© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Ideologie tötet Wissenschaft
Politische Korrektheit und Selbstzensur: Die Politisierung der Universitäten bedroht die offene Gesellschaft
Nicolaus Fest

In den fünfziger Jahren bauten einige Forscher der amerikanischen Firma Bell, damals führend im Bereich wissenschaftlicher Innovation und so bewundert wie später Apple unter Steve Jobs, ein wundersames Gerät. „The ultimate machine“ war ein Lederkoffer mit einem Ein-Aus-Schalter. Schaltete man die Maschine ein, fuhr aus dem Koffer eine hölzerne Hand, die den Schalter auf „Aus“ stellte, sich in den Koffer zurück- und den Deckel zuzog. 

Der Ulk illustrierte ein Paradox: Daß nämlich die perfekte Maschine autonom sein, also potentiell die Freiheit haben müsse, sich dem Tätigkeitsverlangen ihrer Schöpfer zu widersetzen. Doch ist „die ultimative Maschine“ auch anders zu deuten: Als Gleichnis, daß Wissenschaft durchaus bereit sein kann, sich selbst abzuschalten. 

Diese Entwicklung läßt sich derzeit beobachten: Daß Wissenschaft auf freier Rede beruht, auf dem Austausch von Argumenten, hat immer weniger Verteidiger. Vielmehr herrscht an Universitäten und Forschungseinrichtungen oftmals der gegenteilige Geist, wird die Beurteilung von Theorien und Sachverhalten persönlichen Befindlichkeiten, dem Einfluß forschungsfremder Dritter oder all dem geopfert, was als Politische Korrektheit firmiert. Wo über das Für und Wider von Ideen gestritten werden soll, werden „safe spaces“ (sichere Räume) eingerichtet, in die sich Studenten zurückziehen können, die ihre persönliche Weltsicht gerade nicht zur Debatte stellen möchten. Frauen wollen nicht mit Männern über Fragen des Feminismus sprechen, Farbige nicht mit Weißen über die Rückständigkeit Afrikas, Muslime nicht mit Andersgläubigen über antidemokratische oder antipluralistische Aspekte des Koran; selbst über die Werke Shakespeares oder Kafkas wollen manche Studenten nur diskutieren, wenn alle brutalen, misogynen oder sonst für sie verstörenden Passagen nicht zur Sprache kommen. Professoren, die sich solchen Zumutungen widersetzen, werden niedergeschrien, ihre Vorlesungen boykottiert, nicht selten begleitet von anonymen Verleumdungskampagnen im Netz. Und fast immer schweigt die Universitätsleitung. 

Es ist das Schweigen von Verrätern ihrer eigenen Profession. Denn mit solchen Rücksichtnahmen stirbt jede Debatte, jede Möglichkeit der Falsifizierung und damit auch jede Chance auf wissenschaftliche Objektivität. Wer sich unter Hinweis auf Herkunft, Glauben, Geschlecht, Rasse oder Nation dem Fundament aller Wissenschaft entzieht, der freien Rede und der binären Formel von richtig und falsch, betreibt nicht Forschung, sondern bekämpft sie. Er will keine Wissenschaft, er will Ideologie. 

Wie es dazu kommen konnte, ist öfters beschrieben worden. Die Vermassung der Universitäten spielt dabei ebenso eine Rolle wie die akademische Nobilitierung unwissenschaftlicher Fächer wie Genderforschung oder Erziehungswissenschaften. Auch die Abhängigkeit der Forschungseinrichtungen von Drittmitteln, also Geldern von Industrie oder Interessengruppen, untergräbt den zentralen Anspruch der Wissenschaft – daß sie nicht interessengeleitet sei. Doch von einem saudisch finanzierten „Center for Islamic Studies“ ist sowenig Objektivität zu erwarten wie von An-Instituten, die von Lebensmittel- oder Pharmakonzernen getragen werden. Sie alle beschädigen die Idee des nicht-kommerziellen, absichtsfreien Forschens. 

Vor allem aber leidet die Wissenschaft am modischen Relativismus; sie ist insofern ein Spiegel der Gesellschaft. Daß es objektive Wahrheiten gibt, wird heute in vielen Fachbereichen als geradezu frivole Behauptung betrachtet. Nicht nur das biologische Geschlecht sei eine Konstruktion, auch Gesellschaft und Realität. Alle Erkenntnis sei bedingt: sozial, ökonomisch, kulturell. Eine unabhängig vom Betrachter existierende Wirklichkeit gebe es nicht, und so auch keine allgemein gültige Aussage über die reale Welt. Objektivität sei eine Chimäre, Wahrheit relativ. 

Dahinter verbirgt sich weit mehr als nur die Verstiegenheit des Wissenschaftsbetriebes; es ist das Ende der europäischen Geisteskultur. Denn diese beruht auf der Idee, daß Erkenntnis möglich ist, also auf der Trennung von richtig und falsch. Das ist nicht nur die Basis aller wissenstheoretischen Arbeit, sondern auch zentraler politischer wie moralischer Maßstäbe. Erst die gleichsam kritische Prüfung machte aus christlichen Geboten universelle Vorgaben, erst aus „richtig und falsch“ folgte die Idee der individuellen Menschenrechte, erst daraus wiederum das Gebot politischer Kontrolle. Wer dagegen die Realität für ein Konstrukt und objektive Erkenntnis für ausgeschlossen erachtet, kann die Gleichberechtigung der Frauen ebenso bestreiten wie das Lebensrecht von Homosexuellen, Behinderten oder Juden. 

Daß alle Wahrheit relativ sei, ist daher nicht weniger als eine Kampfansage an die europäische Zivilisation. Wo Positionen unter Verweis auf subjektive Befindlichkeiten immunisiert werden, ist offener Diskurs undenkbar – und gleichzeitig die offene Gesellschaft. Wie die „ultimative Maschine“ will auch die wissenschaftliche Forschung sich selbst abschalten. 

Unverständlich bleibt, warum die Politik diesem Treiben zuschaut. Längst hätte sie eingreifen, die Universitäten an ihren Grundauftrag und die Verteidigung der freien Rede erinnern müssen – gestützt auf scharfe Sanktionen. Denn die Kapitulation der Universitäten vor der Politischen Korrektheit führt auch deren Lehrauftrag ad absurdum. Doch bisher ist nicht einmal ansatzweise eine Debatte erkennbar. Auch hier entziehen sich Politik und Parteien der politischen Willensbildung. 

Vor den Studenten, die von solchen Universitäten kommen und in Zukunft dieses Land maßgeblich gestalten wollen, muß man wohl Angst haben.