© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/16-01/17 23. Dezember / 30. Dezember 2016

Noch existiert die friedliche Koexistenz
Jordanien: Ein Besuch der Schneller-Schule offenbart schonungslos die Probleme des Landes
Volker Keller

Niemand beneidet Jordanien um seine Nachbarn. Im Norden zerfällt Syrien, im Nordosten der Irak, im Westen besetzt Israel militärisch das palästinensische Westjordanland, und im Süden entwickelt sich der Islam zu einer extremistischen Ideologie. Mittendrin kämpft das haschemitische Königreich um sein Überleben. In Amman Downtown nenne ich dem Taxifahrer als Ziel „Schneller School“ und staune, daß er die zehn Kilometer entfernte deutsche christliche Einrichtung tatsächlich kennt. Direktor Khalid Freij wundert das nicht. Er weiß, daß die von Deutschland und der Schweiz finanzierte Schule Anerkennung in der Bevölkerung genießt. 

Viel Kritik an Partnerschaft mit dem Westen 

70 Prozent der Schüler sind Muslime, 30 Prozent Christen. Die meisten stammen aus armen Familien oder sind Waisenkinder. Alle lernen und leben in Wohngruppen zusammen. Sie üben Respekt gegenüber der Religion des Anderen ein.

In König Abdullah II. haben sie ein Vorbild vor Augen. Im jordanischen Parlament sind die Christen überrepräsentiert. In der alljährlichen „week of harmony“ finden sich Vertreter der Kirchen und der Moscheen  zunächst im Palast ein, um sich anschließend gegenseitig zu besuchen. So weit, so gut. Der Schuldirektor verschweigt allerdings nicht, daß neuerdings muslimische Gruppen versuchen, die bisher selbstverständliche Nachbarschaft zu stören. Zum Weihnachtsfest ein Gruß an die Christen? Diese Muslime gratulieren nicht. Und bringen keinerlei Verständnis dafür auf, daß die Muslime in Madaba ihr Gotteshaus „Die Moschee von Jesus Christus“ genannt haben.

Christen verfügen in der Regel über eine gute schulische und berufliche Ausbildung, das macht sie wertvoll für die Gesellschaft. Aber auch für andere Länder. Eine Abwanderung hat längst eingesetzt – die Christen in Jordanien werden immer weniger. 

Die wirtschaftliche Lage Jordaniens verschlechtert sich zunehmend, und radikale Stimmen  werden laut, die Christen  mit dem „Westen“ und insbesondere mit den verhaßten USA identifizieren. Gerade fiel ein christlicher Journalist einem Attentat zum Opfer. Er hatte eine Karikatur des Führers der Terrororganisation Islamischer Staat veröffentlicht. „In den sozialen Medien tauchen immer mehr Hetzseiten gegen Christen auf“, erwähnt die deutsche Botschafterin Birgitta Maria Siefker-Eberle bei ihrem Besuch in der Schule. Warum das so sei? Das Land sei hoch verschuldet und abhängig von ausländischer Unterstützung. Sein Handel mit dem Irak und Syrien sei eingebrochen, der Tourismus ebenso, es fehlten qualifizierte Arbeitskräfte und die Arbeitslosigkeit nehme zu. Das habe nicht nur mit der Abwanderung zu tun, erklärt die Botschafterin, sondern auch mit einem rückständigen Bildungssystem, das nicht eigenes, kritisches Denken fördere, sondern Gehorsam. 

Der König hat es heute schwerer, für seine Partnerschaft mit dem Westen breite Zustimmung zu erhalten. Die USA werden verantwortlich gemacht für die desolate Lage im Nachbarland Irak – sie haben Saddam Hussein gestürzt. In keinem Buchladen in Downtown fehlen Werke über den ehemaligen Herrscher, der für Stabilität gesorgt habe. Die US-Militärausbilder im Land spüren diese Stimmung und verbarrikadieren sich.

Die deutsche evangelische Kirchengemeinde liegt in West-Amman in einem wohlhabenden Stadtteil. „Jeder von uns hat seinen Plan B“, gibt die Leiterin zu, das heißt, einen Plan, wie er das Land bei Gefahr verlassen kann. 

