© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/16-01/17 23. Dezember / 30. Dezember 2016

Ökologisch getarnter Amoklauf gegen die Natur
Umweltschützer rechnen mit den Verwüstungen der Energiewende ab / Grüne Stimmen der Vernunft
Christoph Keller

Vor fünf Jahren, als der Bundestag Milliarden für den Euro-Rettungsschirm EFSF absegnete, befand Angela Merkel: „Deutschland geht es so gut wie nie zuvor.“ In seiner diesjährigen Dresdner Rede zum Tag der Deutschen Einheit wiederholte Bundestagspräsident Norbert Lammert die Behauptung der Kanzlerin und legte nach: „Wir leben in Verhältnissen, um die uns fast die ganze Welt beneidet.“ Solch kontrafaktische Behauptungen werden von den Leitmedien aufgegriffen, die dazu gern passende Studien zitieren.

„Auslöschung deutscher und europäischer Identität“

Beileibe nicht nur junge Linke wie der 27jährige Caspar Shaller, der daran erinnert, daß seine Generation die erste in der westlichen Welt nach 1945 sei, „die finanziell schlechter gestellt ist als die vorhergehende“ (Die Zeit, 48/16), melden da Einspruch an. Vielmehr werden derzeit von New York über London und Paris bis nach Berlin der Lammertschen Selbstzufriedenheit auf allen Politikfeldern Gegenrechnungen präsentiert. Und nirgendwo sonst, ungeachtet selbst schauerlichster sozial- oder bildungspolitischer Bilanzen, fällt das Urteil über das Ancien régime verheerender aus als über die bundesdeutsche Umweltpolitik.

Denn schlechter kann man das neben „Europa“ und „Einwanderung“ dritte Eliteprojekt, die „Energiewende“, nicht benoten, als es Georg Etscheit tut, einer der Paten der bayerischen Grünen in den frühen 1980ern. Der langgediente Journalist und Autor sieht in der Energiewende nicht weniger als einen „Vernichtungsfeldzug“, gerichtet auf die „Auslöschung deutscher und damit europäischer Identität“, da es die unverwechselbaren Kulturlandschaften zwischen Schwarzwald und Rügen, Wattenmeer und Chiemsee seien, „die dieses Land einmalig, unwiederholbar machen“.

Für die Generation Lammert, die politische Klasse der grünen Studienabbrecher, für die akademischen Hochstapler und das bunte Berliner Panoptikum im bürgerlichen Sinne gescheiterter Existenzen kommt der von Etscheit edierte Aufsatzband, der aufzeigt, „wie die Energiewende unsere Umwelt zerstört“, einer Kriegserklärung gleich. Ein gutes Dutzend Beiträger, unter ihnen Enoch zu Guttenberg und Hubert Weinzierl, die 1975 mit Herbert Gruhl, Bernhard Grzimek und Horst Stern den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) aus der Taufe hoben, klagen diese „Totengräber deutscher Landschaft und deutscher Identität“ an.

Diese hätten in „beispielloser ideologischer Verblendung“ einen „Amoklauf gegen die Natur und die ökologische Vernunft“ gestartet und mit einer „aberwitzigen Materialschlacht“ eine „flächendeckende Verwüstung hochwertiger Naturlandschaft“ ins Werk gesetzt. Was nicht nur jeden Respekt vor der Schöpfung vermissen lasse. Dieser Zerstörungsprozeß stehe vielmehr für den, vielleicht seit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, sicher jedoch seit Bestehen der Bundesrepublik, „größten und verantwortungslosesten Eingriff in (unseren) Lebensraum“.

Militante Rhetorik, die trotzdem noch moderat wirkt im Vergleich mit der apokalyptischen Hysterie, mit der nach dem Fukushima-GAU die deutsche „Energiewende“ zur Entscheidung über Sein oder Nichtsein ausgerufen und die gesetzlichen Weichen für den Ausstieg aus Kohle und Atom zugunsten „Erneuerbarer Energien“ gestellt worden sind.

