© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Die zweierlei Leben des „Admirals“
Peter Tamm: Nachruf auf den Ex-Springer-Chef und Gründer des Maritimen Museums Hamburg
Gernot Facius

Wer ihn in seinem Büro in Hamburg besuchte, den ließ er schon mal durch das stets blank geputzte Fernrohr auf seinem Schreibtisch in Richtung Hafen blicken: Die Schiffahrt war die große Leidenschaft des ehemaligen Springer-Chefs Peter Wilhelm Ernst Tamm, der auch von Berufsfremden wegen seiner blauen Zweireiher „Der Admiral“ genannt wurde. Und so ist es nur zu verständlich, daß Journalisten bei der Nachricht von Tamms Tod sich die Frage stellten: Soll nur der Verlagsmanager gewürdigt werden oder nur der große Sammler maritimer Exponate?

„Wenn man genau hinschaut, muß man sagen, daß er mindestens zwei Leben geführt hat“, schrieb die Süddeutsche Zeitung in ihrem Nachruf. Und das eine Leben wäre ohne das andere nicht denkbar. Der in eine Reederfamilie hineingeborene Ur-Hamburger, der noch kurz vor Kriegsende auf dem alten Segelschulschiff „Gorch Fock“ diente, hat in seinem Internationalen Maritimen Museum in seiner Vaterstadt mehr als 1.000 große und 30.000 kleine Schiffsmodelle, 5.000 Gemälde, 50.000 Konstruktionspläne, Schiffstagebücher, Navigationsinstrumente, Uniformen und Waffen zusammengetragen. Ohne Tamms beruflichen Erfolg wäre diese weltweit größte private Sammlung zur Schiffahrts- und Marinegeschichte nicht zustande gekommen. 

Mit einer Fotoserie über das Schicksal von Schiffen aus der Hansestadt hatte alles begonnen. Beim Hamburger Abendblatt, einst Axel Springers Pflanzschule für junge Talente, avancierte der ehemalige Seekadett zum Redakteur. Zehn Jahre blieb er bei dem Blatt. Es war, wie er sich später erinnerte, die schönste Zeit seiner Laufbahn. Mit 32 Jahren wurde Tamm Verlagsleiter der Berliner Morgenpost und der B.Z. Er schaffte die Integration des Hauses Ullstein in das stetig größer werdende Springer-Imperium, sein erstes Meisterstück. Andere Manager hatten sich geweigert, in die von Nikita Chruschtschow bedrängte „Frontstadt“ zu gehen, Peter Tamm sagte auf der Stelle zu. Als der Verleger sein Haus in eine Aktiengesellschaft umwandelte, wurde der Hanseat Alleinvorstand.

Pflegeleicht war er nicht – anders als mancher seiner Mitarbeiter oder Kollegen, die Springer als „Flanellmännchen“ verspottete. Tamm war seelisch robust und zupackend, in vielem das Gegenteil des oft unschlüssigen, zaudernden, menschlich komplizierten, schwärmerischen Verlagsgründers. Das erzeugte Reibungsflächen. Zeitweise schienen die Beziehungen zwischen Springer und seinem Konzernlenker irreparabel zerrüttet zu sein. Denn wenn er es für erforderlich hielt, vertrat Tamm die Interessen des Hauses auch gegen den Eigentümer. Zweimal, so erzählte er Vertrauten, war er „drauf und dran, von Bord zu gehen“!

Umgekehrt war der leicht beeinflußbare Verleger bereit, sich von dem Vorstandschef zu trennen; Kollegen, die Tamm seinen steilen Aufstieg neideten, gab es im Hause genug. Doch Axel Springer wußte, was er an seinem „ersten Diener“ hatte. Tamm wurde wieder in Gnaden aufgenommen.

Springer war Zivilist, Tamm soldatisch geprägt

Beide waren sie nicht nur erklärte Antikommunisten, sondern auch deutsche Patrioten, „Springer mehr von romantischen Empfindungen und vom Leiden an den Teilungstragödien bewegt, Tamm ein realistischer Deutschnationaler“ (Springer-Biograph Hans-Peter Schwarz). 1928 geboren, war Tamm vom Krieg geprägt, er machte nie ein Hehl aus seiner soldatischen Einstellung. Springer war durch und durch Zivilist. In Krisen behielt sein Majordomus ruhig Blut. So bei den Osterunruhen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke 1968, als radikalisierte Studenten das Verlagshaus in der Berliner Kochstraße stürmen wollten. Der Konzernchef hatte die „Macht der Arbeiterklasse“ mobilisiert: Druckereimitarbeiter mit großen Schraubenschlüsseln in der Hand waren bereit, ihre Arbeitsplätze zu verteidigen. Die gewaltbereiten Demonstranten zogen es deshalb vor, durch die Drehtür zu verschwinden.

Die Ruhe bewahrte Tamm auch als am 19. Mai 1972, in der Hochphase des Terrors der Baader-Meinhof-Bande, zwei Rohrbomben ein Loch in die Fassade des Hamburger Verlagshauses rissen und später eine Bombe in der Nähe des Arbeitszimmers des Verlegers gefunden wurde.

„Dem habe ich viel zu verdanken“, bekannte der schwerkranke Axel Springer, Peter Tamm die Hand auf die Schulter legend, als er Anfang September 1985 das letzte Mal seine Berliner Konzernzentrale besuchte. Viele Jahre später, als sein maritimes Museum fertig ist, das zuletzt mehr als 100.000 Besucher im Jahr hatte, wird Tamm mit ähnlichen Worten des großen Verlegers gedenken: „Dem habe ich alles zu verdanken. Alles, was Sie in diesem Haus sehen. Ich denke an diesen Mann, seine Freundschaft, seine Großzügigkeit voller Dankbarkeit.“ Da hatte er den Springer-Verlag längst verlassen. 1991 war Tamm auf dem Höhepunkt der Machtkämpfe um das Erbe des Konzerngründers und des Streits mit dem Münchner Filmhändler Leo Kirch gegangen. Er verzichtete auch auf einen Posten im Aufsichtsrat des Unternehmens. Der Frankfurter Allgemeinen vertraute er, im Blick auf sein „zweites Leben“ als Museumsgründer, an: „Ich habe meine Zeit genutzt. Ich werde etwas hinterlassen. Das ist für meine Begriffe das Höchste, was ein Mensch erreichen kann.“ Am 29. Dezember 2016 ist der „Admiral“ in seiner Heimatstadt Hamburg gestorben.