© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Antifaschistische Hirnverheerung
Aus dem Nachlaß von Bernard Willms: Zu den Versuchen, Heidegger per Nazi-Vorwurf zu erledigen
Dag Krienen

Bernard Willms (1931–1991), von 1970 bis zu seinem Tode Professor für Politische Theorie und Geschichte der Politischen Ideen in Bochum, kennen vermutlich einige als Autor des Buches über „Die Deutsche Nation. Theorie – Lage –Zukunft“ (1982). Darin entwickelte er die Idee der Nation als gegenwärtig einzig wirklich „vernünftige“, das heißt freiheitliche und zugleich lebbare politische Ordnungsidee der Menschheit (JF 33/97, JF 46/04, JF 29/06).

Das jetzt von Till Kinzel veröffentlichte fragmentarische Heidegger-Manuskript, das Willms kurz vor seinem Tod 1991 dem Verleger Gerd Giesler zur Prüfung übergab, widmet sich nur auf den ersten Blick einem völlig anderen Thema. Auch in diesem politisch-polemischen Essay – dem man die fehlende Schlußbearbeitung anmerkt – verfolgt Willms sein zentrales Ziel. Er verstand sich als Anwalt eines strengen Denkens, das notwendig politische Philosophie sein muß, weil es den elementaren Befund der existentiellen Freiheit des Menschen nicht „erbaulich“ als Grund zum Feiern auffaßt, „sondern als ein Existential, das an sich stets sowohl zum Guten wie zum Bösen disponiert“.

 Ein Leben in Freiheit ist nur politisch möglich, in einer Gemeinschaft, die sich der Notwendigkeit der steten Regulation der gefährlichen conditio humana bewußt ist. Freiheit, wenn sie denn gelebt werden und nicht bloß den anarchischen Auftakt zu einem blutigen Bürgerkrieg eines jeden gegen jeden bilden soll, kann nur in einer politischen Ordnung realisiert werden, die bei aller Kontingenz und Flexibilität in der jeweiligen Ausformung strengen Notwendigkeiten gehorcht. An diesen Kern jedweder freiheitlichen Staatlichkeit lassen sich die Maßstäbe rein privater Moral und individueller Wunschvorstellungen nicht anlegen, auch nicht im Namen vorgeblich universeller, abstrakter Werte. 

Nazi-Vorwurf sei „Triumph ohne Anstrengungen“

In seinem Habitus ein liberaler und konzilianter Mensch, war Willms philosophisch ein entschiedener Gegner jedweder bloßen Erbaulichkeit in Sachen Freiheit und Politik und eines „Flachdenkens“, das die weniger angenehmen Seiten der politischen Grundlagen menschlicher Existenz ignorieren oder politische Urteilskraft durch moralisches Aburteilen ersetzen zu können glaubt. Wo er hingegen denkerisches Potential erkannte, in welchem Lager auch immer, setzte er sich mit diesem unvoreingenommen auseinander oder bemühte sich um die Voraussetzungen dafür. Dies gilt auch im Falle Martin Heideggers. 

Willms war weder Heidegger-Schüler noch Fachmann. In einem nach dessen Tod in der FAZ veröffentlichten Artikel (14. Mai 1977) würdigte er dessen Denken zwar als „letzte große Gestalt bürgerlicher Reflexionsphilosophie“, warf ihm aber auch vor, eine messianische Heilserwartung an ein kommendes politisches Genie befördert zu haben, statt die politische Arbeit in die eigene Hand zu nehmen. In dem Manuskript von 1991 ist davon keine Rede mehr. Heidegger gilt Willms nun als einer der großen Vertreter der „schonungslosen, der dunklen Tradition des Denkens“, der in das Antlitz des „Medusenhauptes“, „in die ungeheuerlichen und unheimlichen Möglichkeiten des Menschen“, zu sehen vermochte, ohne daran irre zu werden. Vor allem Heideggers ab 1936 verfaßte „Beiträge zur Philosophie“ mit ihrer Kritik am technischen, rein quantifizierenden Zugriff auf die Welt als bloßem „Gestell“, finden Willms Lob, der diese, Silvio Viettas Buch von 1988 folgend, zugleich als eine fundamentale Kritik am nationalsozialistischen Herrschaftssystem versteht.

Eine detaillierte Analyse dieses Denkansatzes Heideggers unternimmt Willms 1991 indes nicht. Sein Ziel ist es vielmehr, ihn vor den Erledigungsstrategien der „Flachdenker“ in Schutz zu nehmen, wobei er damals vor allem den französischen Philosophen Víctor Farías und den deutschen Historiker Bernd Martin im Blick hatte. Schon in dem FAZ-Artikel von 1977 hatte Willms in dem Vorwurf, Heidegger sei irgendwie ein Nazi gewesen, nichts anderes gesehen „als eine Rechtfertigung dafür, daß die Auseinandersetzungen mit dem Denken, mit der Philosophie Heideggers umgangen werden soll“. 

