© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/16-01/17 23. Dezember / 30. Dezember 2016

Voll verschleiert
Mordfall Maria L.: Obwohl der Tatverdächtige zuvor in Griechenland kriminell war, konnte er unbehelligt in Deutschland leben / Datenaustausch mangelhaft
Martina Meckelein

Der Fall Hussein K. ist nicht nur die Geschichte eines kaltschnäuzigen Frauenjägers. Der Fall ist vielmehr der Beweis für das tödliche Versagen der europäischen Behörden und das stumpfe Schwert der Computerfahndung. 

So gab Jörg Radek, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in der Bundespolizei gegenüber der Deutschen Presse-Agentur zu bedenken: „Die Freiburger Polizei hat gar keine Chance gehabt, aus den europäischen Datenbanken Informationen zu dem Asylbewerber Hussein K. zu erhalten, denn den Zugriff auf EU-Daten erlaubt eine EU-Verordnung nur bei Terrorverdacht und bei besonders schweren Straftaten.“ 

Allerdings, was sollen Zugriffe auf Datenbanken überhaupt nutzen, wenn die Angaben falsch sind und die Daten nicht gepflegt werden? 

Der Fall Hussein K. ist exemplarisch für das Datenchaos. Am 8. Januar 2013 beantragte Hussein K. auf der griechischen Insel Tyros Asyl. Er gab an, minderjährig zu sein, aus dem Iran zu stammen und afghanische Wurzeln zu haben. Seine Daten wollen griechische Behörden im Eurodac-System gespeichert haben. Eurodac ist allerdings nur eine Fingerabdruckdatei für Asylbewerber und Ausländer aus Ländern, die nicht der Europäischen Gemeinschaft angehören. Name und Adresse der gespeicherten Person können nur vom eingebenden Staat gelesen werden.

Nur vier Monate später überfiel Hussein K. auf Korfu die 20jährige Geschichtsstudentin Spyridoula C. Er raubte ihr die Tasche, warf sie über das Straßengeländer einer Uferpromenade. Die Frau stürzte acht Meter in die Tiefe. Ein Strauch und der Sandstrand dämpften ihren Aufprall. Die Studentin wurde so schwer verletzt, daß sie sich noch heute Operationen unterziehen muß.

Die Ermittler nahmen damals Hussein K. fest. Die Polizei forderte eine Altersbestimmung. Ob diese gemacht wurde, ist unklar. Bei den erkennungsdienstlichen Behandlungen fielen den Beamten seine Tattoos auf. Fragen dazu beantwortete Hussein K. nicht, er gab nur an, Muslim zu sein.

Tatverdächtiger profitierte von Amnestiegesetz

Im Februar 2014 wurde er zu zehn Jahre wegen Raubes und versuchten Mordes verurteilt. Hussein K. sollte die Strafe im Jugendgefängnis in Valos verbüßen. Ein Jahr darauf, im April 2015, trat in Griechenland ein neues Gesetz in Kraft, das Straftätern eine frühere Entlassung ermöglichte. Voraussetzungen dafür: ein Strafmaß nicht über zehn Jahre, der Inhaftierte muß sich gut führen und mindestens schon sechs Monate seiner Strafe verbüßt haben. Der Grund dieses Gesetzes soll die Überbelegung der Gefängnisse gewesen sein. In den ersten sechs Wochen nach dem Inkrafttreten wurden 2.160 zum Teil Schwerstkriminelle entlassen.

18 Monate nach seinem Prozeß wurde Hussein K. wegen dieses Gesetzes entlassen. Doch statt sich alle zwei Wochen bei der Polizei in Athen zu melden, tauchte er ab. In Griechenland, also national, wurde er zur Fahndung ausgeschrieben. Da war Hussein K. aber schon über alle Berge und tauchte erst am 12. November 2015 in Freiburg auf dem Bundespolizeirevier wieder auf. Er habe keine Papiere, behauptete er dort, gab als Geburtsdatum diesmal den 12. November 1999 und als Geburtsort zur Abwechslung Ghazni in Afghanistan an. Er sei über Österreich eingereist. Mit den Angaben sei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlingezufolge ein Verfahren wegen unerlaubter Einreise eingeleitet worden. Abfragen bei Interpol und im Schengener Informationssystem (SIS) – negativ. Für den unbegleiteten angeblich so unbescholtenen wie minderjährigen afghanischen Flüchtling Hussein K. übernahm das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald die Vormundschaft. Nach drei Monaten stellte Hussein K. einen Asylantrag, zog zu einer afghanischen Pflegefamilie. Am 16. Oktober 2016 wurde Maria L. vergewaltigt und morgens tot in Freiburg im Flüßchen Dreisam liegend aufgefunden. Die Soko „Dreisam“ ermittelte. Am 2. Dezember nahmen die Beamten Hussein K. fest. Der Haftbefehl lautet auf Vergewaltigung und Mord.

Demnächst will Griechenland den deutschen Sicherheitsbehörden personenbezogene Daten über die Strafgefangenen liefern, die vorzeitig aus der Haft entlassen wurden und womöglich nach Deutschland eingereist seien.