Vor vierzig Jahren folgte die Deutsche  ihrem jordanischen Mann. Sie mußte erfahren, wie ihr Mann in Jordanien ein anderer war als in Deutschland – auf einmal gehörte er einer Großfamilie an und hatte die  traditionellen Pflichten einzuhalten. Als Christin ist Ruth Kubeis zwar nicht erbberechtigt, trotzdem findet sie gute Worte für ihre zweite Heimat: Sie lobt die Hilfsbereitschaft der Jordanier und sieht die Vorteile eines mehr gemeinschaftlichen Lebens – Geborgenheit. 

Prinz dankt für deutsche Unterstützung

Auf den Straßen fällt auf, daß mehr Frauen Kopftuch und weite Kleidung  tragen als noch vor zwanzig Jahren – warum? Gemeindemitglieder erklären mir, daß die Frauen sich von der freizügigen westlichen Spaß- und Konsumkultur, von der  Auflösung von Gemeinschaft, Tradition und Religion nicht mehr angesprochen fühlen. Am Ende des Besuches zeigen die Gemeindemitglieder ihre Schätze. Einen Teller mit dem Vaterunser in arabischer Kalligraphie.

 Vorerst bleiben die deutschen Christen. Zukünftig droht, daß die Länder des Nahen Ostens christenfrei werden.  Die westliche Interessenpolitik und das Erstarken der Radikalen könnte die jahrhundertealte Nachbarschaft beenden.

Noch bestimme eine friedliche Koexistenz das Verhältnis beider Religionsgemeinschaften –„noch“, betont die Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung, Anja Wehler-Schoeck. Weil sich jeder  in Jordanien Imam nennen und eine Moschee gründen kann, eroberten Unbildung und dogmatische Gläubigkeit manchen Predigtstuhl. Die selbsternannten Geistlichen zeigten sich oft nur zu willig, Weisungen und Geld von reichen Salafistenb aus Saudi-Arabien anzunehmen und antiwestlich zu politisieren. Nur 20 Prozent der 7.000 Moscheen würden direkt durch den Staat kontrolliert, zeigt Wehler-Schoeck das Problem auf. 

Es fällt auf, daß Polizei und Armee  – ganz anders als zum Beispiel in islamischen Ländern Nordafrikas – kaum zu sehen sind. Was nicht heißt, daß der Staat auf Kontrolle verzichtet. Unzählige Anschläge verübten Attentäter auf König Hussein. Abdullah II. schützt sich und sein Land mit unsichtbarer Präsenz der Sicherheitsorgane. 

Beim Gespräch im Palast gibt Prinz Ghasi, der Cousin des Königs, unumwunden zu, daß der Staat die syrischen Flüchtlinge am liebsten alle in Camps unterbringen würde. Aus Sicherheitsgründen. Die Mehrheit der eine Million Syrer und Iraker lebt hingegen außerhalb und muß sich ständige Kontrollen gefallen lassen. Die Regierung fürchtet die Einschleusung von Kämpfern des Islamischen Staates. Was sie nicht leisten will, ist die Integration der Flüchtlinge. Die Jungen bekommen zwar eine Schul- und Berufsausbildung, aber arbeiten dürfen sie nicht. Für die Zeit nach dem Ende des Kriegs wird ihre Rückkehr ins Heimatland erwartet. Der Prinz zeigt sich froh über deutsche finanzielle Hilfe. Ohne wäre sein Land mit nur 6,6 Millionen Einwohnern und großen wirtschaftlichen Problemen schlichtweg überfordert

Spannungen nehmen indes in der Bevölkerung zu. Manche Armen verstehen nicht, warum die Flüchtlinge unterstützt werden, wo es den Einheimischen doch schlecht gehe. Und die Überlastung der Schulen, Behörden und Arztpraxen wird zum alltäglichen Ärgernis. Andererseits weiß die Mehrheit der Bevölkerung, was Flucht bedeutet: 60 Prozent der Jordanier sind Palästinenser und wurden aus ihrer Heimat, dem Westjordanland, von Israel vertrieben. Und man ist sich bewußt darüber, was unbedingt verhindert werden muß: der Staatszerfall wie bei den Nachbarn. Der König gilt als Garant der Stabilität.