1991 lautet der Vorwurf im Kern nicht anders: Wer glaube, Heidegger gut antifaschistisch durch die Behauptung, der Mann sei schließlich ein Nazi gewesen, als Denker erledigen zu können glaubt, suche nur den „Triumph ohne Anstrengungen oder einen großen Effekt bei minimalem Aufwand“, was zwar den „Idealen der Performanzkonkurrenz“ entspreche, aber nicht denen denkerischer Strenge. 

Willms zeigt, daß schon immer der bloße Aufschrei – um ein Filmzitat aus Monty Python’s „Life of Brian“ zu verwenden –, der Delinquent habe „Jahwe“ gesagt, steinigungswütendem „Weibsvolk“, das sich mit falschen Bärten als weise Männer tarnte, als Vorwand für geistiges und oft genug auch körperliches Totschlagen gedient hat. Insofern stellt nach 1945 die entsprechende Taktik der Antifaschisten – die nicht mehr wie die vor 1945 Kopf und Kragen riskieren – keine Neuheit dar. Der Antifaschismus ohne realen Gegner habe aber „hirnverheerende“ Konsequenzen, gerade für die Linke, die so ihren eigentlichen Gegner aus dem Blick verliere. Er laufe „schließlich auf die entscheidende Rebarbarisierung des 20. Jahrhunderts hinaus, nämlich auf die fast völlige Moralisierung der Politik“. 

Zu den Hirnverheerungen, die der Antifaschismus anrichtet, gehört auch die Unfähigkeit, den Nationalsozialismus anders als einen monolithischen Block zu betrachten, der in allen seinen Teilen von Anfang an auf „Auschwitz“, also eine völker-und massenmörderische Herrschaftspraxis angelegt gewesen sei. Willms plädiert hingegen dafür, den Nationalsozialismus als ein vielgesichtiges und vielschichtiges Phänomen zu betrachten. Am Ende erwies er sich zwar, wie nach 1934 auch Heidegger erkannte, als „ein ungestümes, weil auch nachgeholtes Einschwingen der Deutschen in die Raserei des technischen Zeitalters, aber er war auch, was nicht oder zuwenig gesehen wird, frühen Intentionen nach der Versuch, diesem Rasen in die Speichen zu greifen“. 

Willms warnte vor einer „neuen Form von Despotie“

Dem technisch-industriellen System seinen anonymen Zwangscharakter zu nehmen und es in den Dienst des Volkes zu stellen, hat auch ein Hans Freyer 1931 als Kernmotiv der „Revolution von rechts“ ausgemacht. Für Willms ein legitimes Motiv, denn auch er stellt die Frage, ob nicht unter massendemokratischem Vorzeichen derzeit eine „neue Form von Despotie“ im Entstehen begriffen sei, „in der es in einer vernetzten, unter der Vorherrschaft der Informatik und Datenverarbeitung und dem Prinzip der Performativität Herrschaft nur noch als pluralistische Macht gibt, in der sämtliche Eminenzen grau sind? Eine Herrschaft versteckter Computerdespotie, ein kalter Totalitarismus, am Leben gehalten von einer lärmenden Dynamik von Furcht und Ablenkung von ihr?“

Daß Heidegger bei seinen Versuchen, dem Rasen des technischen Systems in die Speichen zu greifen, darauf verfiel, sich einer Bewegung anzudienen, die zeit- und teilweise ein ähnliches Ziel zu verfolgen schien, ist für Willms deshalb unbedeutend angesichts des denkerischen Potentials, das Heideggers Analysen des „Gestells“ in sich birgt und das durch präzise gedankliche Arbeit erschlossen zu werden verdient. Auch die wenigen, als „antisemitisch“ gedeuteten Bemerkungen des Philosophen in den „Schwarzen Heften“, die Willms noch nicht kannte, hätten an seinem Urteil nichts geändert. Es ist schon von verschiedenen Seiten gezeigt worden, daß sie nur im Rahmen der Kritik Heideggers am technischen Vernutzungssystem der Moderne sinnvoll interpretiert werden können. 

Die Nutznießer und Verteidiger dieses Systems werden dessen ungeachtet weiterhin darauf bestehen, daß Martin Heidegger nun einmal „Jehova“ gesagt hat und deshalb aus dem Kreis der großen Denker herausgesäubert werden müsse. Willms 25 Jahre alter Essay stellt klar, welche bodenlose geistige Dürftigkeit und Erbärmlichkeit hinter dieser Haltung steht. 

Till Kinzel (Hrsg.): Bernard Willms. Heidegger und der Antifaschismus. Karolinger Verlag, Wien und Leipzig 2016, gebunden, 135 Seiten, 19,90 Euro