© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/16-01/17 23. Dezember / 30. Dezember 2016

Die Stille nach dem Terror
Endlos ist die Serie islamistischer Anschläge – nun erreicht es die deutsche Hauptstadt
Dieter Stein

Zweitausendfünfhundert Meter Luftlinie sind es von unserer Redaktion am Hohenzollerndamm zur Gedächtniskirche am Breitscheidplatz. Mitarbeiter der JF hätten auf dem Weg zum Bahnhof Zoo unter den Besuchern des Weihnachtsmarktes sein können, als an diesem Montagabend ein schwarzer 40-Tonnen-Sattelzug mit Aufleger kurz nach 20 Uhr mit überhöhter Geschwindigkeit in die Menge raste. Zwölf Menschen wurden getötet, 45 teils schwer verletzt. Nach jetzigem Ermittlungsstand gehen die Behörden von einem islamistischen Terroranschlag aus, einen verhafteten pakistanischen Asylbewerber mußte die Polizei mangels erhärtetem Tatverdacht wieder laufen lassen.

Fest steht: Endgültig hat der islamistische Terror Deutschland mit einem Anschlag von der Größe erreicht, wie ihn bislang nur Frankreich, Großbritannien oder Spanien in Europa erlebt hatten. Eine blutige Spur zieht sich über den Kontinent: Paris, Brüssel, Nizza – bislang empfanden viele Deutsche die Bedrohung als abstrakt, bis am 18. Juli ein Anhänger des Islamischen Staates (IS) mit einer Axt fünf Menschen verletzte und am 24. Juli ein anderer IS-Sympathisant in Ansbach sich mit einer Nagelbombe in die Luft sprengte und 15 Menschen verletzte. Doch von einem „großen Anschlag“ blieb Deutschland bislang verschont. Bis zum 19. Dezember 2016.

Eigenartig, fast gespenstisch ist die Ruhe, mit der die Berliner, die Deutschen auf den Terroranschlag im Herzen ihrer Hauptstadt reagieren. Es ist, als habe man längst damit gerechnet – und in Rechnung gestellt. Doch ist die Anteilnahme in anderen Fällen nicht schon größer gewesen? Unsere Nation, unsere Gesellschaft, unsere Art zu leben ist Ziel dieses Angriffs gewesen.

Gewöhnen wir uns an einen latenten Kriegszustand – sollen wir uns mit diesem Zustand schweigend abfinden? Innenpolitiker fordern die schärfere Bewachung von Volksfesten, mehr Polizeipräsenz, Betonpoller sollen Fußgängerzonen und Partymeilen gegen Lkw-Attacken schützen, das Oktoberfest wurde erstmals mit einem hohen und schwer bewachten Zaun eingehegt, Tausende Polizisten sichern am kommenden Jahreswechsel die Kölner Domplatte und den Hauptbahnhof, damit sich sexuelle Übergriffe und Straftaten nicht wiederholen, wie sie vergangenes Silvester Deutschland schockiert haben. Gleichzeitig weigert sich die Bundesregierung, zur normalen Grenzsicherung eines souveränen Staates zurückzukehren, die verhindert, daß Illegale oder potentielle Terroristen einen Fuß überhaupt auf deutschen Boden setzen.

Bislang hat wachsende Terrorgefahr nicht dafür gesorgt, daß die Illusion der „bunten, offenen Gesellschaft“ zerplatzt, in die eine jahrzehntelange unkontrollierte Einwanderungspolitik bisheriger Bundesregierungen münden sollte. Doch das Land gerät schleichend außer Kontrolle: Mit einer Mischung aus lascher Justiz, Kuschelpädagogik an Schulen, geschleiften Autoritäten, Verachtung eigener Religion, geringgeschätztem Gemeinschaftsgefühl, in anderen Ländern Nationalbewußtsein genannt, steht Deutschland hilflos der Herausforderung einer Kultur gegenüber, die patriarchalisch, männlich, nicht pazifiziert, traditionsbewußt und religiös aufgeladen ist.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will an einer Asylpolitik im wesentlichen festhalten, die sich schon im vergangenen Jahr als Desaster herausgestellt hat: Die beschworene Integration ist bereits mit einer kritischen Gruppe der bis 2015 Eingewanderten – vor allem islamisch-arabischer Herkunft – gescheitert. Sorge bereitet, daß bei dieser Gruppe in zweiter, dritter Generation Renationalisierung und eine wachsende Zahl von Islamisten zu verzeichnen ist. Wie soll diese „Integration“ dann weitergehen, wenn innerhalb von Jahresfrist zusätzlich Hunderttausende überwiegend junger Männer aus dem islamischen Kulturraum nachrücken, in Milieus, die ohnehin dabei sind, sich gerade religiös-kulturell zu desintegrieren?

Das Land wird nach dem Berliner Terroranschlag tiefer gespalten sein als zuvor: in diejenigen, die sich bestätigt sehen und schon immer gewarnt haben vor den Folgen einer illusionistischen Einwanderungspolitik, und diejenigen, die an der Politik offener Grenzen festhalten wollen, um den Preis der Unsicherheit im Inneren, die jeden Terroranschlag zum Einzelfall herunterrechnen, die jeden Zusammenhang mit der Asylkrise leugnen wollen. Doch nächstes Jahr stehen drei Landtagswahlen und die Wahl im Bund an: Dann könnten sich die Gewichte verschieben. 

An einer grundlegenden Revision der Asyl- und Einwanderungspolitik und einer Neuausrichtung der Inneren Sicherheit kann jetzt kein Weg vorbeiführen. Darüber muß endlich offen diskutiert werden! Pragmatiker und Techniker aus den Sicherheitsbehörden müssen den Illusionisten der politischen Klasse Nachhilfe geben – oder sie ablösen. Jeder Sportverein kontrolliert, wer Mitglied wird und schmeißt raus, wer sich nicht einfügen will. Bei Staaten ist dies nicht anders.

Die bisherigen Maßnahmen zur Durchsetzung konsequenterer Abschiebungen abgelehnter oder straffälliger Asylbewerber sind Augenwischerei. Die medienwirksame „Sammelabschiebung“ von 36 Afghanen am vorvergangenen Wochenende reichte schon zur Auslösung einer Regierungskrise bei der grün-schwarzen Regierung in Stuttgart. Selbst wenn täglich ein Flugzeug ein Jahr lang täglich 50 Abschiebekandidaten ausfliegt, – sind das nur 18.000 im Jahr. So viele überschreiten in zwei Wochen erneut die Grenze.

Die Nachricht vom Anschlag erreichte Bundeskanzlerin Merkel bei einer Feierstunde für Integrationshelfer im Kanzleramt. „Es gibt immer Menschen, die müssen etwas länger überzeugt werden“, sagte sie dort zuvor, „es gibt sogar Menschen, die hören nicht hin. Dann muß man dann auch einfach seinen Weg weitergehen.“ Frenetischer Applaus umhüllte die Kanzlerin. Wie lange dauert es noch, bis Angela Merkel registriert, daß ihr Weg in eine Katastrophe führt?