach draußen balanciert. Da steht tatsächlich ein Pferd, mit dem Führstrick am Fahrradständer angebunden. Sofort macht es sich laut schlürfend und schmatzend über das Bier her. Alle holen ihre Handys heraus und filmen. Der Wirt lacht, das Pferd dürfe sein Bier auch gerne am Tresen saufen. Nein, zu gefährlich, es könnte auf den Stufen zum Eingang ausrutschen.

Ob das Pferd nicht betrunken wird? fragt einer. Nein, bei fünfhundert Kilo Gewicht hat der halbe Liter keine Wirkung. Meine Frau meint: „Ach, vielleicht wäre das für so ein Pferd auch mal ganz angenehm ...“