Nur fünf Jahre danach fällt es Etscheit und seinen Mitstreitern nicht schwer, ihre These, Deutschland, inzwischen mit 26.000 Windturbinen „verspargelt“, verwandle sich mit Riesenschritten in ein einziges Gewerbegebiet. Was jährlich bis zu 200.000 Fledermäuse und 500.000 Vögel das Leben kostet. Was durch Offshore-Windparks auf die Ausrottung der letzten Schweinswale in Nord- und Ostsee hinausläuft. Was zu in diesem Tempo niemals registrierten Verlusten an Biodiversität geführt hat.

Umweltverbände Lobbyisten der Windindustrie?

Bereits der seit 2007 forcierte Energiepflanzenanbau, so rechnet der Ornithologe Martin Flade vor, bedrohte mit dem drastischen Rückgang von Ackerbrachen viele bestandsgefährdete Vogelarten. Betrug das Flächenverhältnis von Brache zu Maisflächen in den 1990ern in der Ex-DDR noch 1 zu 1, lag es 2012 bei 1 zu 20. Folglich hätten von den 31 häufigsten Vogelarten nur kümmerliche vier ihre Bestände halten können.

Trotz des „Desasters für den Vogelschutz“, das Flade dem Land Brandenburg mit seinen 3.000 Windanlagen attestiert, fallen die von dem Dokumentarfilmer Jörg Rehmann und von Harry Neumann, bis 2014 rheinland-pfälzischer BUND-Vorsitzender, vermittelten Einblicke in ihre vom „Windwahn“ übel zugerichtete Heimat zwischen Hunsrück und Pfälzerwald noch deprimierender aus. Hier sei unter rot-grüner Federführung vor allem der Hunsrück durch Windparks im Handumdrehen zur „Industriewüste“ mutiert. Als Schauplatz für weitere Folgen seines legendären Film­epos „Heimat“, so zitiert Rehmann seinen Kollegen Edgar Reitz, komme dieses zur alptraumhaften „Energiesonderzone“ degradierte einstige „Traumland“ jedenfalls nie wieder in Betracht.

Um die Absurdität der Energiewende voll auszuleuchten, beschreibt der Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech das „Barbarentum der Energieökologen“ (Botho Strauß) als grün lackierte Variante kapitalistischer Wachstumsideologie und ihrer Fortschrittsillusionen. Wobei die Verfechter von „Green Growth“ den Bürgern ihre Heilsbotschaft zumuten, unbegrenzte Wohlstandsmehrung sei dank Wind-, Sonnen- und Pflanzenenergie bald zum ökologischen Nulltarif möglich. Dabei habe der gigantische Wendezauber „grüner Technologie“ überhaupt „keine „erwähnenswerten CO2-Einsparungen“ zu melden. Das „Opfer der Natur“, Landschaftszerstörung und Artentod, sei mithin dem „globalen Nachhaltigkeitszirkus“ der Klimarettung völlig umsonst gebracht worden.

Die katastrophalen Folgen derart destruktiver Politik könnten jedoch, auch dies macht Etscheit deutlich, ein Gutes haben. Denn im BUND und im Naturschutzbund (Nabu) gärt es, weil deren Führungskader als Lobbyisten der Wind­industrie und Marionetten rot-grüner-schwarzer Dogmatiker agieren, um „Klimarettung“ zu Lasten von Natur- und Artenschutz zu betreiben. Sie sind somit, wie Etscheit und Neumann feststellen, „Teil eines neuen Systems“, das deutsche Landschaften vernichte, um die Welt zu retten. Angesichts des von ihnen mit zu verantwortenden Zerstörungswerks dürfte daher eine „Verbände-Wende“, die Gründung einer bundesweiten Alternative zu BUND und Nabu, „nicht mehr lange auf sich warten lassen“.

Blogarchiv von Georg Etscheit: gute-geschichten.de

erein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern (VLAB):  www.landschaft-artenschutz.de

Georg Etscheit (Hrsg.): Geopferte Landschaften. Wie die Energiewende unsere Umwelt zerstört. Heyne Verlag, München 2016, 368 Seiten, broschiert, 16,99 Euro