© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Stolpern, hinfallen, aufstehen, wieder stolpern, wieder hinfallen, wieder aufstehen – mit der klassischen Nummer von pausenfüllenden Zirkusclowns hat Wjatscheslaw Iwanowitsch („Slava“) Polunin nichts gemein. Allzu platte, vordergründige, derbe Späße sind seine Sache nicht. Der russische Clown gilt als einer der berühmtesten seiner Zunft; in Texten über ihn wird er als „Visionär“ gerühmt, der mit seiner Poesie  das Handwerk der Clowns neu belebt habe. Rasch machte sich der heute 66jährige ab der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zunächst mit seinem Straßentheater, später dann auch Bühnenshows einen Namen weit über die Branche hinaus. Im Berliner Admiralspalast gastiert Polunin derzeit zum wiederholten Mal mit „Slava’s Snowshow“ (Streifzüge vom 17. Januar 2014). Das großartige Spektakel ist ein Fest für die Sinne. Slava und seine rotnasigen Gesellen in ihren grünen Mänteln, Mützen mit riesigen abstehenden Ohrenklappen und ebenso riesigen Schuhen erzählen Geschichten ohne Worte. Zu den vielen Höhepunkten gehört, wie sich ein Spinnennetz aus Gaze bis in die letzte Reihe im Parkett über die Köpfe der Zuschauer ausbreitet. Und wenn dann am Ende ein ungeheuerlicher Schneesturm durch den Saal fegt, ist auch der letzte Besucher wieder zu einem glücklichen Kind geworden. Leider ist die sehr zu empfehlende Show nur noch bis zum 8. Januar zu sehen.


Jahreswechsellektüre I: Heinz Strunk, „Der goldene Handschuh“ (Rowohlt, Reinbek 2016). Der Roman handelt von dem Serientäter Fritz Honka, der in den siebziger Jahren vier ältere Prostituierte aus der Hamburger Trinkerszene ermordete. Die dichte, kompromißlose, zudem sprachlich-stilistisch famose Milieuschilderung nimmt einen auf seltsame Weise gefangen und erweist sich als große Literatur.


Jahreswechsellektüre II: Honoré de Balzac, „Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken. Die schrägen Typen der Journaille“. Das Original, in dem sich der französische Schriftsteller die Presse seines Landes vorknöpfte, erschien 1843 und liegt nun erstmals auf deutsch vor (Manesse-Verlag, München 2016). Eines von vielen Zitaten daraus mit Aktualitätsanspruch: „Wer macht die Meinung? Die Zeitungen. Wer macht die Zeitungen? Schreiber, nicht mal fünfzig an der Zahl und überwiegend mittelmäßig. (…) allesamt Unbekannte ohne Charisma, aufgebraucht von ihrer eigenen Maschinerie, die schon aus dem geringsten Anlaß schreiben, die schreiben, um anzugreifen (…)“